66 aus 2011 (Teil 7)

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Platz 12
Iceage - New Brigade

Auch nach fast einem Jahr bin ich hin und weg von der kalten Macht dieses Albums. Rostmetallisch schaben die Gitarren mit postpunkiger Kantigkeit in lichtlose Kellerräume hinein, doch die Energie, mit der sie und die Rhythmussektion zu hoffnungsarm monochromem Gesang durch die Finsternis rauschen, ist eine rastlos punkige. Und doch sind es ein ums andere Mal nicht Atmosphäre und Impetus, sondern die simpel eingängigen Melodien, die einen so mitreißen und diese knappen Kleinode in einem kalten Rausch hindurchziehen lassen.

[Stream] Iceage - You're Blessed
[Albumstream] Iceage - New Brigade

Platz 11
Katy B - On A Mission

Als wären die 7 (sieben!) tollen Singles nicht schon Ausnahmestatus genug, war ich vom Debüt Katy Bs spätestens dann vollends hingerissen, sobald ich die Kopfhörer aufsetzte. Wo so viel überkomprimierte Musik (nicht nur Pop) jeglichen Sinn für Raum, Detail und Dynamik zum Fenster rausschmeißt im verzweifelten Versuch, nicht vom nächsten Song in der Radioplayliste übertönt zu werden, war On A Mission höchstwillkommener Hörgenuss. Klar, schließlich müssen diese Produktionen delikat und präzise der souligen Stimme-von-nebenan Katy Bs Platz lassen, ihre treffendst beobachteten Songs über Erlebnisse im Club und unter den Lichtern der Großstadt lassen On A Mission mit seinen bunt gemischten Clubsounds selbst wie eine unprätentiöse Pendeltour durch die Londoner Wochenendnacht wirken.

[Stream] Katy B - Broken Record
[Albumstream] Katy B - On A Mission

Platz 10
Hatchback - Zeus & Apollo

In einem Jahr, in dem New Age-Sounds so einigen als Inspiration dienten, war Sam Grawes sicher nicht der populistischste oder experimentellste Ansatz. Klar, hegte er doch anders als viele, die einfach zu jung sind um mit ihr als elitistischem Geschmackstabu aufgewachsen zu sein, schon lange eine verbotene Liebe für die verborgenen Meisterstücke des Genres. So prangt auf der Rückseite von Zeus & Apollo das Motto "New Age without shame", wer hier nun aber megakäsige Preset-Plastikorgien vermutet, wird enttäuscht. Die sechs Stücke sind vielmehr anmutige Zeitlupengleitflüge aus Vintage-Synthmaschinerie, sanft und doch bestimmt arrangiert - da darf natürlich eine kleine Enya-Hommage nicht fehlen.

[Stream] Hatchback - The Violet Sequence
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Platz 9
Nadia Oh - Colours

Es geht das Gerücht um, Nadia Oh gäbe es gar nicht. Kein Wunder, bei solchen Videos, die wie einen glitchigen CGI-Popstar aus dem Rechner porträtieren. Kein Wunder, bei der Steifheit ihrer Robotune-Stimme, die stets gedehnt, verpitcht, zerhäckselt und rekombiniert wird und soundboardartig identische Geräuscheffekte ("Boom!" "Ha!" "Brah!" "Yup!" "Rawr!") reproduziert. Kein Wunder, wirken doch ihre Texte, als hätte dafür eine Maschine trendende Twitter-Hashtags (#swag #katemiddleton #moombahton #omglol) durchsucht und mit dem Restzeitgeist der letztjährigen Clubsong-Thematik daraus Popsongs zwischen M.I.A., Ke$ha und Moombahton zu frankensteinen versucht. Inmitten aller Retro-Debatten ist Colours so ein hypergegenwärtiges Popalbum, wie es nur in der ersten Jahreshälfte 2011 erscheinen konnte. Und ein glorreiches. Berauschend fliegen einem über zerstörungslustigen Beats Glöckchen und Sirenen um den Kopf, während ravige Funkelsynths unwiderstehlich penetrante Hooks in den Raum feuern und gelegentlich in digitalem Sprühregeln explodieren. Nadia Oh gibt unmenschlich verzückt dazu das genial-hirnverbrannte Epitom der Partyhedonistin, immer auf der Jagd nach dem nächsten Kick, was dazu führt, dass auch dieses ausfallsfreie Popalbum in seiner schieren Mit-sich-selbst-Berauschtheit letztlich jeden Hörwiderstand überwindet.

[Stream] Nadia Oh - Takin Over The Dancefloor
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Platz 8
Kate Bush - 50 Words For Snow

Liebe Leute: Ich möchte ja auch sagen, dass Elton John in seinem Gastauftritt emotional überzieht. Dass das Titelstück zu lang ist. Ich fand ja auch die Single zunächst besorgniserregend. Die Sache ist nur die, dass diese Songs alle erst kommen, nachdem einen Kate Bush mit wenig mehr als Klavier und tiefer gerutschter Stimme eine halbe Stunde in wohlige, sinnliche, andächtige Schneepoesie gewickelt hat. Da erscheint der Quäkrefrain des Wild Man auf einmal in stimulierender Abenteuerlust, setzt das Duett einen dramatischen Emotionskontrapunkt. Vor allem aber wird klar, wie bewusst Kate Bush selbst die potentielle Überzogen- und Albernheit all ihrer Ideen ist und sie diese mit herrlicher Unernstigkeit ("Phlegm de neige"!) untergräbt. Selbst damit ist es sicher kein Album für Jedermann - aber dann stünde ja auch nicht der Name Kate Bush vorne drauf.

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Platz 7
Liturgy - Aesthetica

Da ich Black Metal am liebsten mochte, wenn er Waldromantik versprühte, war das Thema mit Alcest für mich schon länger rum. Aestheticas gleißender Gitarrenstrom ist ohnehin näher dran an z.B. Brancas The Ascension, nur noch übergipfelt von Hunter Hunt Hendrix' frenetischem Kreischen rasen diese dichten Wellen von nicht minder lückenlosen Perkussionswänden getrieben auf und ab, in mathigem Zickzack und Abhack hin und her. Selbst die trashige Aufnahme kann diese helle Intensität nicht verbergen, die Liturgy auch dank gelegentlicher Zwischenspiel-Erdung makellos aufrecht erhalten und sich dermaßen immer wieder in kathartischen Eruptionen übertrumpfen, dass der finale Track schließlich imposant an allen vier Wänden rüttelt.

[Stream] Liturgy - High Gold
[Albumstream] Liturgy - Aesthetica