Neues Von Zola Jesus, Farah


Viel besser kann das Jahr nicht beginnen: Zola Jesus war mit ihrem no-wavigen, gothig-dramatischen Popnoise vor zwei Wochen bei WNYUs stets hörenswerter "(Make The) Product"-Sendung Gast und einziges Thema, über anderthalb Stunden gibt es in der Sendung die man immer noch als Stream und Mp3 hören kann ganze 14 Stücke von ihr kredenzt. Allein die Hälfte davon wird auf ihrer kommenden Tsar Bomba-EP für Troubleman Unlimited zu finden sein, u.a. das spät aber schnell zu einem meiner Lieblingssongs 08 avancierte Rester mit seinem Monstercrescendo und das dank ihrer grandiosen (und wie sich herausstellt am Julliard-Konservatorium klassisch operesk ausgebildeter) Stimme ebenso eindringliche Sea Talk.

(Make The) Product mit Zola Jesus


Ähnlich wie das im Noise- und Punk-Untergrund verwurzelte Troubleman ein bisschen die Kehrseite seines Schwesterlabels Italians Do It Better darstellt, könnte die hoffentlich bald auf letzterem ihr Debütalbum veröffentlichende Farah kaum unterschiedlicher zu Zola Jesus sein. Mit ihrer scheinbar drogeninduziert monotoner bis kindlicher Stimme trägt sie über kosmischen Discoträumen in bester Italians-Tradition ihre öfter gesprochenen denn gesungenen Texte, manchmal auch in Farsi, vor und obwohl mich dieser Kontrast zunächst immer wieder irritiert weiß ich vom 2007er Law Of Life und mittlerweile auch vom großartigen The Blessing, einem von fünf in den vergangenen Wochen aufgetauchten Stücken auf ihrem Myspace, dass sich da durchaus Offenbarungen auftun können.

Farahs Myspace

Und Der Ganze Dreckige Rest Aus 2008

Ein paar wenige Nachträge bevor's hier wieder nach vorne geht:

Beste WTF-Jahrescharts: Die Lieblingsplatten der Zeit-Leser. Ja, ich musste auch erst googeln, 1A Trollerei.

Der AV Club punktet auch groß mit Jahresendlisten, 2008: The Year In Band Names und The Least Essential Albums Of 2008

Ben Sisarios Liste unorigineller Bands

Schönste Tonträger-Verpackung: Hatchback - Colors Of The Sun von Non-Format. In Echt sieht das noch weitaus besser aus, fantastisch abgestimmte Farbton-Kombo der viel Freiraum gegeben wird.

Konzert des Jahres: FIREINTHEHOLE, FIREINTHEHOLE, FIREINTHEHOLE, OH-OH!

Remixe des Jahres: Alles von Studio und Aeroplane.

Blog des Jahres: XXJFG

Webseite des Jahres (trotz des untrigen Bullshits): Pitchfork.tv

Songs des Jahres (Kann ich mich erstmalig zu rumringen, mit dabei sind sowohl Einzelstücke als jene welche ich gefühlt öfter einzeln als im Albumkontext gehört habe):

Aeroplane & Kathy Diamond - Whispers
Air France - Collapsing At Your Doorstep
Be Your Own Pet! - Becky
Cheap Time - People Talk
Deerhunter - Nothing Ever Happened
Die Kollaboration von !!! und The Field von der ärgerlicherweise seitdem das Originalvideo online gestellt wurde die ersten paar Minuten abgeschnitten wurden, was soll denn das? Zum Glück bin ich ja 1337, hier geht's zu den ganzen 13 Minuten.
Eine Kleine Nachtmusik - La Serenissima
Girls Aloud - The Loving Kind
Jay Reatard - I'm Watching You
Ponytail - Celebrate The Body Electric (It Came From An Angel)
School Of Seven Bells - My Cabal
The Juan Maclean - Happy House
The Long Blondes - I'm Going To Hell
The Magnetic Fields - California Girls
Volcano! - Palimpsests
Wolf Parade - California Dreamer
Zola Jesus - Rester

Zum Vergleich übrigens ganz interessant meine last.fm-Charts in den Kommentaren bei Spreeblick, die Unterschiede kommen vor allem daher dass dort unterwegs und weder auf CD noch Mp3 gehörte Sachen gar nicht einfließen und Vorab-Mp3s dafür übermäßig.

70 aus 2008 Teil 10

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Platz 7
Jay Reatard – Matador Singles 08

Dieser Text wird weitaus kürzer wenn ich einfach die weniger guten Songs auf Matador Singles 08 hervorhebe, nämlich lediglich das Deerhunter Cover Fluorescent Grey stört mit seinem psychedelischen Abdriften den Fluss einer perfekten Songsammlung die, obwohl ursprünglich in 6 einzelnen Singles erschienen, auch als Album funktioniert. Es ist als hätte Reatard eine Goldader voller poppiger, ultracatchiger Garagepopnummern entdeckt die er hier genüsslich ausmint. Die erste Hälfte geht bei aller Akustikgitarre noch in etwas punkigere Gefilde, am aufregendsten finde ich aber mittlerweile den Schlusslauf der Songs nachdem Reatard auf D.O.A. seine beste Frank-Black-Imitation raushängen lässt. No Time wendet sich melancholisch ins Introspektive (“It seems I never have the time to make my mind feel fine”) und das perfekt produzierte I'm Watching You ist einer dieser Songs den man gerne 10mal am Stück hört.

[MP3] Jay Reatard - Always Wanting More

Platz 6
Lichter – Lichter

Ein bisschen überrascht bin ich schon dass Lichter ganz so weit hier oben stehen, aber ich weiß halt erst was ich am meisten mag wenn ich mal alle Platten miteinander hörverglichen habe. Und da kam das Debüt der Band, die mich vom ersten Konzert an begeistert hat, eben noch besser weg als ich gedacht hatte. Seit den Toco-Alben um die Jahrtausendwende haben deutsche Texte nicht mehr so zu mir gesprochen wie diese, die Nähe von Persönlichen und Politischen wird nur allzu deutlich wenn Amphetamin (“Ich finde keine Ruhe mehr in dir”) hier neben Ich Bleibe Ruhig (“Diese Welt ist nicht mehr für uns reserviert. Alle Plätze belegt und nichts garantiert. Unsere guten Ideen billig und ausstaffiert und wer kann hier noch sagen wer gewinnt, wer verliert”) steht.
Musikalisch entwickeln Lichters Stücke aus vermeintlich vorhersehbaren Anfängen herliche Eigendynamik, vom Wechselspiel der Stimmen und Instrumente erzeugen sie Texturen für das Platz mit seiner Motivvariation ein Paradebeispiel ist. Was andere lediglich als Novum oder plumpe Rockgeste nutzen würden, wie den Breakbeat in Radar oder den instrumentalen Ausbruch später im selben Stück, wird hier zur denkwürdigen Klangfläche umfunktioniert. Und wem das so ausgedrückt zu kopfig klingt sei versichert dass die größte Qualität von Lichters Musik ihre Seele ist.

[MP3] Lichter - Leerer Raum

Platz 5
Los Campesinos! – Hold On Now, Youngster...

Die Sticking Fingers Into Sockets-EP war wahrlich nur ein Vorgeschmack, dieses Jahr packten die tweereichen Sieben ihre Songs in ein zunächst wunderbar überwältigendes Album, quasi als Gegenteil eines Growers, dessen Qualitäten sich erst langsam herausschälen, wurde man wenn man unvorbereitet war von der gebündelten Freude von Hold On Now, Youngster... geradezu erschlagen. Und so sehr sie sich auch für andere Bereiche des Lebens zu naiver Romantik oppositioniert zeigen (Since We Became Accelerated Readers oder noch offensichtlicher This Is How You Spell “HAHAHA, We've Destroyed The Hopes And Dreams of A Generation of Faux-Romantics” das diesen Satz großartigerweise tatsächlich als Refrain hat) strömt die Liebe zum Leben als Musikfan aus allen Ecken dieser Platte, mit Knee Deep At ATPs Erzählung einer Festivalerfahrung zu Across The Sea-Weezer-Parallelen, der Kritik an Sexismus Marke NME ...And We Exhale And Roll Our Eyes In Unison, der Durchdachtheit des Albums mit großartiger Sequenzierung (You, Me, Dancing als Zentrum und Sweet Dreams, Sweet Cheecks ist einfach die perfekte Wahl als Finale und hatte ein Dreivierteljahr vorher auch schon als Demo eines meiner Mixtapes beendet) und natürlich einem Bonustrack. Eine Band die man sich nicht besser hätte ausdenken können.

[MP3] Los Campesinos! - Death To Los Campesinos!

Platz 4
The Long Blondes – “Couples”

Zu den bedauerlichsten Vorfällen des Jahres gehörte der Schlaganfall der Dorian Cox' musikalische Aktivitäten zu einem vorläufigen Ende brachte, dabei hatten The Long Blondes gerade erst angefangen ihr volles Potential zu entfalten. Auf ”Couples” streckte die Band gleich in mehrere Richtungen ihre Fühler aus, ob mit dem PIL-mäßigen Round The Hairpin, der Todesdisco Century oder dem heimlichen Star am Ende, meinem meistgehörten Song des Jahres, I'm Going To Hell. Ausführlichere Gedanken zu dieser Platte hab ich noch mehr, viel [mehr]

[MP3] The Long Blondes - Guilt

Platz 3
Wolf Parade – At Mount Zoomer

Wenn ich nicht schon vorher davon überzeugt gewesen wäre dass At Mount Zoomer Wolf Parades Erstling in praktisch nichts nachsteht hätte das der Liveauftritt Anfang des Monats erreicht. Da schien es egal ob das nächste Stück von Kanadas bester Band nun alt oder neu war, immer schwang da dieses zauberhaft Großartige mit das den Songs innewohnt. Deutlich wurde da auch wie markant des abwesenden Hadji Bakaras unsichtbare Soundmanipulationen besonders in Kombination mit Spencer Krugs Synthwerkeln für die Musik geworden sind, Language City wurde z.B. ohne das kristallene Funkeln im Hintergrund atmosphärisch ordinärer. Der Essenz der Songs kann das jedoch nicht schaden, denn Wolf Parade bleiben weiterhin vor allem eine Rockband und auf der Basis ihrer beiden Songwriter wirken sie derzeit einfach unschlagbar.

[MP3] Wolf Parade - Language City

Platz 2
Air France – No Way Down (UK-Version)

Westküstensommer die sechste und beste. Die britische Version von No Way Down enthält neben der gleichnamigen EP auch die vorherige On Trade Winds-EP und damit schon fast das bisherige Gesamtwerk des Duos aus Göteborg. Von all der tollen Musik die derzeit aus dieser Stadt kommt ignoriert die von Air France die Gesetze der Schwerkraft am meisten, zog 2008 nichts in höhere Höhen. Ätherische Stimmen die selten singen, öfter bloß flüstern, seufzen, hauchen, schweben über oft genauso körperlos wirkenden Stücken die aber alles andere als bloßes Ambiente sind. Viel zu substantiell und catchy wirkt es wenn in Collapsing At Your Doorstep (der Nationalhymne des Landes wo Milch und Honig fließen) die Melodie beim zweiten Mal leiser angestimmt wird, auch drumherum alles leiser schlägt, nur um dann wieder mit voller Wucht und wilden Geigen durchzubrechen. Anderswo rasen die Percussions auf Caribien, plätschert Wasser an eine tropische Beach Party, läuten Kirchenglocken zur Windmill Wedding dass es sich gleichzeitig immens und völlig unbeschwert anfühlt. Dass die folgenden Lyrics bestimmt in der Hälfte aller Rezensionen dieser Platte zitiert werden beweist dass Air France auch bestens wissen was sie da geschaffen haben: “Sorta like a dream, isn't it? - No, better.”

[MP3] Air France - Collapsing At Your Doorstep

Platz 1
Gang Gang Dance – Saint Dymphna

Anders als noch 2007 kam ich mir dieses Jahr fernab vom kritischen und populären Konsens vor, interessierte mich mehr für die musikalischen Ecken die nur hier und dort mal angerissen wurden und für nur wenige der Alben die auf jeder Liste aufzutauchen schienen. So sind dann auch für mich nicht TV On The Radio die New Yorker Band der Stunde sondern Gang Gang Dance, und das nicht nur weil die ein Album hingelegt haben das so exquisit produziert ist dass man jeden Klang auf seiner eigenen Ebene kristallklar definiert raushören kann, jedes Schimmern, jeden Bass-Sound, jedes perkussive Schnappen.
Das ist nur das Mittel um das atemberaubend schöne Stilamalgam von Saint Dymphna, das sich in allen Ecken der weltweiten Musikgeschichte zu bedienen scheint, voll auszuschöpfen. In seiner Komplettheit und Frische erinnert mich der Sound gar an Disco Inferno, gleichzeitig fließt das Album abwechslungsreich wie ein Mixtape mit den Übergängen vom shoegazigen Vacuum zur Grime-Nummer Princes, die Dubstep-Sounds von Inners Pace und Afoot mit , dem Elektrotraum House Jam, das von glitzernden Synth-Wasserfällen durchzogene First Communion oder das herrlich dichte Desert Storm. Gang Gang Dance existieren mit Saint Dymphna in einem eigenen Kosmos der stets für alle äußeren Einflüsse offen ist, ein wahres Album von Welt.

[MP3] Gang Gang Dance - House Jam

70 aus 2008 Teil 9

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Platz 14
Johnny Foreigner – Waited Up Til It Was Light

Birmingham ist vielen Berichten zufolge die langweiligste Stadt Englands. Johnny Foreigner, die in den wenigen Tagen die sie dieses Jahr nicht tourten dort leben, können davon mehr als ein Lied singen: “Why'd you want to live here if there's nothing but housing?” heißt es zum Beispiel in Cranes And Cranes And Cranes And Cranes, doch ihre Musik, die ist wie um einen Gegenpol zu bilden das absolute Gegenteil von langweilig. Als gäbe es kein Morgen feuert das Trio auf Waited Up Til It Was Light Adrenalin und Gummibärchen aus allen Zylindern, mit vergnüglich-rasanten Riffs, Singalongs und Shouts zwischen Sänger und Bassistin und einer unheimlichen Menge an kleinen instrumentalen Verspieltheiten die man bei dem hektischen Tempo der Songs zunächst kaum wahrnimmt.
"Doppelt so viel spielen bei doppelter Geschwindigkeit” scheint die Devise zu sein wenn sich Stücke wie Sometimes, In The Bullring am Rande der Hysterie zu überschlagen drohen. Die vielen Drehungen auf kleinem Raum würden sich anderswo zu einem ernsten, angestrengten (oder noch schlimmer, Foals-mäßig möchtegern-anspruchsvollen) Gesamtbild summieren, bei Johnny Foreigner aber werden Momente wie der Wechsel von synthetischer zu echter Drum auf Salt Peppa And Spinderella mit selbstreferentiellen Kommentaren (“Bring out the real fun, turn on the real drums”) quittiert. Ein Album das durch alle Schablonen fällt, das zu viele gute Ratschläge ignoriert und dennoch alles richtig macht.

[MP3] Johnny Foreigner - Champagne Girls I Have Known

Platz 13
Why? – Alopecia

Vielleicht ist es nachhaltige Trauer über das cLOUDDEAD-Ende. Bisher war es bei jedem Why?-Album als würde ich nur auf den Punkt warten wo es nachlässt, wo ich endlich etwas Schlechtes drüber sagen kann, bei Elephant Eyelash z.B. verließ mich das Interesse immer in der Zweiten Hälfte. Aber bei Alopecia kann ich einfach nichts machen, jedes Mal wenn ich denke das war's kommt der nächste Hook um die Ecke gebogen (das letzte Drittel ist für mich sogar das beste) und ich bin wieder Feuer und Flamme für Yoni Wolfs einmalige Stilfusion der man keinen Namen mehr geben mag.
Da wird mit eigenartiger Stimme gerappt aber kaum über traditionelle Beats, da wird Gitarre gespielt aber nicht gerockt, da spielen Percussiontextilien im Wind der Songs und da wird hymnisch über tote Präsidenten und Sex in Hintergassen gesungen. Wenn man Why?s Namen als existentielle Selbsthinterfragung betrachtet, "Warum mache ich das eigentlich? Was ist mein Ziel? Warum gibt es cLOUDDEAD nicht mehr?”, so darf man die Antwort 2008 geben: Alopecia.

[MP3] Why? - The Hollows

Platz 12
Times New Viking – Rip It Off / Stay Awake EP

Nach zwei exzellenten ersten Alben wechselten Times New Viking zu Matador, mit selbstbewusstem Lo-Fi-Gedröhne ist Rip It Off sogar mal eben das lauteste Album des Jahres geworden. Wo das Einwickeln der Melodien in Noise und das Begraben der Instrumente hinter dicken Rauschwänden der Musik bisher vor allem einen eigenen Charme gab nutzt das Trio seinen Sound nun endgültig als Stilmittel. Sicher könnte man z.B. die Refrains von Faces On Fire und The Apt. auch “sauber” aufnehmen, aber dieses Hervorstechend-Gellende würde dabei völlig verloren gehen. [mehr]
Dass Times New Viking die Ideen nicht ausgehen bewiesen sie dann auf der ebenso famosen Stay Awake-EP, mit dem in seinem Singalong-Appeal fast schon an Folk erinnernden Pagan Eyes, der Jahrmarktorgel von No Sympathy oder dem donnerpoltrigen Hate Hate Hate gibt es gleich mehrere Indikatoren wohin uns das nächste Album bringen könnte.

[MP3] Times New Viking - (My Head) / R.I.P. Allegory
[MP3] Times New Viking - Call & Respond

Platz 11
Rings – Black Habit

Den Klang der Musik auf Black Habit zu beschreiben erscheint mir nach längerer Überlegung nicht enorm wichtig. Sicher, mit Abby Portner hat das Trio aus Manhattan die Schwester von Avey Tare an Bord und so kann man für ein paar Sekunden durch einen hallenden Schrei mal an Animal Collective erinnert werden, durch die ungewöhnlichen Stimmen vielleicht auch für ne Sekunde an Cocorosie, aber einem Vergleich oder einer Beschreibung der Musik gehen Rings fast schon aus dem Weg. Sie sind ihre eigene Referenz. Weil sie es schaffen für sich zu existieren, als wären sie die erste und einzige Band auf der Welt, nichts außerhalb des unsichtbaren Kreises der sie zusammen hält.

Der einzige der nicht abgeschottet wird ist der Hörer selbst, er sitzt in der Mitte dieses Kreises, hört dank Kria Brekkans Produktion genau woher das Schlagzeug kommt, wo Gitarre und Keyboard gerade sind. Rings wirken dazu so unbewusst und naiv als wüssten sie gar nicht dass ihnen jemand beim Spielen zuhört, einmal brechen sie sogar mittendrin in Gelächter aus. Aber auch wenn sie nicht immer perfekt den Ton treffen sind ihre Melodien unglaublich warm, einladend, bewegend und denkwürdig. Wie stets wiederkehrende Kometen umkreisen Motive elegant die Songs, Songs die meist auf einem guten alten Strophe-Refrain-Gerüst aufgebaut sind aber alles andere als wie Popsongs aus dem Radio klingen. Sollten Rings es jedoch einmal schaffen es den Super Furry Animals anno 2001 gleich zu tun, ich bin mir sicher das finale, bewundernswert schöne Teepee wäre sofort ein Welthit.

[MP3] Rings - Mom Dance

Platz 10
Deerhunter – Microcastle / Weird Era Cont.

Echt seltsam. Da machen Deerhunter zwei Alben und eine EP mit denen ich nur stellenweise etwas anfangen kann, und dieses Jahr auf einen Schlag gleich zwei Alben die endlich richtig zu mir durchdringen. Dabei sind Microcastle und Weird Era Cont. wirklich voneinander verschieden, ersteres zwar weiterhin im rauschedelischen Deerhunter-Sound gehalten aber mit echten Popambitionen und letzteres direkt im Anschluss eine Sabotage all dieser Bestrebungen. Obwohl ich beide nicht 100% gelungen finde (sonst wäre bei einem Doppelalbum der erste Platz sicher gewesen) gibt es hier zu viel Gutes als dass man sinnvoll ein einziges Album draus hätte machen können, da sind die Titelstücke, Vox Celeste mit Spector-Intro, Calvary Scars in der originalen und der blubbrig-glöckernen de- und re-konstruierten Version, Circada und Deerhunters bisherige Meisterleistung Nothing Ever Happened erst der Anfang der Highlightliste. Wunderbar auch, angesichts der vielen Alben die dieses Jahr mit entspanntem Säuseln ausklangen, dass Microcastle in einer epischen Feedbackorgie endet. Deerhunter, ihr habt einen neuen Fan gewonnen.

[MP3] Deerhunter - Nothing Ever Happened

Platz 9
Marnie Stern – This is It And I Am It And You Are It And So Is That And He Is It And She Is It And It Is It And That Is That

Es war schwer sich auszumalen wie Marnie Stern ihr letztjähriges Debüt übertreffen könnte. Nicht dass es perfekt gewesen wäre, vielmehr wirkte ihre Musik wie aus der Zukunft in unsere Gegenwart gesendet, ich bin mir auch immer noch nicht ganz sicher was sie überhaupt macht. Klar, technisch layert sie mit Saitenanschlägen und Tapping erzeugte Riffs und Grooves ihrer Gitarre zu hyperaktiven Melodiekonstrukten und macht daraus mit ihren cheerleadenden Vocals und Zach Hill an den Drums ungemein anfeuernden Positiv-Rock (“I turn this moment into something new, it's true. Are you ready to feel alive?”, “Grabbing victory out of the jaws of defeat,” “Bigger without boundaries, big enough to try, bigger than the whole world, bravest in the whole world”) aber das Ganze klingt immer noch so fremd dass es mir schwer fällt zu sagen ob sie dieses Konzept mit ihrem zweiten, weitaus eingängiger konstruierten Album nun ausgeschöpft hat oder ob das erst der Anfang war. Die Zeit wird's wohl zeigen, im Moment jedenfalls lass ich mich weiter gerne vom unglaublichen Roads? We Don't Need Roads! und The Devil Is In The Details' “Alright here we go!” auf Optimismus und Tempo 180 pumpen.

[MP3] Marnie Stern - Transformer

Platz 8
School Of Seven Bells – Alpinisms

Große Überraschungen kurz vor Jahresende wie diese sind ein Grund warum ich diese Liste erst so spät wie möglich im Jahr erstelle. Alpinisms hat mich immer wieder angenehm von den Füßen gefegt, mit in die Stratosphäre gerissen in der die Deheza-Schwestern und Ben Curtis Songs wie Half Asleep und Faces To Faces On High Places verankert haben. Doch auch auf dem Aufweg aus den Tälern begleite ich die Gipfelstürmer gern, Alpinisms ist derart herrlich bis ins Detail durchdacht dass ich die Anlage am liebsten so weit wie erträglich aufdrehe und völlig darin aufgehe, so wie alle Beteiligten am Ende in My Cabal auf die bezauberndste Weise ineinander fließen. Pure Seelenmassage bei der's mir wohlig die ganze Wirbelsäule entlang schaudert. [mehr]

[MP3] School Of Seven Bells - Connjur

70 aus 2008 Teil 8

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Platz 21
Late Of The Pier – Fantasy Black Channel

Anfangs kam mir das Debüt der Briten wie eine Neuauflage der frühen The Faint mit der Andersweltlichkeit der Klaxons vor, was durchaus ein Lob war da ich die Alben bis heute noch gerne höre, damit wären sie aber doch unter Wert verkauft. Fantasy Black Channel sticht durch sein Sounddesign hervor, durch den hervorragend umgesetzten Ideenmischmasch in dem Synthpop, Dancerock, Spaceprog und Discometal sich wild überschneiden und von einem Takt auf den nächsten ein tollkühner Gitarrenritt in einen stolprigen Ravemoment umschwingen kann. Diese Sprunghaftigkeit hält die Musik zwar aufregend, würde sie letztlich aber nur zur Kuriosität machen wenn Late Of The Pier nicht auch ein tolles Gespür für Instrumentalhooks und catchige Refrains hätten. Nicht nur aber insbesondere in ihren durchweg hervorragenden Singles von denen sich gleich ein halbes Dutzend hierauf befindet.

[MP3] Late Of The Pier - Space And The Woods

Platz 20
Los Campesinos! – We Are Beautiful, We Are Doomed

Klatschend erschallt es von den Dächern, Ways To Make It Through The Wall läutet die erste Veröffentlichung von Los Campesinos! in dieser Liste ein. “We wait at ease, ah, we wait to see oh we are waiting here for catastrophe,” singt die vereinte Truppe vermeintlich ernster als bisher, doch bei allen Hurra-Gesängen und Glockenspielen wird schnell übersehen dass es bei LC! schon immer kontrastierend dunkle Texte gab, mit gewalttätigen Metaphern und Kampfansagen an falschen Optimismus. Auf ihrer EEP We Are Beautiful, We Are Doomed überziehen sie diese Unromantik in Depri-Emogefilde ("I my star sign by asking which is least compatible withmine", "I've spend too much time on my knees next to urinals in garish Mexican restaurants, sobbing into my warm, pale palms for a better understanding of my dietary requierements", "As if I walked into the room to see my ex-girlfriend, who by the way, I'm still in love with, sucking the face of some pretty boy, with my favourite band's most popular song in the background, is it wrong that I can't decide which bothers me most?" und so weiter und so super) und absorbieren damit einen weiteren Aspekt vergangener Indiekultur in ihren Referenzkosmos, ihre Musik ist dabei fokussierter geworden (sicher auch da nicht mehr Dave Newfeld am Mischpult saß) aber noch längst nicht auf dem Boden angekommen.

Letztlich werden dadurch, dass LC! öfter das BSS-mäßige Alle-zusammen-Chaos zurückschrauben und den leiseren Sektionen Gelegenheit zu scheinen geben, Mitsing-Momente die auch live wunderbar funktionieren wie der im Titelstück (“OH WE KID OURSELVES THERE'S FUTURE IN THE FUCKING, BUT THERE IS NO FUCKING FUTURE”) umso herrlicher herausgestellt. Und obwohl über 10 Stücke eben nicht so viel Platz für Hits bleibt wie auf ihrem Album klingt WAB,WAD abwechslungsreicher, mit einem instrumentalen Zwischenspiel, dem kurios boinkenden It's Never That Easy Though, is It? (Song For The Other Kurt) und dem Bright Eyesigen Heart Swells/Pacific Daylight Time.

In Interviews haben die Bandmitglieder bereits angedeutet dass sie realistisch selbst nicht erwarten viele Jahre lang als Band zu bestehen (sie kennen sich halt in der Musikgeschichte aus), wenn diese überzogene Torschlusspanik dazu führt dass wir weiterhin so oft so tolle Musik von ihnen bekommen darf man ihnen dann wirklich nicht böse sein wenn das Ende einmal kommt.

[MP3] Los Campesinos! - We Are Beautiful, We Are Doomed

Platz 19
Studio – Yearbook 2

Westküstensommer die Fünfte, das Duo das mich mit West Coast letztes Jahr überhaupt erst auf diese sonische Entdeckungsreise schickte die dieses Jahr so viele großartige Platten zu Tage förderte. Ja, Studios zweiter Longplayer ist eine Compilation aller ihrer zauberhaften Remixe bis Anfang 2008, aber Studio machen sich jedes Stück so zu Eigen dass das hier genauso gut eines ihrer eigenen Alben sein könnte. Dass die Ergebnisse dabei so verschieden ausfallen wie das helle Wellen reitende Room Without A Key mit Feist und das meditativ-dubbige Love On A Real Train ist nur ein weiterer Grund warum Studio für mich zur Zeit zu den ganz Großen gehören. [mehr]

[Video] Shout Out Louds - Impossible (Possible Remake By Studio)

Platz 18
M83 – Saturdays = Youth

Dass Anthony Gonzalez großen Popsong schreiben kann hat er ja schon mit Don't Save Us From The Flames gezeigt, trotzdem hätte ich damals nicht gedacht dass das die beste Richtung wäre die M83 nur einschlagen könnte. Der Beweis folgte mit Saturdays = Youth, zuckersüße Melodien verpackt in Synthpop der sein volles Potential erst entfaltet wenn man ihn so laut aufdreht dass einen die Songs mit all ihren Details erschlagen können. Erst dann nimmt all die herrlichen Texturen wahr, wirkt das Zwitschern im Hintergrund von Graveyard Girl so richtig, registriert man den brodelnden Wind von Skin Of The Night mehr als flüchtig.
Fast nebenbei kann das Album auch wirklich in seiner Songanordnung als Soundtrack herhalten, von den Glücksmomenten der Singles über die Partyszene in der Couleurs gespielt wird bis zur Enddramatik des Films die sich über Highway Of Open Dreams (der Spurt zum Finale), den großen romantischen Moment Too Late und das Happy End Dark Moves Of Love entfaltet. Midnight Souls Still Remain ist zum Schluss zwar etwas zu lang für die meisten Filmcredits, dafür aber von allen epischen Ambient-Instrumentals (von denen es in diesem Jahr tatsächlich einige am Ende von Alben gab) das schönste.

[Video] M83 - Graveyard Girl

Platz 17
Lindstrøm – Where You Go I Go Too

Westküstensommer die Sechste, auch wenn Oslo nun beim besten Willen an keiner Westküste liegt. Wenn ein Typ so ein fettes, stolzes Grinsen im Gesicht kleben hat wie Hans-Peter Lindstrøm auf dem Cover von Where You Go I Go Too hat er entweder gerade einen monumentalen Scheißhaufen in deinem Klo hinterlassen oder ein monumental gutes Album fabriziert. Anfangs war mir noch unklar welcher Fall zutraf, aber irgendwann klickte es dann. Ein glorreicher Trip mit einer herrlichen Enthüllung nach der anderen, am schönsten an einem Stück anzuhören denn wenn man erst mal richtig einsteigt geht selbst das 30minütige Titelstück verdammt schnell vorüber.

[MP3] Lindstrøm - The Long Way Home (Prins Thomas Edit)

Platz 16
Ponytail – Ice Cream Spiritual

Ich weiß nicht ob's an der Musik liegt die ich höre oder ob mittlerweile generell kaum noch wer in seinen Songs ein anfeuerndes “Let's go!” ausruft. Bei Ponytail hat man mit diesen zwei Worten bereits die musikalische Maxime gefunden, Ice Cream Spiritual ist nämlich bei aller Faszination des Deerhoofschen Zwischenspiels beider Gitarristen vor allem die Show von Molly Siegel, die ihre Band wie ein betrunkener Zaubertroll auf einem Amoklauf nach vorne treibt. Das Eröffnungsstück Beg Waves ist ein perfektes Beispiel für die einer Achterbahnfahrt gleichende Dynamik von Ponytails Stücken: antreibend monoton hallt die Trommel, Siegel stößt animalische Laute aus und die Gitarren riffen los bis die Musik in einen kurzen, brachialen Ritt ausbricht. Genau so schnell kommt sie wieder zum Stehen, hält aber keine Sekunde still bevor sie wieder Anlauf nimmt und sich zu einem noch größeren, druckvolleren Gipfel aufbaut. Das Highlight des Albens ist aber Celebrate The Body Electric (It Came From An Angel), ein Paket aus purer Energie zu dessen Musikvideo in meinem Kopf Antilopen, Geparden und Usain Bolt im freundlichen Wettlauf mit einer Rakete der Sonne entgegenrennen.

[MP3] Ponytail - Celebrate The Body Electric (It Came From An Angel)

Platz 15
John Maus – Love is Real

Eigentlich schade dass ich hiervon keinen Stream finden konnte, denn wie bei kaum einem anderen Album in dieser Liste kann man sich von John Maus' Zweitling nicht anhand eines repräsentativen Songs ein Bild machen. Zumindest in der ersten Jahreshälfte waren Love Is Reals Synthpopträume meine erste Wahl wenn's erst mal dunkel wurde, von Do Your Bests Großstadtmelancholie die Maus mit Scott Walkerschem Brummen unterschreibt über Green Bouzzards unheilige Fuge, die zarte Synthlandschaft The Silent Chorus und den Nervenzusammenbruch-Flashdance My Whole World is Coming Apart Apart (den Maus grandioserweise genauso manisch performt wie ich es mir vorgestellt hatte) bis zum wirklich terrorisierenden Goblin-Horror von Tenebrae (klar, Argento-Hommage) tun sich hier in nur einem Album ganze Welten auf. Wunderbares Album für alle die keine Angst vor Stimmungswechseln haben.

[MP3] John Maus - Do Your Best