70 aus 2008 Teil 9

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Platz 14
Johnny Foreigner – Waited Up Til It Was Light

Birmingham ist vielen Berichten zufolge die langweiligste Stadt Englands. Johnny Foreigner, die in den wenigen Tagen die sie dieses Jahr nicht tourten dort leben, können davon mehr als ein Lied singen: “Why'd you want to live here if there's nothing but housing?” heißt es zum Beispiel in Cranes And Cranes And Cranes And Cranes, doch ihre Musik, die ist wie um einen Gegenpol zu bilden das absolute Gegenteil von langweilig. Als gäbe es kein Morgen feuert das Trio auf Waited Up Til It Was Light Adrenalin und Gummibärchen aus allen Zylindern, mit vergnüglich-rasanten Riffs, Singalongs und Shouts zwischen Sänger und Bassistin und einer unheimlichen Menge an kleinen instrumentalen Verspieltheiten die man bei dem hektischen Tempo der Songs zunächst kaum wahrnimmt.
"Doppelt so viel spielen bei doppelter Geschwindigkeit” scheint die Devise zu sein wenn sich Stücke wie Sometimes, In The Bullring am Rande der Hysterie zu überschlagen drohen. Die vielen Drehungen auf kleinem Raum würden sich anderswo zu einem ernsten, angestrengten (oder noch schlimmer, Foals-mäßig möchtegern-anspruchsvollen) Gesamtbild summieren, bei Johnny Foreigner aber werden Momente wie der Wechsel von synthetischer zu echter Drum auf Salt Peppa And Spinderella mit selbstreferentiellen Kommentaren (“Bring out the real fun, turn on the real drums”) quittiert. Ein Album das durch alle Schablonen fällt, das zu viele gute Ratschläge ignoriert und dennoch alles richtig macht.

[MP3] Johnny Foreigner - Champagne Girls I Have Known

Platz 13
Why? – Alopecia

Vielleicht ist es nachhaltige Trauer über das cLOUDDEAD-Ende. Bisher war es bei jedem Why?-Album als würde ich nur auf den Punkt warten wo es nachlässt, wo ich endlich etwas Schlechtes drüber sagen kann, bei Elephant Eyelash z.B. verließ mich das Interesse immer in der Zweiten Hälfte. Aber bei Alopecia kann ich einfach nichts machen, jedes Mal wenn ich denke das war's kommt der nächste Hook um die Ecke gebogen (das letzte Drittel ist für mich sogar das beste) und ich bin wieder Feuer und Flamme für Yoni Wolfs einmalige Stilfusion der man keinen Namen mehr geben mag.
Da wird mit eigenartiger Stimme gerappt aber kaum über traditionelle Beats, da wird Gitarre gespielt aber nicht gerockt, da spielen Percussiontextilien im Wind der Songs und da wird hymnisch über tote Präsidenten und Sex in Hintergassen gesungen. Wenn man Why?s Namen als existentielle Selbsthinterfragung betrachtet, "Warum mache ich das eigentlich? Was ist mein Ziel? Warum gibt es cLOUDDEAD nicht mehr?”, so darf man die Antwort 2008 geben: Alopecia.

[MP3] Why? - The Hollows

Platz 12
Times New Viking – Rip It Off / Stay Awake EP

Nach zwei exzellenten ersten Alben wechselten Times New Viking zu Matador, mit selbstbewusstem Lo-Fi-Gedröhne ist Rip It Off sogar mal eben das lauteste Album des Jahres geworden. Wo das Einwickeln der Melodien in Noise und das Begraben der Instrumente hinter dicken Rauschwänden der Musik bisher vor allem einen eigenen Charme gab nutzt das Trio seinen Sound nun endgültig als Stilmittel. Sicher könnte man z.B. die Refrains von Faces On Fire und The Apt. auch “sauber” aufnehmen, aber dieses Hervorstechend-Gellende würde dabei völlig verloren gehen. [mehr]
Dass Times New Viking die Ideen nicht ausgehen bewiesen sie dann auf der ebenso famosen Stay Awake-EP, mit dem in seinem Singalong-Appeal fast schon an Folk erinnernden Pagan Eyes, der Jahrmarktorgel von No Sympathy oder dem donnerpoltrigen Hate Hate Hate gibt es gleich mehrere Indikatoren wohin uns das nächste Album bringen könnte.

[MP3] Times New Viking - (My Head) / R.I.P. Allegory
[MP3] Times New Viking - Call & Respond

Platz 11
Rings – Black Habit

Den Klang der Musik auf Black Habit zu beschreiben erscheint mir nach längerer Überlegung nicht enorm wichtig. Sicher, mit Abby Portner hat das Trio aus Manhattan die Schwester von Avey Tare an Bord und so kann man für ein paar Sekunden durch einen hallenden Schrei mal an Animal Collective erinnert werden, durch die ungewöhnlichen Stimmen vielleicht auch für ne Sekunde an Cocorosie, aber einem Vergleich oder einer Beschreibung der Musik gehen Rings fast schon aus dem Weg. Sie sind ihre eigene Referenz. Weil sie es schaffen für sich zu existieren, als wären sie die erste und einzige Band auf der Welt, nichts außerhalb des unsichtbaren Kreises der sie zusammen hält.

Der einzige der nicht abgeschottet wird ist der Hörer selbst, er sitzt in der Mitte dieses Kreises, hört dank Kria Brekkans Produktion genau woher das Schlagzeug kommt, wo Gitarre und Keyboard gerade sind. Rings wirken dazu so unbewusst und naiv als wüssten sie gar nicht dass ihnen jemand beim Spielen zuhört, einmal brechen sie sogar mittendrin in Gelächter aus. Aber auch wenn sie nicht immer perfekt den Ton treffen sind ihre Melodien unglaublich warm, einladend, bewegend und denkwürdig. Wie stets wiederkehrende Kometen umkreisen Motive elegant die Songs, Songs die meist auf einem guten alten Strophe-Refrain-Gerüst aufgebaut sind aber alles andere als wie Popsongs aus dem Radio klingen. Sollten Rings es jedoch einmal schaffen es den Super Furry Animals anno 2001 gleich zu tun, ich bin mir sicher das finale, bewundernswert schöne Teepee wäre sofort ein Welthit.

[MP3] Rings - Mom Dance

Platz 10
Deerhunter – Microcastle / Weird Era Cont.

Echt seltsam. Da machen Deerhunter zwei Alben und eine EP mit denen ich nur stellenweise etwas anfangen kann, und dieses Jahr auf einen Schlag gleich zwei Alben die endlich richtig zu mir durchdringen. Dabei sind Microcastle und Weird Era Cont. wirklich voneinander verschieden, ersteres zwar weiterhin im rauschedelischen Deerhunter-Sound gehalten aber mit echten Popambitionen und letzteres direkt im Anschluss eine Sabotage all dieser Bestrebungen. Obwohl ich beide nicht 100% gelungen finde (sonst wäre bei einem Doppelalbum der erste Platz sicher gewesen) gibt es hier zu viel Gutes als dass man sinnvoll ein einziges Album draus hätte machen können, da sind die Titelstücke, Vox Celeste mit Spector-Intro, Calvary Scars in der originalen und der blubbrig-glöckernen de- und re-konstruierten Version, Circada und Deerhunters bisherige Meisterleistung Nothing Ever Happened erst der Anfang der Highlightliste. Wunderbar auch, angesichts der vielen Alben die dieses Jahr mit entspanntem Säuseln ausklangen, dass Microcastle in einer epischen Feedbackorgie endet. Deerhunter, ihr habt einen neuen Fan gewonnen.

[MP3] Deerhunter - Nothing Ever Happened

Platz 9
Marnie Stern – This is It And I Am It And You Are It And So Is That And He Is It And She Is It And It Is It And That Is That

Es war schwer sich auszumalen wie Marnie Stern ihr letztjähriges Debüt übertreffen könnte. Nicht dass es perfekt gewesen wäre, vielmehr wirkte ihre Musik wie aus der Zukunft in unsere Gegenwart gesendet, ich bin mir auch immer noch nicht ganz sicher was sie überhaupt macht. Klar, technisch layert sie mit Saitenanschlägen und Tapping erzeugte Riffs und Grooves ihrer Gitarre zu hyperaktiven Melodiekonstrukten und macht daraus mit ihren cheerleadenden Vocals und Zach Hill an den Drums ungemein anfeuernden Positiv-Rock (“I turn this moment into something new, it's true. Are you ready to feel alive?”, “Grabbing victory out of the jaws of defeat,” “Bigger without boundaries, big enough to try, bigger than the whole world, bravest in the whole world”) aber das Ganze klingt immer noch so fremd dass es mir schwer fällt zu sagen ob sie dieses Konzept mit ihrem zweiten, weitaus eingängiger konstruierten Album nun ausgeschöpft hat oder ob das erst der Anfang war. Die Zeit wird's wohl zeigen, im Moment jedenfalls lass ich mich weiter gerne vom unglaublichen Roads? We Don't Need Roads! und The Devil Is In The Details' “Alright here we go!” auf Optimismus und Tempo 180 pumpen.

[MP3] Marnie Stern - Transformer

Platz 8
School Of Seven Bells – Alpinisms

Große Überraschungen kurz vor Jahresende wie diese sind ein Grund warum ich diese Liste erst so spät wie möglich im Jahr erstelle. Alpinisms hat mich immer wieder angenehm von den Füßen gefegt, mit in die Stratosphäre gerissen in der die Deheza-Schwestern und Ben Curtis Songs wie Half Asleep und Faces To Faces On High Places verankert haben. Doch auch auf dem Aufweg aus den Tälern begleite ich die Gipfelstürmer gern, Alpinisms ist derart herrlich bis ins Detail durchdacht dass ich die Anlage am liebsten so weit wie erträglich aufdrehe und völlig darin aufgehe, so wie alle Beteiligten am Ende in My Cabal auf die bezauberndste Weise ineinander fließen. Pure Seelenmassage bei der's mir wohlig die ganze Wirbelsäule entlang schaudert. [mehr]

[MP3] School Of Seven Bells - Connjur