Juli 2014: Driver Friendly, f(x), Human Abfall, Joyce Manor, The Raveonettes, Total Control, United Nations



Driver Friendly - Unimagined Bridges
 

In Sachen Trompeten-Emo hatten Driver Friendly 2014 harte Konkurrenz: sich selbst. Ihr Debütalbum Bury A Dream erschien zumindest digital ebenso wie dessen Nachfolger, nachdem ihr Label es wie hier beschrieben vor zwei Jahren aus allen Stream- und Downloadangeboten entfernt hatte. Doch den Vergleich muss Unimagined Bridges nicht scheuen, auch aus den komplexer gewobenen Klangsträngen bohren sich goldige Melodien wie einst aus Broken Social Scenes Kuddelmuddel-Sound.

 


f(x) - Red Light
 

Ein schlechteres Jahr für die koreanische Musikindustrie auf so ziemlich allen Ebenen ist kaum denkbar: Ganz zu schweigen von der landesweit traumatischen Schiffskatastrophe, dem Autounfall von Ladies Code und dem tödlichen Bühnenunglück beim 4Minute-Konzert, die wochenlang alles paralysierten, kam es über einen haarsträubenden Skandal und Vertragsstreit nach dem anderen zum Ende oder zumindest Umbruch mehrerer der größten Gruppen wie SNSD, Wonder Girls, KARA und natürlich der mal wieder unter ihre optimale Mitgliederzahl geschrumpften Nine Muses.

Auch die Zukunft von f(x) ist ungewiss, doch bevor ihre Promotion dafür frühzeitig abbrach, brachte das Quintett mit seinem dritten Album mal wieder ein Pop-Glanzstück heraus. Genauso wie sich f(x)s Auftreten der sonst in Girlgroup-Zirkeln verbreiteten binären Rollenwahl zwischen entweder kindlich-unschuldig und erwachsen-sexy verweigert, treten auch ihre Songs aus Konventionen aus: Vom futuristischen Stampfen des Titelstücks über die 8bit-Invertierungen des zuckenden Spit it Out bis zu Rainbows nahtlosen Dynamikschwüngen über diesen K-i-l-l-e-r-Hook, auch ohne die charakteristischen Stimmen und ihre ineinander fließende Chemie würde man sie von keiner anderen Band erwarten.

 


Human Abfall - Tanztee Von Unten
 

„Völlig! Abgebrannt!“, quillt es aus Vokalist Flavio Bacon in „Schuldenschnitt 1997” heraus, das noch mit am ehesten von allen Stücken einem songhaften Refrainmuster folgt. Zwar wiederholen Human Abfall melodische Arrangements, rhythmische und textliche Muster, doch die instrumentale Ausführung ihres noisigen Rock/Punk/Post-Punks kann dabei von Mal zu Mal variieren. Der Grundton ist identisch an den Stellen im Titelstück, wo sich die Gitarre in ähnlich hellem Scharren erhebt, doch weder spielt sie jeweils die gleiche Tonfolge noch ein kühnes Solo im Scheinwerferlicht. Diese Songs sind nicht zum Mitsingen und Klatschen entworfen, ihr zerrfreudiges Wallen und Kratzen fordert Aufmerksamkeit, kein seeliges Abschalten. [MEHR]

 


Joyce Manor - Never Hungover Again
 

Joyce Manor sind nicht die einzigen, die ihren angerauten Pop-Punk/Post-Hardcore aufs Nötigste reduziert halten, die mehrfache Strphen- und Refrainwiederholung scheuen sie ebenso erfolgreich wie ein Tony Molina. Warum auch aus einem Schley ein großes Ding machen, wenn man ein gelungenes Hauptmotiv über zwei Minuten nur mal ein Bisschen variieren oder intensivieren muss, um mitzureißen? Besonders gut gelingt es ihnen aber, Never Hungover Again insgesamt in einem ebenso mitreißenden Fluss durchrauschen zu lassen, anstatt die Songs als diskrete Miniaturen ohne Zusammenhang zu versammeln.

 


The Raveonettes - Pe'ahi
 

Ein Lehrstück für den Unterschied zwischen Verzerrung als kunstvoll inszenierter Ästhetik und als Nebenerscheinung einer notgedrungenen - oder einfach faulen - Lo-Fi-Soundqualitätsbeschränkung. Dass Pe'ahi zu Ersterem zählt, merkt man einfach daran, dass es umso schöner und distinktiver wird, je lauter man es dreht und in tatsächlicher Lo-Fi-Qualität von bspw. 128 kbps-MP3s deutlich weniger effektiv ist. Produzent Justin Meldal-Johnson kennt sich mit der richtigen Art von Verzerrung und voluminös klangbildender Lautstärke aus, die er zuletzt vor allem bei M83 und Paramore phänomenal zum Einsatz brachte. Hier jetzt nur über Sound und Produktion zu schwafeln, mag wie merkwürdige Prioritätensetzung anmuten, doch ist Pe'ahi nun mal ein Raveonettes-Album, und das ist nun mal ein Raveonettes-Album, das nun mal ein Raveonettes-Album ist und so weiter. Das Duo hat von seinen Anfängen in Noir-Lackierung an immer das Stilisierte über etwaige Garage-Authentizität gesetzt, und so wird dieses Album eben deswegen so großartig, weil in dessen mannigfaltig in Zerrung und Glättung ausgereiztem Sound endlich das Potential ihrer Songs konsequent zur Fülle getrieben wird. Wenn es schön wird, dann wird es verdammt schön; wenn es laut wird, dann wird es LAUT.

 


Total Control - Typical System
 

In vieler Hinsicht ist Typical System ein typisches Melbourner Musikhighlight: Die Protagonisten sind alle aus mindestens einem halben Dutzend anderer Bands bekannt, Mikey Young ist nicht nur als Produzent, Ton- oder Mastering-Ingenieur, sondern auch musikalisch dabei und der Stil an sich retro-trächtig. Das Jangle-Garage-Spektrum lassen Toal Control in new-wavigem Post-Punk aber ebenso weit hinter sich wie gemütliche Nostalgie, Typical System ist angepisst bis hilflos über das Jetzt und klingt auch so, in einer Hin- und Hergerissenheit, die so modern wie fesselnd ist.

 


United Nations - The Next Four Years
 

Dass die politischen Inhalte so weit wie möglich im Vordergrund des wuchtigen Hardcore-Konglomerats stehen sollen, wird neben Bandname und Artwork ja auch darin klar, dass das Identifizieren der anderen Mitglieder neben Geoff Rickly schon mehrere Sekunden an Googlerei oder einen Blick ins Booklet erfordert. Doch nicht nur gesanglich, auch in Songs wie Meanwhile On Main Street ist das Heraushören der Band-DNA keine Wahnvorstellung, das wie eine Thursday-Nummer mit auf die Converge-Spitze getriebenen Chaos-Peaks daherkommt. So zündend, wie man sich das nur vorstellen kann, ist dieses Album eben auch - und darüber hinaus sogar hervorragend als Begleitung zum Rasenmähen geeignet.

 

Juni 2014: Black Bananas, Gold-Bears, Kitten, Low Life, Mark Barrott, M.O.B., Phantogram, Rat Columns, White Hex, White Lung, Wussy, Young Marco



Black Bananas - Electric Brickwall
 

Wenn schon psychedelisch, dann auch rischtisch: Electric Brickwall ist nicht mit einer betaglichen Vintage-Nostalgiescheibe verwechselbar, denn wenn Jennifer Herrema sich aus dem Fenster lehnt, dann springt sie auch gleich noch kopfan hindurch. Wo andere Grasenthusiasten mich mit sporadischen Auswüchsen von knödeligem Funk und, Schockschwerenot, so etwas wie Sprechgesang nur anöden können, zieht Herrema sowas in einem derart gesamtschrägen Rahmen auf, dass es statt ausgestellter Exzentrizität glatt wieder als Normalität durchgeht. Dass dahinter noch mehr steckt, hört man am deutlichsten auf Eve's Child - da singt sie inmitten von Fuzz und wüst sprudelndem Neonblubbern "My best pal is a goner/ She can't come back if she wanna".

 


Gold-Bears - Dalliance
 

Das zweite Album von Jeremy Underwoods schrammelnder Indiepop-Band macht ohne Bremspedal exakt so weiter, wie ihr Debüt aufhörte: mit gefärbtem Schwarzweiß-Artwork und einem Song namens Yeah, Tonight. Gleichwohl verbirgt sich unter identischem Titel ein anderer Inhalt, doch die Güteklasse von Gold-Bears’ bravourösem Popgepolter ist wie auch im Folgenden erstaunlicherweise hoch geblieben. Ihr Gitarrenrauschen ist in einem etwas weniger abgedämpften Lo-Fi-Klang sogar noch lebhafter geworden, mit Bläsern, grellem Orgeln und Schellen reichhaltiger akzentuiert und in grenzchaotischen Momenten wie dem polternden Zerfall von Death With Drums so kontrolliert wie der pausenlose Übergang der tighten Meist-unter-drei-Minüter von einem stürmischen in einen sanften. [MEHR]

 


Kitten - Kitten
 

Dass Produktion im Pop genauso vom Wesen des Songs untrennbar sein kann wie bei konventionell experimenteller Musik, ließe sich gut an den Debüts von Sky Ferreira und Kitten demonstrieren. Beide bringen extrem rauschig-verzerrte Klangästhetiken an 80er-Wavepop, doch beide Alben könnten in dem konkreten Sound des anderen nie so gut funtionieren: Während Ferreiras oft nur rudimentärem Songwriting und brodelndem Arrangement der rohe, ungemasterte Sound atmosphärisch-intim bestens steht, ist alles auf Kitten von hellst leuchtender Glampolitur überzogen, weswegen damit einhergehend die Verzerrung noch kaputter und zerfaserter ist. Chloe Chaidez hat Songs wie G#, deren fein gesponnene Harmonien all dem Treiben um sie herum standhalten, und die ihres Bombasts würdig sind, wie wenn sich Cathedral taktelang über lauter wuchtendes Trommeln steigert und im Saxophonschrei gipfelt.

 


Low Life - Dogging
 

Das dritte Album in der Runde, die R.I.P Society im Juni auf einen Schlag losließ, ist zugleich das beste und am schwersten beschreibbare. Irgendwie PiL-postpunkig ziehen Low Life in Dream abstrus verschichtetes Gitarrenwetzen über kaum auszumachend dumpfem Beat auf, drücken in Speed Ball dann aber fluchend und vollbrünstig aufs Verzerrerpedal. Statt Machismo klingt im hübsch verquollenen M.E aber eine gewisse Wehmut durch, wie auch wenn Friends anklagt: "All my friends, they’re fucking scum. Jaded and bitter and faded and twisted". Dogging stinkt, von seinen dreckigen Tapeten bröckeln Schimmel und Schmutz und wahrscheinlich weiss es selbst nicht so recht, was es mit sich anfangen soll. Gehört zu werden, das verdient es aber.

 


Mark Barrott - Sketches From An Island
 

Seinen Höhepunkt wie auch sein Ende schien das von Anfang über ein Verwirr-, Versteck- und Pseudonymitätsspiel selbstmythisierte Label International Feel 2012 mit der gleichnamigen Compilation erreicht zu haben, nach der erst einmal nichts Weiteres in Sicht schien. Doch nach seiner öffentlichen Selbstenthüllung und dem Umzug von Uruguay nach Ibiza trieb Chef-Fühler Mark Barrott das Leichtigkeits-Revival nochmal mühelos im Alleingang auf die Spitze: Sketches From An Island ist eine grazile New-Age-Suite aus Balearic mit meditativer Zupfgitarre, weichem Disco-Boogie, Handperkussion in einem Meer aus Wellenrauschen und Vogelzwitschern und Synths, die zu bodenverhaftet im Tropenwald oder im Sonnenuntergang an der Küste schwelgen, um ins All abzuheben – Glückseligkeit währt hier am längsten.

 


M.O.B. - M.O.B.
 

Den Sechssaiter lassen M.O.B. aus Sydney – der Vollständigkeit halber: Al Haddock von Raw Prawn und Yuta Matsamura von Oily Boys – zwar nicht beiseite, doch gibt er nur metallen krächzende Einwürfe in ihre Höllenvisionen. Hilflos muss man mitanhören, wie sich das eröffnende Dante (F.T.P) unter massiv nachhallendem Maschinendrum-Stampfen und bassig brodelnder Synthoszillation ausbreitet, dass man sich in die Rolle eines Lovecraft-Protagonisten versetzt sieht. Wie in panischer Flucht vor dem Unheil, das hinter ihm rumort, wirft City Circle grellhohe Töne nach vorne, fast schon verständlich sind hier die barschen Vocal-Einwürfe, die anderswo zum röhrenden Phantom verzerrt werden. Genau erfassen können muss man sie nicht, denn M.O.B. beschreiben das Grauen nicht, sie evozieren es in bemessen langsamem Tempo flüssig vorantreibend, so dass es wie in Endtimes keinen Unterschied macht, wenn keine Stimme zu Hören ist: Deren Launigkeit drückt bereits die Musik aus.

 


Phantogram - Voices
 

"Mit seinem zweiten Werk ist dem Duo mindestens ein halbes erstklassiges Electropop-Album gelungen" schrieb ich da zunächst, aber kaum ein anderes Album hat sich seitdem so in meiner Gunst erhöht wie dieses. Immer wieder gab es da diese Fragmente, die sich schon nach einem Hören im Hirn festgesetzt hatten um dann nach Wochen des Schlummerns wieder aufzutauchen, bis ich dann irgendwann feststellte, dass immer wieder ein anderes davon zu diesem Album zurückführte. Der Kauf war so allein schon deswegen imperativ, damit ich im Zweifelsfall immer erstmal zu Voices greifen konnte, wenn sich wieder etwas auftat, doch mittlerweile bin ich auch mit dem Album als Ganzem so angetan, dass ich mich lieber ganz durchfresse als einzelne Krumen rauszupicken.

 


Rat Columns - Leaf
 

Das zweite Rat-Columns-Album steht fast schon unpassend im stets etwas angerauten Labelkatalog von R.I.P. Society da: Unter erhellendem Synth-Schein haben die Songs den rhythmischen Drive, das fetzig-verzahnte Janglegitarren-Doppel und vor allem die höchst eingängigen Melodien, um auch als recht amerikanisches Produkt durchzugehen – bis dann diese blassen Vocals kraftlos einsetzen. Auch ohne wattigen Hallsound wird ein Aufbäumen wie in Pink Mist so wattig weich, als als hätte wer aus die Luft rausgelassen, wenn die Songs ihren Gesang mitschleppen müssen, der mit seinem Noncharisma glatt wieder charismatisch wird – und traumhaft zarte Instrumentalpassagen wie in Sixteen damit bestens komplementiert.

 


White Hex - Gold Nights
 

Das Goth-Präfix könnten White Hex für den Synthpop ihres zweiten Albums fast schon ablegen. Wirkte ihr 2012er Debüt noch, als hätte Jimi Kritzler die Musik seiner Hauptband Slug Guts reduziert und den letzten Pfiff vergessen, findet das Melbourner Duo mit „Gold Nights“ zu imposantem Eigencharakter. Keine Spur von Schmutz, Splittern und Körnern, „Paradise“ zieht elegant auf wie eine hell erleuchtete, kühle Kristallbaute, die als Tragnetz für Tara Greens Vocals jeden Synthton schillernd amplifiziert. Ihre Stimme verhält sich jedoch emotional derart kontrolliert, dass der Optimismus ihrer Worte über einen Neuanfang deutlich, aber nicht überzogen euphorisch ist. [MEHR]

 


White Lung - Deep Fantasy
 

Mit Album Nr. 3 sind White Lung zwar auf eines der größten Indie-Labels Europas aufgestiegen (wenn nicht gar das größte), doch abgesehen vom etwas massivereren Sound ist eigentlich alles auf Deep Fantasy beim Alten geblieben. Heißt: White Lung praktizieren Punk immer noch als wuchtige Dampfwalze, die zu überrollen sucht was sich ihr in den Weg stellt, aber dabei einiges an Abdrücken hinterlässt. Mish Way wütet und grollt so klar verständlich wie das durchaus gleichermaßen markante Gitarrensirren Kenneth Williams, was ihnen diesseits der 3-Minuten-Marke reichlich Gelegenheiten gibt, sich im Gedächtnis einzuritzen.

 


Wussy - Attica!
 

Kaum zu glauben, aber nach mehr als zehn Bandjahren ist Wussys fünftes reguläres Album das erste, das seinen Weg endlich auch mal nach Europa gefunden hat. Der Zeitpunkt könnte kaum besser sein: Auf Attica! führt das Quintett aus Cincinnati seine bildstarken Erzählungen mit facettenreichem Spiel zu Songs zwischen Sommertraum und totaler Desillusion zusammen. Schon der erste und letzte Song des Albums sind zwei der schönsten Zurückblicker des Jahres und könnten dabei kaum unterschiedlichere Gefühle transportieren. Während Teenage Wasteland das erste jugendliche Von-Rockmusik-mitgerissen-Werden euphorisch zelebriert, ist Beautiful selbst nicht minder mitreißend, doch statt eines "When the kick of the drum lined up with the beat of your heart" wiederholen Lisa Walker und Chuck Cleaver im Finale inmitten abgebrannter Ruinen "20 years ago I was more beautiful than I am today". [MEHR]

 


Young Marco - Biology
 

Biology ist das Ergebnis einer Detailarbeit, im Großen wie im Kleinen. Der Amsterdamer Produzent Marco Sterk stellt seinem Debütalbum die luxuriöse Schönheit einer schimmernden Klangpalette in wohlbemessener Intensität voran: Glocken und gamelanartig anmutende Perkussionsmelodien umranken kosmische Analogsynth-Bepinselung über feinfühligem Houseantrieb, wobei Biology Theme nicht mal einen Beat braucht, um auf den unfassbar weiten Ozean loszusegeln. [MEHR]

 

Mai 2014: Ben Frost, Especia, Fatima, Full Ugly, Hundred Waters, Sharon Van Etten



Ben Frost - A U R O R A
 

Die leisesten Momente kann es durchaus auf einem der lautesten Alben des Jahres geben - wenn es denn so einen luxuriös großen Dynamikumfang besitzt wie dieses. Ich muss bei A U R O R A die Anlage schon ordentlich hochdrehen, bevor überhaupt die weniger auffälligen Sounds des Albums voll gerundet wahrnehmbar werden, doch Frost ist ein Meister des Sounddesigns und so werden bei entsprechender Lautstärke auch die massiven gewaltigen Lärmeruptionen nicht unerträglich. Da gibt's dann erst die volle Wirkung des Wummerbass-Herzschlags, klappernder Stockperkussionen, Sirren und Glockenläuten, Blast-Beats und einer Neonmelodie inmitten der verfiepten Kakophonie. Nicht dass das eine Überhand nimmt macht die titanische Dimension dieses Albums aus, sondern dass Laut und Leise einander in Wechselwirkung zu mehr Tiefe verhelfen.

 


Especia - Gusto
 

Den Zickzack der kulturellen Aneignung von Especias Vaporwave-Pop muss man zum Glück gar nicht erst zu durchblicken versuchen, um reichlich Gefallen an Gusto zu finden: Deutlich über Karaoke-Niveau, doch mehr auf Lebhaftigkeit denn Perfektion ausgelegt sind die Vocals der umso glatter-geschmeidigeren Disco/Funk/Jazz/Soul-Hybride, die ohne Scheu vor professionell furiosen Saxophon-Soli und kantigen Synth-Extremitäten übersommerlich dahingrooven. Hauptsache, dass dabei auch die Melodien abwechselnd cool und uncool sind. [MEHR]

 


Fatima - Yellow Memories
 

Wie so manches ist mir bei der Musikauffassung hierzulande das Verständnis von R&B fremd, das alles daran zu setzen scheint, nur die milchbrotigsten Auswüchse als hörenswert zu präsentieren. Tanzbar darf es nicht sein, zu stimmkräftig und poppig irgendwie auch nicht und wenn's dann mal besonders subtil und fein wird, ordnet man's lieber und Soul oder noch woanders ab. So tourten Fatima oder Bilal hierzulande vor allem durch Jazzclubs und -festivals, womit sie nicht so selbstverständlich als Teil des großen bunten R&B-Spektrums wahrgenommen werden wie in den USA. Dabei besitzt schon allein das Debüt Yellow Memories der Schwedin eine bemerkenswerte Klangspannweite, die vom satt orchestral instrumentierten Eröffnungsstück bis in Kollaborationen mit Londoner Untergrund-Beatschauflern geht und dabei immer im mannigfaltigen Groove bleibt. [MEHR]

 


Full Ugly - Spent The Afternoon
 

Full Ugly lassen sich mehr Zeit als die meisten anderen. Ihr Debüt nahm die Band um Nathan Burgess bereits 2011 auf, seitdem zog Gitarrist Michael Caterer nach Brooklyn, veröffentlichte dort als Mitglied von Scott & Charlene’s Wedding ein Album und debütierte auch mit seinem eigenen Bandprojekt Shorts, noch bevor Spent The Afternoon das Licht der Welt erblickte. Es passt aber auch zu einem Album, das sich in Songs wie Mt Barker, Hanging Around oder No Plans mit emotionalem Bleigewicht am Bein dahinschleppt. Clevererweise haben sich die Melbourner die flotteren – wobei “flott” wirklich ein relativer Begriff ist – Songs für die zweite Hälfte des Albums aufgehoben, so dass ihm selbst bei den gemütlichsten Hooks nie ganz die Puste ausgeht. Ein Hoch auf das Flanieren!

 


Hundred Waters - The Moon Rang Like A Bell
 

Wenig ist doofer als wenn sich Jahrzehnte nach Kraftwerk immer noch einer Rhetorik von wegen "zeitgemäß dank Elektronik" um Bands bemüht wird, die dann nichts Neues oder vor allem Eigenes machen. Hundred Waters sind eine nach dem Kriterium wohl irgendwie moderne Band, die aber auf ihrem zweiten Album auch etwas aus ihren Möglichkeiten macht: Völlig eigen wirkt mitunter schon die Soundkonstellation, die sie erzeugen, aber nicht um der Neuheit willen sondern um ihre spezielle Form von Leichtigkeit zu vermitteln. Über Distanzen, Echo, Texturen, Formen und Farben evozieren sie diese weichen und doch fundierten Stimmungen, voller perlender Melodien und rhythmischer Komplexitäten und zielbewusster Dynamiken können ihre Songs gänzlich sublim bleiben oder ganz unerwartet himmelhochjauchzende Prächtigkeit offenbaren. In der Regel aber ist ihr Traumpop einer (und darum auch schwerer zu greifender), der sich mehr über Zustände als über Songmomente oder Entwicklungen mitteilt.

 


Sharon Van Etten - Are We There
 

Schockschwerenot, ich habe mir ein Folk(iges)-Album gekauft? Nuja, auch wenn ich des öfteren über alte Bärte mit Gitarre witzele ist es nicht so, als hätte ich prinzipiell was gegen bestimmte Ausbildungen der songlichen Erzählung, nur gibt es halt extremst selten ein Album, das ich lieber hören würde als Musik anderer Machart. Are We There ist so in mindestens einer Hinsicht ein Ausnahmealbum. Unverblümt hängen die Worte an einer Stimme, die dafür die Tragkraft besitzt und auch dafür, um mit dem gleichermaßen emotionalen Gewicht der Melodien und Arrangements an einem Strang zu ziehen, bis beide in ihrer Wirkung untrennbar werden. Sicher können diese Songs auch in roher Akustikform weiter fein sein, aber Sharon Van Etten bringt alles so denkwürdig zusammen, dass ich dafür einfach keinen Bedarf habe.

April 2014: Brody Dalle, Golden Retriever, Ought



Brody Dalle - Diploid Love
 

Auch wenn die präzise thrashende Drum Machine, über der Brody Dalle die Songs ihres Solodebüts entwarf, für die Studioaufnahmen mitunter von Menschenhänden ersetzt wurde, ist Diploid Love von klarer Strichführung geprägt. Oft sind die einzelnen Saitenanschläge zu hören, egal wie breit sich der Nachhall vor allem der Lead ausflänzt, die (meist ebenfalls von Dalle eingespielten) Rhythmusgitarren und Bässe sind so klar voneinander separiert, dass sie ebensowenig zur übermischten Rocksuppe verschmelzen wie die frontal positionierten Vocals oder gelegentlich aufflammenden Blechbläser. [MEHR]

 


Golden Retriever - Seer
 

Wenn verschiedene Arten von Drone-Sound kategorisiert werden, dann wohl vor allem in analog oder digital, und selbst das wird man kaum als gängige Karteireiter in Plattenläden vorfinden. Was oszilliert, das oszilliert, woher ist oft weniger wichtig als wohin. Ohnehin sind die Vermischungsoptionen mannigfaltig, eine analoge Klangquelle kann man in einen Hardware-Sequencer leiten oder auch per Software live oder nach freiem Gedünken weiterverarbeiten. Einen etwas anderen Mischsound produziert das Duo Golden Retriever, der seinen starken Eigencharakter aus Jonathan Sielaffs Bassklarinette im Mit- und Gegenwirken zum Analog-Synth von Matt Carlson bezieht. Allein das langgezogene Bläserseufzen in Flight Song inmitten bassiger und bassloser Synthplinker wäre schon phänomenal hypnotisch genug, aber dann sickert ein zauberhaftes Melodiespiel Carlsons durch die Atmosphäre in die Weite des Kosmos, der um diese Hauptattraktion des Albums herum in immer wieder anderen Ansätzen erforscht wird.

 


Ought - More Than Any Other Day
 

Großes Kratzen und was dahinter. So wunderbar staksige und angeschmirgelte Gitarren wie die von Ought gab es lange keine mehr, ohne dass es gleich in ein Retrofest ausartete. Wenn sie nicht ausgerechnet aus Montreal kämen, hätten sie damit genausogut auf Dischord gepasst, so jedenfalls hängt Matt Mays Keyboard immer wieder eine spröde Wärme um die nervöse Stimme von Tim Beeler und zieht sie weit vom derzeit durchaus frugalen Feld der Posthardcore/Postpunk-Mischbemühungen. Und so nehmen sich Ought denn auch in denkwürdiger Weise vernachlässigten Songformaten wie dem Immer-schneller-Werder an, wenn Today More Than Any Other Day erst nichtig, dann behäbig schlenkernd beginnt und erst am Mittelpunkt richtig loslegt, aufgeputscht von Beelers nonstop Verbalschwall - auch so eine Technik, die nur Bands einsetzen können, die nicht auf eine Klanglandschaft mit schönem Ausblick setzen.