70 aus 2007 Teil 7

(Teil 1) (Teil 2) (Teil 3) (Teil 4) (Teil 5) (Teil 6) (Teil 8) (Teil 9) (Teil 10)(Teil 11) (Teil 12)

Platz 34
Shocking Pinks - Shocking Pinks

Ich gehe jede Wette ein dass Nick Harte in seiner Jugend so manche New Order-Platte gehört hat. Doch obwohl seine vernebelten Popsongs als Shocking Pinks an diese und andere große britische Bands der 80er erinnern will ein Vergleich nicht so richtig zustande kommen, denn Harte wickelt seine schönen Kompositionen in einen Lo-Fi-Mantel und lässt sie, als wären sie noch nicht schwer genug greifbar, Träumen ähnlich oft einfach vorbeigleiten. Grizzly Bear im Rockgewand? Girl On The Northern Line z.B. wäre im Yellow House kaum fehl am Platz. Shocking Pinks' erste Veröffentlichung bei DFA ist eine vielfältige doch irgendwie kohärente Sammlung von hierfür neu abgemischten Stücken der Alben Mathematical Warfare und Infinity Land welche außerhalb von Neuseeland nur schwer bis extrem teuer zu finden waren, und wer sich fragt warum sowas bitte bei DFA erscheint der spule einfach zu Smoke Screen vor, da kommen nämlich die Kuhglocken (Whoo! Yeah! Uh-huh!).

[MP3] Shocking Pinks - I Want U Back

Platz 33
Melt-Banana - Bambi's Dilemma

Internethandys. 3D-Drucker. Unsichtbare Kleidung. Pizza mit Mayonnaise-Shrimp-Rand. Was einst wie Science Fiction erschien wird immer mehr von der Gegenwart eingeholt, so machen auch Melt-Banana schon seit langem Punk der aus der Zukunft zu kommen scheint. Mit Cell Scape schienen die Japaner vor 4 Jahren den Schritt zu längeren, fassbaren Songs gemacht zu haben, doch bis auf den Psychedelia-Trip von Type: Ecco System heißt die Devise mittlerweile wieder "Kurz, schnell und heftig." Trotzdem ist das 18 Tracks umfassende Bambi's Dilemma zugänglicher als ältere Alben, die Melodien sind eingängiger und die Hooks catchiger geworden. Ein famoses kunterbuntes Spacepunk-Massaker entsteht bei dem die Gitarre von Agata durch eine Parade von Effektgeräten gejagt wird bis die seltsamsten Klänge entstehen, Sängerin Yasukos hohe Vocals sind wie immer auf dem halben Weg zum Gebell und werden sogar im auf den Hund gekommenen Dog Song ganz dazu. Dazu zucken zahlreiche cartoonige Effekte durch die Gegend von denen mich einer, in Crow's Paint Brush (Color Repair), jedes Mal irritiert weil er genau wie eine akustische Fehlermeldung meines PCs klingt. Hat die Gegenwart Melt-Banana vielleicht doch bald eingeholt?

[Video] Melt-Banana - Cat Brain Land (live)

Platz 32
Stars Of The Lid - And Their Refinement Of The Decline

Ein zweistündiges ambientes Meisterwerk dessen makelloser Komposition, Produktion, Stimmung, Epik, Dynamik und Textur ich mit Worten nicht gerecht werden kann. Zen für die Ohren.

[MP3] Stars Of The Lid - Preludes (In C Sharp Major)

Platz 31
Times New Viking - Present The Paisley Reich

Eines der eindrucksvollsten Comebacks der letzten Zeit gab das mehr als nur tot geglaubte legendäre Siltbreeze, das in den 90ern mit Krachmachern wie Dead C und Harry Pussy den US-Untergrund bereicherte. Dieses Jahr brachte das Label aus Philadelphia neben rohem, aufregendem Material u.a. von Sapat, Psychedelic Horseshit, Der TPK und Pink Reason auch das zweite Album von Times New Viking heraus, dem jungen Trio dessen Demoaufnahmen Tom Lax vor 3 Jahren dazu brachten das eigentlich schon zu Grabe getragene Label wiederzubeleben. Das zweite Album war auch schon die letzte TNV-Veröffentlichung dort (in wenigen Wochen erscheint ihr Matador-Debüt), doch zum Abschied gab es nochmal eine geballte Ladung poppigen Noiserock der niedrigen Klangfidelität. [mehr]

[Video] Times New Viking - Little Amps

Platz 30
Handsome Furs - Plague Park

Dan Boeckner hat eine dieser enorm markanten, unverwechselbaren und sofort erkennbaren emotionalen Stimmen die immer Heiserkeit mitschwingen haben, etwas mehr Whiskykonsum und er kann sich in eine Reihe mit Leuten wie Isaac Brock und Paul Westerberg einreihen. Da erscheint es paradox dass sein erstes Album zusammen mit Ehefrau Alexei, eine kanadische Vision von düsterem Folk mit Gitarre, Drum Machine und Synths (stellenweise daher gerade dem neuen Low-Album nicht sonderlich fern), zunächst eine recht flüchtige Angelegenheit ist. Selbst jetzt könnte ich mir kaum alle Stücke auf Plague Park in Erinnerung rufen. Und doch weiß ich mittlerweile um die Qualität dieser subtilen Platte die sich Stück für Stück beim Hören einschleicht, nicht so sehr im Bewusstsein hängenbleibt als tiefer wandert. Die simplen Sounds und Arrangements entfalten mit der Zeit eine ungeahnte Tiefe, gerade in der Ungeschliffenheit liegt ihre Qualität begründet. In ihren Texten graben Handsome Furs die Hässlichkeiten des Lebens in Großstädten und auf dem Lande auf, die oft unter biederen, gar fröhlichen Fassaden verborgenen düsteren Wahrheiten, so stammt der Name des Albums von einem blühenden Stadtpark in Finnland der auf einem Massengrab gebaut wurde. Manchmal trügt der Schein, beim Sehen wie beim Hören.

[MP3] Handsome Furs - What We Had

Platz 29
Electrelane - No Shouts, No Calls

Sollte No Shouts, No Calls wirklich Electrelanes letztes Album bleiben so wäre es ein Abschied auf der Höhe ihres Schaffens und mit spärlichster Instrumentierung. Jeder Anschlag ist mit Bedacht eingesetzt um diese denkwürdigen Melodien zu akzentuieren, Melodien von Songs die Emotionen direkt vermitteln. "Come back to me." "I never want to leave you." "I miss the friends we knew back home." Es ist als müssten sie all das rauslassen was zuvor ungesagt oder hinter obskuren Referenzen verborgen blieb, und das Ergebnis ist nicht weniger als großartig.

[MP3] Electrelane - To The East

70 aus 2007 Teil 6

(Teil 1) (Teil 2) (Teil 3) (Teil 4) (Teil 5) (Teil 7) (Teil 8) (Teil 9) (Teil 10)(Teil 11) (Teil 12)

Platz 40
Burial - Untrue

Wenn sich in den diesjährigen Besprechungen von Untrue eines gezeigt hat dann dass die Person die am besten über Burials Musik schreiben kann immer noch Burial selbst ist. Daher sei dafür auf die vier oder fünf Interviews verwiesen die er dieses Jahr geführt hat, ich für meinen Teil war vielleicht aufgrund von Überraschungsmangel nicht ganz so begeistert vom zweiten Album wie vom ersten. Aber auch wenn ich die diesjährigen Remixe von Bloc Party und Jamie Woon (aber definitiv nicht Thom Yorke gaah) besser fand als alles hierdrauf minus Archangel, eine der besten, stimmungsvollsten Platten des Jahres von einem derer die die Offenheit, Vielseitigkeit und Unbestimmtheit von Dubstep verkörpern ist immer noch was ganz feines.

[MP3] Burial - Ghost Hardware

Platz 39
LCD Soundsystem - 45:33

Ich war ja bis zu diesem Jahr kein kompletter Fan von LCD Soundsystem. Singles oh ja, Mixe unbedingt, aber das Debütalbum gefiel mir einfach bei weitem nicht so gut. 45:33, ursprünglich eine Auftragsarbeit für den bekannt noblen Kunstmäzen Nike, scheint das Vorurteil zu bestätigen dass LCD Soundsystem im Mix besser rüberkommen. Ein großes langes Spacefunkdancemonster mit 1000 Instrumenten von James Murphy nahezu allein eingespielt, mit Aufs und Abs, Tempo- und Rhythmuswechseln sobald es einseitig zu werden droht und einfach ein enormer Haufen Spaß. Mein Lieblingsteil des für den CD-Release in einzelne Sektionen aufgespaltenen Stückes ist wohl Teil 4, in meinem Kopf "Outer Space" betitelt. Aus dem Instrumental von Someone Great werden dafür nicht nur haufenweise begleitende Bläser aufgefahren sondern es setzt auch noch ein komplettes Trompeten-(oder Posaunen-)Solo. Gen Ende verschwindet der Beat langsam, die Bläser fallen sich organisiert ins Wort, immer wieder dasselber Motiv wiederholend, und gerade als man meinen könnte schon das Ende erreicht zu haben spielen die Trompeten mit neuer Kraft auf, Handklatscher und Percussions fallen mit ein und es geht in die nächste Sektion mit spacigem Vokodergesang. Neben dem Titelstück finden sich auf der CD-Version noch u.a. das großartige Freak Out/Starry Eyes, das im Sinne des vorhergegangenen auch aus zwei distinktiven Einzelteilen besteht aber doch besser als Ganzes gehört wird.

[Stream] LCD Soundsystem - 45:33

Platz 38
No Age - Weirdo Rippers

Gutmöglich die beste, sicherlich aber die herzlichste Liveband dieses Jahr waren No Age. Als ich mir nach ihrem Auftritt in Bonn eine CD und ein T-Shirt am Merchstand holen wollte war der Gitarrist des Duos so erfreut darüber dass ich dachte er würde mich gleich umarmen. Überhaupt scheint die vitalisierte Szene rund um The Smell, den Club in L.A. der auf dem Cover von Weirdo Rippers zu sehen ist, sehr kommunal, mit energetisch punkenden Bands wie Mika Miko, HEALTH, Abe Vigoda, Barr, The Mae Shi oder Silver Daggers von denen in jeder Woche garantiert mindestens eine dort live zu sehen ist. Am meisten Furore machten aber dieses Jahr No Age, mit Songs die rauschig dahergleiten um irgendwann in der zweiten Hälfte melodiös entladen zu werden. Selbst wenn man dieses Prinzip fast überall dort wiederfinden kann wird die Platte nicht langweilig. Bestes Beispiel dafür ist Everybody's Down das mit einem geloopten Gitarrenriff anderthalb Minuten Spannung aufbaut, live sogar noch länger. Da verließ Dean Spunt auch erstmal sein Drumkit um zu singen, kehrte dann für seinen EInsatz zurück und mit dem ersten befreienden Gitarrenanschlag sprang Randy Randall von einem Lautsprecher. Einfach aber denkwürdig. Punkrock anyone?

[MP3] No Age - Neck Escaper

Platz 37
Parts And Labor - Mapmaker

Mapmaker, das dritte Album von Parts & Labor, enthält mit dem konzentriert unruhigen Fake Rain so ziemlich meine Lieblingsperformance des Jahres in Sachen irrsinniges Getrommel, so hörbar physisch dass man sich vorzustellen versucht wie das wohl live aussehen mag. Aber auch die anderen Stücke sind eine schiere Wucht, Drummer Christopher Weingarten prescht mit frenetischem Gespiel voran und auch wenn die Rhythmen etwas vertrackt werden macht er seinen beiden Mitspielern konstant Feuer unterm Hintern. Musikalisch erinnern sie mich am ehesten an Hüsker Dü, besonders der leicht nölige Gesang von B.J. Warshaw und Dan Friel ist nicht ganz un-Mould-ig, allerdings mit in solcherlei flotten Noiserocktrios eher selten gesehenen Zwitschersynths (ein Zufall dass sie mal eine Split-LP mit Battles' Tyondai Braxton aufnahmen?) die aber problemlos mit Saiteninstrument und Schlagzeug mithalten können und der Musik eine sehr eigene Klangfarbe verpassen. [mehr]

[MP3] Parts And Labor - Fractured Skies

Platz 36
Arcade Fire - Neon Bible

Es gibt bei singulären Bands wie Arcade Fire die einen von Anfang an überwältigen und zu schwer in Worte zu fassenden Schwärmereien verleiten - im Gegensatz z.B. zu The New Pornographers bei denen man sich immer A.C. Newmans songschreiberischen Handwerks bewusst ist und weiß warum sie so gut klingen - diesen kritischen Punkt. Da beginnt man nicht mehr nur die Musik sondern auch den Menschen hinter der Musik zu hören, die bewussten Entscheidungen, das Handwerk, die Einflüsse. Da kann einiges an Zauber verlorengehen, und so ein kritisches Album ist Neon Bible. Man hört die Stadionrockeinflüsse, wie die Kanadier ihre Stärken wie z.B. Win Butlers Stimme richtig einsetzen, für große Momente bewusst zur großen Orgel greifen. Aber die Feuerprobe ist überstanden, Neon Bible ist ein verdammt gutes Album geworden. Meiner Meinung nach sogar eines das besser als Album funktioniert als Funeral, während ich bei letzterem anfangs und mittlerweile wieder lieber zu den Highlights griff ist der Zweitling wie aus einem Guss, ausgezeichnet sequenziert und belohnt das Durchhören mehr als das einzelne Anspielen.

[MP3] Arcade Fire - Black Mirror

Platz 35
Chromatics - Night Drive

Nach ewig langer neues-Mp3-auf-Myspace-Stellerei und dadurch stetig angewachsener und gespannter werdenden Fangemeinde brachte das Portlander Trio Chromatics im Herbst endlich sein erstes Album heraus. Nun, genau genommen gibt es die Band "The Chromatics" schon seit Jahren, aber in dieser Konstellation und besonders mit diesem Sound klingen sie so anders dass man eigentlich von einer neuen Gruppe sprechen muss. Wie Glass Candy wanderten sie stilistisch von No Wave zu Italo-Disco, allerdings kommen einem beim Anhören von Night Drive kaum glamouröse, glitzernde Tanzflächen in den Sinn. Vielmehr ist es eine düstere, melancholische Odyssee, stimmungsvoll dank Ruth Radelets zugleich klar und kehlig erscheinender Stimme, Adam Millers minimalistischen Gitarrengeknatters und mit Johnny Jewels metikulöser Produktion sorgfältig texturiert. Ein Album das einen langsam in seinen Bann zieht und den Tag zur Nacht macht.

[MP3] Chromatics - Healer

70 aus 2007 Teil 5

(Teil 1) (Teil 2) (Teil 3) (Teil 4) (Teil 6) (Teil 7) (Teil 8) (Teil 9) (Teil 10)(Teil 11) (Teil 12)

Platz 46
Alcest - Souvenirs D'un Autre Monde

Außerhalb von On- und Offline-Publikationen die sich Gitarrenmusik der härteren oder düsteren Gangart verschrieben haben wird man von diesem Album nicht sonderlich viel gelesen haben, dabei entspricht der hinter Alcest stehende Franzose Neige dem Klischee der rostige Nägel fressenden Kreatur der Nacht so gar nicht. Stattdessen offenbart das ausklappbare Digipack wunderschöne grüne Wälder, eine Frühlingslandschaft die ein Genuss für jeden Naturromantiker ist. Musikalisch setzt Neige zwar neben seiner vom Boden losgelösten Stimme vor allem auf E-Gitarren, doch sind deren einzelne Anschläge kaum auszumachen, sie werden so auseinanderverzerrt dass sie verwaschen, zu einer prickelnden Gitarrengischt werden. Ähnlich wie bei Jesu aber euphorischer erstrecken sich diese metallischen Shoegaze-Wellen über den Großteil des Albums, nur am Ende, beim grandiosen Tir Nan Og, muss nichts mehr elektrisch verzerrt werden. Jede Erinnerung an Metal ist verschwunden, übrig bleibt ein zarter Elfentanz im Grünen.

[MP3] Alcest - Souvenirs D'un Autre Monde

Platz 45
Animal Collective - Strawberry Jam

Wie schon mal erwähnt ist Strawberry Jam für mich das etwas enttäuschende Animal Collective-Album zu sein, so wie jeder AC-Fan irgendein Album zu haben scheint mit dem er nicht so klar kommt wie mit den anderen. Für mich liegt das hier vor allem an Feels bei dem ich die Vocals einfach mehr mochte, an den neuen Songs die AC live spielten und am Album von Panda Bear, im Vergleich zu allen dreien macht mir dieses Album einfach nicht auf voller Länge Spaß. Die Hälfte der Songs die ich mag mag ich jedoch enorm, vom cartoonig zum Wippen verleitende Peacebone über Fireworks' sanfte Explosionen bis zu Dereks Cheerleaderdrums sind hier ein paar meiner absoluten Lieblingsstücke des Jahres und des Kollektivs drauf. Auf noch mehr Glück beim nächsten Mal.

[Video] Animal Collective - Peacebone

Platz 44
Sally Shapiro - Disco Romance (US-Version)

Lange habe ich gebraucht um meinen inneren Discoschweinehund zu überwinden und die stampfenden Beats von Johan Agebjörn nicht mehr instinktiv mit grottigem Schlager zu assoziieren, doch ist es letztendlich gut dass ich erst so spät zu Sally Shapiro gefunden habe. Denn auf der zunächst in Europa erschienenen Fassung von Disco Romance waren die von Roger Gunnarsson co-geschriebenen neuen Stücke Jackie Jackie und He Keeps Me Alive gar nicht drauf, dabei sind das meine absoluten Favoriten durch die ich überhaupt erst dieser Musik verfiel.

Dabei hätte Sally Shapiros Stimme schon genügen müssen, man höre sich nur mal zum Vergleich die Originalfassung von Anorak Christmas an um zu erkennen wie viel Seele die pseudonyme Schwedin ihnen einhaucht. Währenddessen machen Agebjörns funkelnde Produktionen die instrumentale Seite herausragend, besonders in der zweiten Hälfte ab Anorak Christmas hellt sich das Album trotz Shapiros Neurosen und Melancholie immer wieder auf, erinnert mit den gesprochenen Segmenten auch mal an die Eleganz von Saint Etienne. Schon wenn ich höre wie beim zweiten "Jackie Jackie" im Refrain die Geigen einfallen bin ich wieder hin und weg, diese schwedische Sternstunde ist schlechthin mein Winteralbum 2007.

[MP3] Sally Shapiro - He Keeps Me Alive

Platz 43
A Sunny Day In Glasgow - Scribble Mural Comic Journal

Ein weiterer Grund warum ich Jahresendlisten besonders für Musikblogs die öfters neue Bands vorstellen alles andere als überflüssig finde ist dass man so mal Gelegenheit kriegt von der täglich frischen Hinweiserei Abstand zu nehmen und rückblickend die auch langfristig hörenswerte Musik hervorheben kann. Wenn man meine Archive der letzten 2 Jahre durchstöbert findet man garantiert so einige Bands die hier einmal erwähnt wurden und dann nie wieder, sei es weil dieser eine tolle Song nach drei Wochen gar nicht mehr so toll klang oder weil es etwas anderes ist ein, zwei tolle Mp3s ins Netz zu stellen als ein ganzes tolles Album zu machen. Nun, hier sind mal welche die es geschafft haben. A Sunny Day In Glasgow haben seit dem letzten Jahr ein ganzes Album voller ungewohnter Harmonien, schwer vorhersehbarer Melodieläufe und Songstrukturen fertiggestellt das nicht anstrengt sondern in anmütige Trance versetzt. Zwar erinnert das Trio so teilweise an Daydream Nation oder Shoegaze der besten Art, doch zum "Wall of noise"-ähnlichen Ausbruch kommt es nur am Ende von Track 12. Und auch nur ähnlich, wie die Stimmen der singenden Zwillingsschwestern muss dieser Ausbruch zurückstehen hinter den leisen Tönen im Vordergrund, den fabelhaften, heimlichen Melodien.

[MP3] A Sunny Day In Glasgow - The Best Summer Ever

Platz 42
The Apples In Stereo - New Magnetic Wonder

Das beste Argument für die Wichtigkeit von Alben. Ohne die vielen kurzen Zwischenspiele, Übergänge und Experimente zwischen den Songs würde Robert Schneiders Großwerk als kaum mehr wirken als eine Ansammlung von ganz netter 60s beeinflusster Popnummern mit psychedelischem Einschlag, eben das was man von einer Elephant6-Band erwarten würde. Aber in seiner Ganzheit wird das Album mit dem furchtbaren Cover zu mehr als der Summe seiner einzelnen Stücke, zu einem Meisterwerk aus Athens mit Mellotron und emotionaler Tiefe. [mehr]

[MP3] The Apples In Stereo - Energy

Platz 41
Dinosaur Jr. - Beyond

Es war bereits vor zwei Jahren beim "Monsters of Spex"-Festival zu vermuten dass die Reunion von Dinosaur Jr. weder kurzlebig noch überflüssig war. Neben der Sorge um nahenden Hörschaden raunte ein angenehmes, zustimmendes Schaudern durch die Menge als J Mascis den Gitarrenhals packte, ohne Rücksicht auf Verluste das Pedal durchtrat und zum ersten Gniedelsolo ansetzte. Jepp, sie hatten's noch drauf, und mit Beyond zeigen Lou, Murph und J dass sie auch sonst nichts verlernt haben. Als hätten sie sich nie getrennt setzt das Album auch qualitativ an die alten Großtaten an, ob Mascis nun bedächtig introvertiert, auf dem Gitarrenbrett rumtanzt oder einfach mit voller Kraft nach vorne brettert. Hätte ich kein visuelles Gegenargument gesehen, ich könnte vermuten dass da jemand einen Jungbrunnen entdeckt hat.

[MP3] Dinosaur Jr. - Been There All The Time

Weihnachten Mit Mark E Smith

Nein, dies ist nicht noch ein Link zu einem mehr oder weniger ernst gemeinten Weihnachtslied, vielmehr scheint sich Mark E Smith langsam seinem Alter entsprechend zu verhalten und wird für die BBC zum Erzählerbrille tragenden Märchenonkel. Die Weihnachtsgeschichte die er gewohnt grantelig vorträgt ist aber natürlich kein 08/15-Herzerwärmer sondern stammt von einem Herrn dessen Werke auch auf Smith einen großen Einfluss hatten: Howard P. Lovecraft.

70 aus 2007 Teil 4

(Teil 1) (Teil 2) (Teil 3) (Teil 5) (Teil 6) (Teil 7) (Teil 8) (Teil 9) (Teil 10)(Teil 11) (Teil 12)

Platz 52
Ben Frost - Theory Of Machines

Ben Frost ist zwar Australier, lebt und arbeitet aber in Island - und das hört man auch. Denn obwohl er eine Affinität für Noise hat (eins seiner Stücke heißt We Love Michael Gira, benannt nach dem Kopf der New Yorker Swans) beschwört er mit seinen Kompositionen weniger das Bild eines dunklen Kellers oder leerstehender Fabrikhallen herbei als das weiter, offener Landschaften. Musik die einen völlig umgibt, mit Spannungsbögen so groß wie Mogwais und von einer Dimension die vielleicht entstanden wäre wenn man Sigur Rós' düsterste Momente auf () quadriert hätte. Musik so vielschichtig dass man gerne lauter macht um alles aufzunehmen, bis man so unnatürliche Klänge hört dass man daran zweifelt ob man nicht gerade seine Lautsprecher geschrottet hat. Musik ohne Melodie und ohne Mensch. Wunderschöne Maschinenmusik.

[Stream] Ben Frost - Diverse Songs

Platz 51
Sambassadeur - Migration

Mein Verhältnis zu schwedischem Gitarrenpop ist gespalten: Ich höre zwar durchaus bei all den Bands die ich eigentlich mögen müsste die richtigen Melodien, Rhythmen und Strukturen, doch irgendwie ist mir die Musik letztendlich auf Albumlänge egal. Bis zu Sambassadeur. Genau so wie ich nicht weiß was die anderen "falsch" machen weiß ich nicht was diese Musik anders macht, warum sie auf mich substantieller wirkt. Migration macht strukturell alles richtig, nachdem mit dem Doppelknall von Subtle Changes und That Town (mit dem brummenden Chor im Hintergrund und der gezupften Melodie einer meiner absoluten Lieblingssongs des Jahres) die offensichtlichen Highlights am Anfang stehen wechseln sich immer ein langsames und ein schnelles Stück ab so dass keine Längen entstehen. Besonders denkwürdig werden die eingängigen Melodien durch den seufzenden, fast schon nebligen Gesang von Anna Persson, auch der nicht ganz alltägliche Einsatz eines Saxophons und die fast wie dünnes Holz klingenden Saiteninstrumente geben der Musik einen sehr eigenen Klang. Gefällt mir noch besser als das letzte Album von Camera Obscura.

[MP3] Sambassadeur - Subtle Changes

Platz 50
Dälek - Abandoned Language

Auch im 10. Jahr ihres Bestehens spielen Dälek mit ihrer Vision von Hip Hop in einer eigenen Liga. Atmosphärisch dicht mit Musik die Metal ebenso einarbeitet wie Electronica, die den Vocals weder unter- noch übergeordnet ist sondern Seite an Seite steht, mit monotonen Beats die weder träge versumpfen noch platt aggressiv rumstampfen. Und immer noch packen sie einen wie beim ersten Anhören, immer noch suchen sie neue, andere Klänge, immer noch habe ich keine Ahnung worüber MC Dälek rappt außer das Gefühl dass es nicht gerade fröhlich ist. Dass man seine Texte nachvollzieht scheint Dälek auch nicht extrem wichtig zu sein: Im Booklet sind sie in durchsichtiger Schrift gedruckt die man nur mit viel Mühe entziffern kann wenn man sie im richtigen Winkel ins Licht gehalten kriegt, sie gehen in den farbmanipulierten Fotos auf wie es Däleks Stimme in der Musik ergeht. Düstere Symbiose.

[MP3] Dälek - Paragraphs Relentless

Platz 49
Jesu - Conqueror

Ich glaube fast ob man Conqueror gut findet hängt vor allem davon ab ob man den Klang einer Gitarre mag. Nicht irgendeiner Gitarre, sondern der von Justin Broadrick alias Jesu. Lang angehaltene Töne, wenige Anschläge, und ein Hall der über jeden Baggersee reichen könnte. In Jesus herrlich dicht texturierten und detaillierten Arrangements werden die Höhen, mit Broadricks Gesang und ambienten Elektroklängen, wie die Tiefen und was darüber liegt, mit wuchtigem Bass-Gitarre-Doppelklang, bedient. Das ergibt einen Effekt wie man ihm vom Shoegaze kennt, dass man beim Höern immer wieder dazu neigt in die Ferne zu starren (oder natürlich klischeemäßig auf die eigenen Schuhe), aber verdammt, diese Platte rockt auch einfach ganz mächtig so dass man mit jedem Anschlag den Arm schwingen und den Nacken wippen lassen will. [mehr]

[MP3] Jesu - Old Year

Platz 48
Nicole Atkins - Neptune City

Nicole Atkins hat eine große Stimme und große Träume. Auf ihrem Debütalbum schneidert sie beides in Songform, so grandios orchestriert dass ein Duett mit Rufus Wrainwright nicht weit sein kann. Sie führt amerikanische Traditionen zusammen, Surfpop trifft Americana trifft Roy Orbison trifft Springsteen. Dass die Popjuwelen auf diesem Album immer auch einen düsteren Unterton haben findet sich in den Texten wieder, wie wenn Atkins im Titelstück Abschied von ihrem Zuhause nimmt und noch einmal all die Orte besucht, physisch oder im Geiste, an denen sie aufgewachsen ist: "I'll come down, walk around a while, until I'm sure I can never go home again." Rick Rubin überarbeitete die Produktion des Albums komplett als er feststellen musste dass Atkins' Stimme an Stellen wie diesen von Streichern nicht begleitet sondern erdrückt wurde, und auch wenn ich ansonsten kein großer Fan des Mannes bin bin ich ihm dafür sehr dankbar. Denn diese Stimme gehört ins Scheinwerferlicht.

[MP3] Nicole Atkins - The Way It Is

Platz 47
The Go! Team - Proof Of Youth

Ich scheine einer der wenigen zu sein der froh ist dass The Go! Team auf ihrem zweiten Album nicht groß anders klingen als auf Thunder Lightning Strike. Meine Befürchtung war ein Album mit vielen langsamen Songs und neuem, reduzierten Klang über den die Erfolgsformel vergessen wird. Aber Ian Parton und Kohorten sind den schlauen Weg gegangen und haben einen berauschenden Zweitling geschaffen der so nervig dröhnt wie eh und je. Klar sind die langsamen Songs wie das die Melodie eines Kinderprogramms sampelnde Wohlfühl-My World und das die Tonleiter ähnlich wie of Montreals Suffer For Fashion abwärts gesungene I Never Needed It So Much gut und wichtige Verschnaufpausen für die Ohren, ganz nett wäre es auch gewesen wenn das instrumentale The Ice Storm da noch irgendwo zwischen gepasst hätte, aber ich will von einer Go! Team-Platte vor allem Samples galore zu Arschwackelrhythmen, Cheerleader und Kinderchöre, bretternde Gitarren und hüpfende Xylophone. Das alles liefert Proof Of Youth mit nach wie vor tollen Hooks, und am Ende kommt noch kurz Chuck D auf Amok laufenden Geigen vorbeigeritten und legt die Bude in Schutt und Asche. Ich könnte mir Schlechteres vorstellen.

[Video] The Go! Team - Grip Like A Vice

The Mae Shi Heute Abend Im Livestream

Nicht nur hier drüben, sondern auch in den USA gibt es Seiten die ähnlich wie Fabchannel Konzerte live im Internet übertragen. Normalerweise hat man da als Europäer jedoch das Problem der Zeitverschiebung, wenn drüben der erste Akkord angeschlagen wird schläft hier der arbeitstätige Mensch schon längst. Anders ist das beim heutigen Konzert von The Mae Shi, die spielen nämlich am dortigen Mittag in einer Schule in L.A. was bei uns 10 Uhr Abends entsprechen müsste. Wer also die Choral-Punks nicht bei ihrem einzigen Deutschlandkonzert am 25. Januar in Berlin sehen kann (grmbl) könnte sich mal an folgendem Link versuchen. Ich bin mir allerdings selber noch nicht ganz sicher wie genau das funktioniert, wird man vermutlich heute Abend dann sehen.

The Mae Shi auf Stickam