66 aus 2011 (Teil 5)

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Platz 30
Seefeel - Seefeel

Es war das erste Album, bei dem meiner Anlage das Vinylformat zum Vorteil gereichte. Ein stellenweise verschlepptes Schlagzeug gibt mit spärlichen, aber kräftigen Anschlägen eine staksige Erdung für ein Füllhorn aus noisigen Klängen, die in einem Meer aus Ätherstimmen, synthetischen Oszillationen, dubbigen Grooveläufen und knarzigen Texturen auf- und wieder abtauchen. Doch was den Albumverlauf charakterisiert, ist ein irgendwann einsetzendes Basswabern, das sich zur Mitte hin mit zunehmendem Volumen aus den Lautsprechern ausbreitet und die Rückkehr der Post-Rock-Veteranen einen guten Deut tiefenintensiver gestaltete.

[Stream] Seefeel - Dead Guitars
[Albumstream] Seefeel - Seefeel

Platz 29
Kuedo - Severant

Nachdem es rein auf dem Papier wie für mich gemacht zu sein schien, brauchte es ja doch ein wenig, bis ich mich an die dauernervöse Snareklöppelei Severants gewöhnt hatte. Aber anders als beim Teenagerschlafzimmer-vermufften ADS-Prog von Rustie machte es zum Glück mit Kuedos erhabenem Beat-Futurismus irgendwann Klick. Egal, ob die von Vangelis inspirierten glanzvollen Synths zwischen die synkopierten Beatmuster geschnipselt sind oder unterbrechungslos weit ausschweifen, ob bloß farbvolle Textur oder sich aus Einzelmotiven zur Meta-Melodie entwickelnd, immer vermitteln sie eine sehnsuchtserfüllte Weite, die nicht einmal der am weitesten nachhallende Klatscher auszuloten vermag.

[Stream] Kuedo - Ant City
[Albumstream] Kuedo - Severant

Platz 28
Kitchen's Floor - Look Forward To Nothing

Das einzige Makel am zweiten Album des Aussie-Trios ist, dass es nicht 7 Sekunden länger ist - dann dauerte es nämlich exakt 20:11 Minuten. Aber wenn Kitchen's Floor eines sind, dann ökonomisch, so shreddern, hupen und poltern sie über diese Spielzeit durch 10 ballastlose Rock-Rauheiten, ohne dabei gehetzt zu wirken. Sie brillieren darin, schnell zur Sache (Kiwipop-unterorgelte, stimmzerhallte Hooks) zu kommen, sich damit ohrwurmigst zu inszenieren und bevor ihre Wirkung nachlässt wieder von der Bühne zu verschwinden.

[Stream/MP3] Kitchen's Floor - 116

Platz 27
La Dispute - Wildlife

Mit seinen wortreichen Texten über ein Amerika im sozialökonomischen Verfall füllt der erschüttert heisere Jordan Dreyer das Booklet schon proppevoll genug, um Wildlife zu einem herausragenden Posthardcore-Werk zu machen. Doch die Musik steht dem in nichts nach, immer wieder unterstützt sie ihn in mitreißenden Studeln, Läufen, Wendungen und Brüchen, alles eingefangen in einer herrlich trockenen, effektarmen Produktion die diese Songs noch einen schmerzlichen Tick rauer und intimer wirken lässt.

[Stream] La Dispute - Safer In The Forest​/​Love Song For Poor Michigan
[Albumstream] La Dispute - Wildlife

Platz 26
The Men - Leave Home

Schon was seltsam, wie sich genau die beiden punkigen Neulinge, für die ich zu Jahresbeginn große Hoffnungen hegte, am Ende auf vielen Magazinlisten als die einzigen ihrer Gattung erwiesen. Dabei taugt Leave Home eigentlich als Album oder singuläre Ästhetik nicht sonderlich viel, ist eine zu heterogene Mischung schwerriffiger Noiserock-Songs. Doch die sind eben von einer einenden Intensität erfüllt, die jeden Augenblick aus ihnen herauszuplatzen droht, wenn es links und rechts aus allen Nähten fiept und pfeift und dröhnt und die Band mit einer verzweifelten Wüstheit spielt, als würde sie gegen ein höllenwärts fahrendes Rollband anrennen.

[Stream] The Men - Bataille
[Albumstream] The Men - Leave Home

Platz 25
Gold-Bears - Are You Falling In Love?

Luftholen wird überbewertet. Nicht nur in ihrer Rasanz und der Art, wie oft nur einen Anschlag nach dem letzten schon der erste eines neuen Lieds beginnt, sind Gold-Bears auf ihrem Debüt mehr Punk als die meisten Punk-Bands, mehr aber noch ist Are You Falling In Love? ein quietschnoisiges Indiepop-Album. Eines, das wie kein anderes Laune zum Mitemotionalisieren macht, wenn Jeremy Underwood mit Mac-McCaughaniger Exuberanz "In this city I'm invincible" über Wedding-Present-Turbojangle ausruft oder im (relativ) Slowtempo-Titelstück sein "Fuck my life" von Feedback und Streichern betrauert wird. Eines, dem an Catchyness und Energie niemand das Wasser reichten konnte. Das Indiepop-Album des Jahres. Natürlich auf Slumberland erschienen.

[Stream] Gold-Bears - Record Store
[Albumstream] Gold-Bears - Are You Falling In Love?

Platz 24
Julianna Barwick - The Magic Place

Wie bei den meisten dieser Alben war The Magic Place eines, das ich nie so gut in Erinnerung hatte wie es sich immer wieder beim Hören erwies - aber deswegen mach ich das ja auch mit all meinen Anschaffungen jeden Dezember nochmal. Gerade die aufeinandergeschichteten, wortlos weithallenden Vocals Barwicks erscheinen auch bei gelegentlich hinzugefügtem Pluckerbass oder Piano simpel, beziehen aber ihre Stärke im Wechselspiel oder Weiterreichen von Tönen und Melodien untereinander, oder einfach von der erhabenen Fülle wenn Barwick sich selbst loopend zum erhabenen Chor multipliziert.

[Stream] Julianna Barwick - White Flag
[Albumstream] - The Magic Place

Platz 23
Parts & Labor - Constant Future

Auch Parts & Labor verkündeten kürzlich ihr (zumindest vorläufiges) Ende, mit Constant Future nahm die hymnischte Noiserockband aller Zeiten dafür charakteristisch Abschied. Ob es nun stimmt oder nicht, dass das Album in einem Boxring aufgenommen wurde, anhand der polternden Einschlagswucht von A Thousand Roads z.B. würde man es allemal glauben. Mit aller Kraft bäumen sich Parts & Labor gegen alle Gründe, die ihre Texte zum Pessimismus liefern, auf und insistieren, nie weit von einem bunten Piepknarzpanorama entfernt, auf Hoffnung.

[Stream] Parts & Labor - Constant Future
[Albumstream] Parts & Labor - Constant Future

Platz 22
Andrew Pekler - Sentimental Favourites

Konzeptuell scheint sich Andrew Pekler schon lange dort zu bewegen, wo Daniel Lopatin erst gerade so richtig ankam. Von Vinylknistern und gesampelter Natur-Ambience psychedelisch eingerahmt, nutzt Pekler hier Fragmente alter Easy-Listening-Scheiben in seinen zwar unanstrengenden, aber schwer vereinnahmenden Eigenkompositionen. Wieviel davon im Detail eigen und wieviel Vintage-Schnipsel ist, vermag ich an manchen Stellen gar nicht zu sagen - selbst das physische Vinylpaket ist schön als pseudo-historisches Dokument aufgezogen - doch die technische Gesamtkomposition scheint mir, ohne dass sie es einem vors Gesicht hält, klar eine moderne - oder doch zeitlose?

[Stream] Andrew Pekler - Prelude To A Summer
[Albumauszug] Andrew Pekler - Sentimental Favourites

66 aus 2011 (Teil 4)

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Platz 39
Oneohtrix Point Never - Replica

Nach den noch recht assoziationsfreundlichen Dronescapes der Vergangenheit schaffte Daniel Lopatin mit seinem diesjährigen Oneohtrix-Album sicherlich die konkreteste Umsetzung seiner künstlerischen Vision. Recycling als Kitsch verrufener VHS-Fundstücke, das hatte er schon in seinen anderen Projekten ansatzweise betrieben. Mit dem Einbringen dieser Sampeleien in sein Hauptwerk als Oneohtrix Point Never machte Lopatin zwar nicht seine beste, aber vielfältigste Platte - wobei es vor allem die Mischung polierter und harscher Sounds ist, die mich hieran reizt, woher die kommen ist bei all ihrer Dehnung, Zerrung und sonstigen Transformation eh nicht nachvollziehbar.

[Stream] Oneohtrix Point Never - Sleep Dealer
[Albumstream] Oneohtrix Point Never - Replica

Platz 38
Rangers - Suburban Tours / Pan Am Stories

Joe Knights erste LP Suburban Tours ist zwar schon über ein Jahr alt, aber weil ich halt damit meinen Plattenspieler einweihte hat sie mich vielmehr durch die letzten 12 Monate begleitet. Es erwies sich auch als gute Vorbereitung auf das satte Doppelalbum Pan Am Stories, denn auch hier muss man erst mal in die benebelten Aufnahmen seines erschöpft dahinkriechenden Psych-Rocks eintauchen. Langsam schälen sich dann aus dem Nebel gegrillter Vocals, flattriger Synths und der beiden gniedelig bzw. klar hallenden Gitarrenspuren ein ums andere Mal so kleine, feine Halbmelodiechen raus, die der unscheinbaren Musik bemerkenswerte Langspielqualität verleihen.

[Stream] Rangers - Zeke's Dream
[Albumstream] Rangers - Pan Am Stories

Platz 37
EMA - Past Life Martyred Saints

Noch so ein Album, zu dem ich mir eine stärkere persönliche Bindung gewünscht hätte, ich kann nämlich völlig sehen wie Erika Andersons Reibeisen-Erlösungstrip so manchen zum Lieblingsalbum des Jahres wurde. Aber so groß California und Marked (oder im letzteren Falle eine lange Zeit eher klein) sind, am liebsten waren mir die dronigen Epen zu Beginn und Ende, in denen EMA richtig Anlauf nehmen konnte um mit ihrem metallenen Noise-Folk in unheilige Aschewolken abzuheben.

[Stream] EMA - The Grey Ship
[Albumstream] EMA - Past Life Martyred Saints

Platz 36
Veronica Falls - Veronica Falls

Gewiss, ihre Melancholie ist mit gothigem Beiklang und Friedhofsliebesliedern ein wenig finsterer als die der meisten. Doch was das Debüt des britischen Quartetts zur zweitbesten Indiepop-Platte des Jahres macht ist die unverschnörkelte Funktionalität, mit der sie ihre simpel gestrickten Songs hocheffizient darauf hinauslaufen lassen, einem ihren gesangsharmonischen Refrain um die Ohren zu hauen. Was sie auch mit gerechtfertigter Überzeugung machen können, fast jeder Song hierauf könnte bei anderen Bands eine hervorragende 7" hergeben - nur bringen jene anderen in der Regel auch nur eine 7" von solchem Kaliber pro Jahr, während Veronica Falls ein ganzes Album davon haben.

[Stream/MP3] Veronica Falls - Come On Over
[Albumstream] Veronica Falls - Veronica Falls

Platz 35
Thursday - No Devolución

Daran konnten auch die schlimmsten Fridmann-Exzesse nichts ändern, Thursdays letztes Album war ein würdiger Abschluss für die Gruppe, die sich im gleichen Jahr als Wegbereiter für den Post-Hardcore-Nachwuchs entpuppte. Aber Respekt wo fällig, es ist halt auch die sonische Abenteuerlust in der Zusammenarbeit mit dem König des Kaputter-Lautsprecher-Sounds, die Thursday noch mal zu neuen kreativen Glanzleistungen aufschwang. Ob in sanfter Sphärik, übersteuert polternden Lawinen oder dramatisch verhallten Soundscapes, Geoff Rickley steckt weder persönlich noch politisch zurück und malträtiert seine verwundete Stimme bis zum formidablen Screamo-Schluss.

[Stream] Thursday - Magnets Caught In A Metal Heart
[Albumstream] Thursday - No Devolución

Platz 34
James Ferraro - Night Dolls With Hairspray

Bevor der Mann mit dem Mega-Afro auf Far Side Virtual den klinischen Gadget- und App-Kosmos der digitalen Boheme vertonte, brachte er 2010 noch das weitaus tollere Nightdolls With Hairspray heraus - so spät, dass das Album eh erst am Jahreanfang bei mir ankam. Wie einst Ariel Pink intonieren hier hausgemachte Cartoonstimmen, Plastik-Riffs und Klappermaschinen verkorkste Radiohits mit fabelhaftem Hookgespür, im Gegensatz zu Pink jedoch mit einer Freude am Popkultur-Referenzieren dass man immer wieder das Gefühl haben könnte, hier sei alles nur gesampelt und geklaut. Perfekt wird der collagistische Wahnwitz schließlich, wenn die Songs ein synthetisch gegeigtes Rule Britannia vorangestellt kriegen oder unterbrochen werden, weil das Album wild durch imaginäre Radio- und TV-Kanäle der 80er zappt.

[Stream] James Ferraro - Leather High School
[Albumsampler] James Ferraro - Night Dolls With Hairspray

Platz 33
Future Balearica 2: A New Wave Of Chill

Furchtbarer Titel, furchtbar guter Inhalt. Nun, zumindest theoretisch, im Gegensatz zur Download-Variante enthielten die beiden CDs der Compilation nämlich neben einem Mix aller Stücke nur einen Teil davon auch einzeln. Aber naja, da lässt sich ja nachhelfen, denn zu durchgängig gut ist die Auswahl dieser 17 Sommerfreudenspender; von Herrn Terjes meisterlicher B-Seite über die belebteren In The Water und Need Your Love im Lee-Douglas-Remix bis zur sich bezaubernd langsam entfaltenden Panorama Suite Max Essas, zwischen denen dank der Abwesenheit von Indiegurken wie Animal Collective und The xx die Ungereimtheiten der ersten Ausgabe ausbleiben.

[Stream] Todd Terje - Snooze 4 Love
[Albumsampler] Future Balearica 2: A New Wave Of Chill

Platz 32
Merchandise - Strange Songs (In The Dark)

Es hätte mir echt was früher einfallen können, vom guten Geschmack des Labelblogs von Katorga Works darauf zu schließen, dass auch deren eigene Platten etwas taugten. Zum Glück erhaschte ich noch ein Exemplar des vielerorts ausverkauften Noisepop-Kleinods von Merchandise, das irgendwo den postpunkigen Geisterpop früher Blank Dogs mit späterem No-Age-Echopunk verbindet, aber sowohl stärkeres Songwriting aufweist als auch emotional schärferen Gesang - das muss letzterer auch sein, um gegen die Intensität der schneidenden Elektronik anzukommen.

[Stream] Merchandise - I Locked The Door
[Albumdownload] Merchandise - Strange Songs (In The Dark)

Platz 31
John Maus - We Must Become The Pitiless Censors Of Ourselves

Schon lustig mitanzusehen, wie sich der Zeitgeist in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Wurden Ariel Pink und sein Geistesverwandter John Maus vor fünf Jahren noch wenig geschätzt oder gar als Poser verachtet, die sich in ihren Klangästhetiken der Unklarheit versteckten, hat sich seitdem dermaßen viel ähnlich ausgehöhlter Musik verbreitet, dass Maus' textkryptischer Nebelsynthpop mittlerweile nicht nur auf größere Akzeptanz stößt, sondern We Must Become The Pitiless Censors Of Ourselve sogar vergleichsweise poliert erscheint - besser kamen die Songs nur noch auf seiner wirklich grandiosen Psycho-Karaoke-Liveshow rüber.

[Stream] John Maus - Believer
[Albumstream] John Maus - We Must Become The Pitiless Censors Of Ourselves

66 aus 2011 (Teil 3)

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Platz 48
Joanna Gruesome - e.p

Es gibt so einen magischen Punkt, an dem schrottige Produktion aufhört, bloß völlig kaputt zu klingen und die Musik mit diesem unfassbaren Lo-Fi-Etwas beseelt. Diesen Punkt erreichen die lose zusammengestellten frühen Aufnahmen des walisischen Indiepop-Quintetts gewiss nicht, hier wird wust drunter- und drüberkomprimiert und verhallt und gefiept und übersteuert und das von Song zu Song unterschiedlich. Doch was das schon akzeptable Pantry Girl mit dem Demoqualität-Thrasher Sugarcrush eint, ist dieses andere unfassbare Etwas: Ein fabelhaftes Gespür für Ohrwurm-Harmonien, das durchaus mit der ersten EP der Pains Of Being Pure At Heart konkurrieren kann, allerdings deutlich mehr Freude am Rumpoltern mitbringt.

[EP-Stream] Joanna Gruesome - e.p

Platz 47
Selected Label Works 3

Keine Frage, Permanent Vacation ist für mich ne Bank, höchstens DFA trifft noch öfter diesen poppigen Schnittbereich von Disco und House, in dem sich auch dieses Jahr wieder viele Feinheiten finden ließen. Und obwohl ich das weiß, haut mich auch die diesjährige Jahrescompilation des Münchner Labels wieder mit ihrer Konsistenz und mit ein paar von mir bislang völlig übersehenen Überraschungssensationen (dieser Tomahawk-Remix!) um, diesmal verteilt auf eine v.a. hitgeladene erste und stimmungsvollere zweite Silberscheibe verteilt.

[Stream] Midnight Magic - Drop Me A Line
[Albumstream] Selected Label Works 3

Platz 46
Los Campesinos! - Hello Sadness / Heat Rash 1&2

Dass Los Campesinos! eine allein auf Vinyl verfügbare Singles-Serie starteten, war der letzte Push der mich im vergangenen Jahr dazu brachte, mir doch noch einmal einen Plattenspieler zuzulegen. Zwar erwies sich das Projekt als aufwändiger als vermutet, so dass bislang nur die Hälfte der experimentier- und kollaborationsfreudigen 7"s fertig wurde, aber zwischendurch war schließlich auch noch ein neues Album zu erschaffen. Das zeigte mit neuem Fokus auf Zurückhaltung und stimmlicher Reife endgültig, dass diese Band Wege findet, über ihren Tweexcore-Initialschub hinaus zu existieren - wer hätte je gedacht, dass die You! Me! Dancing!-Kids einmal so etwas herrlich düster-erhabenes wie The Black Bird, The Dark Slope erschaffen würden?

[Albumstream] Los Campesinos! - Hello Sadness
[Stream] Los Campesinos! - Heat Rash 1

Platz 45
Ada - Meine Zarten Pfoten

Ich will gar nicht wissen, wie vielen dieses Album entgangen ist weil sie dahinter astreinen Techno vermuteten. Dabei bleibt Mein Zarten Pfoten drei Stücke lang gänzlich beatlos, mutet mit Adas Gitarrenspiel, warmen Texturen und Ambient-Samples überaus Mittelmeer-europäisch an und verstrahlt eine behagliche Entspannung, als würde man die Welt mit halb zugekniffenen Augen betrachten. Wenn dann einmal Beats verhalten einsetzen, sind auch sie nur im Dienste von Stimmung, Songwriting und bereichernden Sounddetails, die mit oder ohne Kopfhörer die gemütliche Intimität eines Balkonien-Urlaubs verströmen.

[Stream] Ada - Likely
[Albumstream] Ada - Meine Zarten Pfoten

Platz 44
Wild Flag - Live @ The Troubadour, West California, 02.11.2011

Wenn Carrie Brownstein in Nothing "We've got nothing left to lose" singt, könnte sie fast auch "to prove" dort einsetzen. Allein Wild Flags gleichnamiges, für mich etwas zu trocken produziertes Album blieb noch den Beweis schuldig, dass sie eine überragende Band sind, zum Glück gibt's ja Liveaufnahmen wie diese (etwas leichter zu finden dürfte der nicht minder gute NPR-Mitschnitt sein). Dort hört man von Anfang an den Spaß am gemeinsamen Rumholzen in ohnehin tollen Songs, wenn sich die Stimmen gutlaunig überschlagen, vor allem aber kommt hier Janet Weiss' Powerspiel voll zur Geltung, das auch ausgedehnte Jamversionen von Racehorse zu ungemein druckvollen Höhepunkten antreibt.

Platz 43
Delicate Steve - Wondervisions

Herrlich: Gebt einem inspirierten jungen Mann nur viele Instrumente und wenig zu tun, schon kommen dabei Wondervisions heraus. Weniger delikat als abenteurlustig verzahnt Steve Marion seine regenbogenfarben verfremdeten Gitarrenläufe über R&B-Grooves, die er sich aus ein paar Schlagzeugüberresten selbst zusammengekleistert zu haben scheint. Egal ob polyrhythmisch elektrisiert oder im medidativen Plastikdrone blubbriger Billigsynths, nie steht dieses Album seinem Cover in Sachen Farbenfreude nach.

[Stream/MP3] Delicate Steve - Butterfly
[Albumstream] Delicate Steve - Wondervisions

Platz 42
Young Galaxy - Shapeshifting

Das Beispiel macht Schule: Nach Young Galaxy haben sich nun auch die schwedischen Mary Onettes darauf eingelassen, ihren Sound von Dan Lissvik von Grund auf neumöblieren zu lassen. Und wer könnte es ihnen verdenken, bei diesem Ergebnis? Die träumerisch-schwelgerischen Melodien des kanadischen Trios werden in Lissviks zentimetergenau verwinkelte Produktion eingerahmt, gleichzeitig vermittelt er der Musik ein Gefühl von Freiheit, als würde sie elegant über eine dubbige Winterlandschaft gleiten.

[Stream] Young Galaxy - Peripheral Visionaries
[Albumstream] Young Galaxy - Shapeshifting

Platz 41
Deaf Wish - Mercy

Es kann gar nicht genug betont werden, wie viele sagenhaft lebhafte Gitarrenbands in letzter Zeit in Australien (und Neuseeland natürlich) ihr Unwesen treiben. Beachtet wird das landesaußerhalb wohlgemerkt kaum, zu naheliegend sind der US-Journaille die müden Lokalheroen. Ob Deaf Wish hiermit große Wellen hätten schlagen können ist aber auch fraglich, zu durcheinander und zerbrechlich erscheint anfangs die Abwechslung aus Flugnonnen-Jangle, noisigen Krachern, melancholischen Leerräumen oder Sonic-Youth-Schiefheit (inklusive einer herrlich Gordonesken Sängerin) - doch wird damit erst die emotionale Labilität ihrer Songs so richtig unterstrichen, und je öfter ich diese sehr spezielle Mischung höre, desto eigener und aufregender erscheint sie mir.

[Albumstream] Deaf Wish - Mercy

Platz 40
Tycho - Dive

Scott Hansen ist Grafikdesigner - ein sehr guter, wie man dem Cover seines Werkes als Tycho ablesen kann. Gerade seinen Sinn für die Anordnung von Einzelelementen und die Auffrischung klassischer Stile hat er erfreulicherweise ebensogut auf seine Musik angewendet, in der er mit analogen Synthesizern und digitalen Schlepptopbeats das macht, was er als Fan am besten kennt: balearisch besaitete Strandgemälde, für die Vocals keine Notwendigkeit, aber ab und an eine Bereicherung sind. Und die er nicht selbst beisteuert - seine Grenzen kennt er offenbar auch ganz gut.

[Stream] Tycho - Hours
[Albumstream] Tycho - Dive

66 aus 2011 (Teil 2)

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Platz 57
Patrick Wolf - Lupercalia

The Bachelor wirkte 2009 wie ein Alles-oder-nichts-Schritt. Eine ambitionierte, fanfinanzierte Eigenveröffentlichung, deren Erfolg Grundbedingung nicht nur für eine Fortsetzung, sondern überhaupt für die künftige Kreativexistenz des Musikers Patrick Wolf zu sein schien. Doch weil seine Musik eben vor allem vom wechselhaften Leben des Menschen Wolf bestimmt wird, folgte statt der geplanten Fortsetzung ein neuer Pop-Anlauf. Darin erklärt The City die Stadt zum Feind der Liebe, argumentiert House fürs Sesshaftwerden im Naturidyll und schwärmt Slow Motion dermaßen überzeugend von "Breathless Devotion", dass man diesem Mann jegliche Inkonsequenz nachsehen möchte.

[Stream] Patrick Wolf - The City
[Albumstream] Patrick Wolf - Lupercalia

Platz 56
Times New Viking - Dancer Equired

Wenn das mal keine Vorzeigediskographie ist: Angefangen bei Siltbreeze, weiter zu Matador und nun sind Times New Viking mit Album Nr. 4 die Zelte bei Merge aufgeschlagen. Dementsprechend auch mit weniger Rambazamba, Dancer Equired zelebriert Midwest-Wintermelancholie in braunkörnigen Studioaufnahmen, mit denen das Trio den Velvets nahe wie nie kommt ohne bei aller Reife den Blick auf die eigenen Song- und Singqualitäten zu verlieren.

[Stream] Times New Viking - No Room To Live
[Albumstream] Times New Viking - Dancer Equired

Platz 55
Moonface - Organ Music Not Vibraphone Like I'd Hoped

Nach der Marimba & Shit-Drums-EP folgt der zweite Teil von Spencer Krugs neuem Soloabenteuer erneut unter Beschreibung der darauf dominanten Instrumente. In 5 hypnotischen Langform-Kompositionen dreht Krug auf billigen Vintage-Orgeln Kreise um sich selbst, kredenzt impressionistische Geschichten aus Montrealer Partygesprächen und Meeresparabeln, die sich erst im Entstehungsprozess auf das ursprünglich als beat- und wortlos geplante Album geschlichen haben - selbst wo es bereits angekündigt ist, darf man also gespannt sein, wie Krugs kollaboratives nächstes Moonface-Werk ausfallen wird.

[MP3] Moonface - The Way You Wish You Could Live In The Storm
[Albumstream] Moonface - Organ Music Not Vibraphone Like I'd Hoped

Platz 54
M83 - Hurry Up, We're Dreaming

Etwas merkwürdig, dass Hurry Up, We're Dreaming so extreme Reaktionen ehrvorrief, war es doch ziemlich genau das, was ich mir von einem M83-Doppelalbum erwartet hätte. Da waren diese Momente, in denen man inmitten grandioser Synth-Ausstöße vor lauter Euphorie die Fäuste gen Himmel recken wollte, aber halt auch Songs auf der Suche nach einem guten Hook und umgekehrt. Und das auf etwa anderthalb mal soviel Musik wie sonst verteilt, was die Hörbipolarität zwischen Hingerissenheit und Erschöpfung etwas verstärkte. Aber es sagt glaube ich auch etwas über M83, dass ich seine Songs selbst dann noch mag, wenn ich sie in meinem Kopf jetzt immer so höre.

[Stream] M83 - Midnight City
[Albumstream] M83 - Hurry Up, We're Dreaming

Platz 53
Gatto Fritto - Gatto Fritto

Gatto Fritto ist sicher der Freund aller Mixmacher. Seine Sternendisco ist dermaßen fluide, stimmungsvoll und uneffekthascherisch, dass seine Stücke wunderbar vielseitig verwendbar sind. Als delikate Verschnaufpause vor und nach der ganz großen Nummer, als schwelgerisch-belebter Übergang von Tanz- zu Traumwelt oder einfach als elegantes In- oder Outro, immer wieder ist mir der Engländer die letzten Monate zu Ohren gekommen. Schönerweise funktioniert das alles auch so ausfallsfrei gut auf seinem Debütalbum, das eben diese Stücke stimmig versammelt und ihnen einen physischen und zeitlichen Raum nur für sich allein spendiert.

[Stream/MP3] Gatto Fritto - Hex
[Albumstream] Gatto Fritto - Gatto Fritto

Platz 52
Architecture In Helsinki - Moment Bends

Nach den overten Schrägheiten der Vergangenheit, die mir mit der Zeit Places Like This doch ziemlich versauert haben, verschrieben sich die Australier erfreulicherweise diesmal der synthetischen Klarheit ihres Albumcovers. Oberflächlich zumindest, denn unter all dem für ihr Label Modular typischen Pop-Glanz versteckten sich inmitten der Zuckermelodien auch allerlei unvermutete Verzerrungen und spinnerte Samples - nur eben so subtil eingebunden, dass man sich ihrer eigentlich erst dann erfreuen konnte, wenn man nicht bereits vor der allgemeinen Klangästhetik geflüchtet war.

[Stream] Architecture In Helsinki - Sleep Talkin
[Albumstream] Architecture In Helsinki - Moment Bends

Platz 51
Zodiac Free Arts Club - Floating World

Wenig unterstreicht das in den letzten Jahren aufgeloderte Kraut-Interesse so gut wie das Wirken Argyris Theofilis'. Der belebte nämlich nicht nur den Namen Zodiac Free Arts Club für dieses Projekt, sondern zudem die kollaborativen Berliner Sessions selbst, die vor Jahrzehnten unter diesem Namen liefen. Auf Floating World schauen so zumindest im Geiste Göttsching, Popol Vuh, Hillage oder Schulze vorbei und kriegen im Ausgleich dafür Stücke nach sich benannt - andächtiger kann Hommage kaum sein.

[Albumstream] Zodiac Free Arts Club - Floating World

Platz 50
Milk Music - Beyond Living EP

Während es in Sachen Indie Rock ein ziemliches Scheißjahr war, rumpelt es in raueren Gefilden dafür momentan ganz vorzüglich. Ein frühes Indiz dafür gab das Debüt der Amerikaner, das so spät im letzten Jahr über den Atlantik kam dass es eigentlich erst 2011 so richtig genossen werden konnte. Doch dieser Genuss kommt so schnell wie er lange anhält, heiseres Hüsker-Raunen intensiviert wuchtig bassierte Riffs über sechs flotte Songs, die mehr zu bieten haben als die meisten Bands über doppelt so viele.

[Stream] Milk Music - Beyond Living

Platz 49
Walls - Coracle

Was 2011 für mich auch war, war das Jahr in dem ich wohl mit Abstand die meisten Dance- und sonstwie elektronischen Alben für mich entdeckte. Darunter waren gar nicht mal so viele Neulinge, viele waren wie Walls welche, die ich schon vorher mochte, deren Debütalbum mir aber rundum nicht so gefallen hatte. Mit Coracle war das sicher nicht der Fall, hitzegetränkte Traumtänze die mit verzückt entfremdeten Vocals zum Bad in ihrer Klangwolke einladen und wie eine entspannte Variante des letztjährigen Chemical-Brothers-Meisterstücks Further wirken.

[Stream] Walls - Raw Umber/Twilight
[Albumstream] Walls - Coracle