Juni 2014: Black Bananas, Gold-Bears, Kitten, Low Life, Mark Barrott, M.O.B., Phantogram, Rat Columns, White Hex, White Lung, Wussy, Young Marco



Black Bananas - Electric Brickwall
 

Wenn schon psychedelisch, dann auch rischtisch: Electric Brickwall ist nicht mit einer betaglichen Vintage-Nostalgiescheibe verwechselbar, denn wenn Jennifer Herrema sich aus dem Fenster lehnt, dann springt sie auch gleich noch kopfan hindurch. Wo andere Grasenthusiasten mich mit sporadischen Auswüchsen von knödeligem Funk und, Schockschwerenot, so etwas wie Sprechgesang nur anöden können, zieht Herrema sowas in einem derart gesamtschrägen Rahmen auf, dass es statt ausgestellter Exzentrizität glatt wieder als Normalität durchgeht. Dass dahinter noch mehr steckt, hört man am deutlichsten auf Eve's Child - da singt sie inmitten von Fuzz und wüst sprudelndem Neonblubbern "My best pal is a goner/ She can't come back if she wanna".

 


Gold-Bears - Dalliance
 

Das zweite Album von Jeremy Underwoods schrammelnder Indiepop-Band macht ohne Bremspedal exakt so weiter, wie ihr Debüt aufhörte: mit gefärbtem Schwarzweiß-Artwork und einem Song namens Yeah, Tonight. Gleichwohl verbirgt sich unter identischem Titel ein anderer Inhalt, doch die Güteklasse von Gold-Bears’ bravourösem Popgepolter ist wie auch im Folgenden erstaunlicherweise hoch geblieben. Ihr Gitarrenrauschen ist in einem etwas weniger abgedämpften Lo-Fi-Klang sogar noch lebhafter geworden, mit Bläsern, grellem Orgeln und Schellen reichhaltiger akzentuiert und in grenzchaotischen Momenten wie dem polternden Zerfall von Death With Drums so kontrolliert wie der pausenlose Übergang der tighten Meist-unter-drei-Minüter von einem stürmischen in einen sanften. [MEHR]

 


Kitten - Kitten
 

Dass Produktion im Pop genauso vom Wesen des Songs untrennbar sein kann wie bei konventionell experimenteller Musik, ließe sich gut an den Debüts von Sky Ferreira und Kitten demonstrieren. Beide bringen extrem rauschig-verzerrte Klangästhetiken an 80er-Wavepop, doch beide Alben könnten in dem konkreten Sound des anderen nie so gut funtionieren: Während Ferreiras oft nur rudimentärem Songwriting und brodelndem Arrangement der rohe, ungemasterte Sound atmosphärisch-intim bestens steht, ist alles auf Kitten von hellst leuchtender Glampolitur überzogen, weswegen damit einhergehend die Verzerrung noch kaputter und zerfaserter ist. Chloe Chaidez hat Songs wie G#, deren fein gesponnene Harmonien all dem Treiben um sie herum standhalten, und die ihres Bombasts würdig sind, wie wenn sich Cathedral taktelang über lauter wuchtendes Trommeln steigert und im Saxophonschrei gipfelt.

 


Low Life - Dogging
 

Das dritte Album in der Runde, die R.I.P Society im Juni auf einen Schlag losließ, ist zugleich das beste und am schwersten beschreibbare. Irgendwie PiL-postpunkig ziehen Low Life in Dream abstrus verschichtetes Gitarrenwetzen über kaum auszumachend dumpfem Beat auf, drücken in Speed Ball dann aber fluchend und vollbrünstig aufs Verzerrerpedal. Statt Machismo klingt im hübsch verquollenen M.E aber eine gewisse Wehmut durch, wie auch wenn Friends anklagt: "All my friends, they’re fucking scum. Jaded and bitter and faded and twisted". Dogging stinkt, von seinen dreckigen Tapeten bröckeln Schimmel und Schmutz und wahrscheinlich weiss es selbst nicht so recht, was es mit sich anfangen soll. Gehört zu werden, das verdient es aber.

 


Mark Barrott - Sketches From An Island
 

Seinen Höhepunkt wie auch sein Ende schien das von Anfang über ein Verwirr-, Versteck- und Pseudonymitätsspiel selbstmythisierte Label International Feel 2012 mit der gleichnamigen Compilation erreicht zu haben, nach der erst einmal nichts Weiteres in Sicht schien. Doch nach seiner öffentlichen Selbstenthüllung und dem Umzug von Uruguay nach Ibiza trieb Chef-Fühler Mark Barrott das Leichtigkeits-Revival nochmal mühelos im Alleingang auf die Spitze: Sketches From An Island ist eine grazile New-Age-Suite aus Balearic mit meditativer Zupfgitarre, weichem Disco-Boogie, Handperkussion in einem Meer aus Wellenrauschen und Vogelzwitschern und Synths, die zu bodenverhaftet im Tropenwald oder im Sonnenuntergang an der Küste schwelgen, um ins All abzuheben – Glückseligkeit währt hier am längsten.

 


M.O.B. - M.O.B.
 

Den Sechssaiter lassen M.O.B. aus Sydney – der Vollständigkeit halber: Al Haddock von Raw Prawn und Yuta Matsamura von Oily Boys – zwar nicht beiseite, doch gibt er nur metallen krächzende Einwürfe in ihre Höllenvisionen. Hilflos muss man mitanhören, wie sich das eröffnende Dante (F.T.P) unter massiv nachhallendem Maschinendrum-Stampfen und bassig brodelnder Synthoszillation ausbreitet, dass man sich in die Rolle eines Lovecraft-Protagonisten versetzt sieht. Wie in panischer Flucht vor dem Unheil, das hinter ihm rumort, wirft City Circle grellhohe Töne nach vorne, fast schon verständlich sind hier die barschen Vocal-Einwürfe, die anderswo zum röhrenden Phantom verzerrt werden. Genau erfassen können muss man sie nicht, denn M.O.B. beschreiben das Grauen nicht, sie evozieren es in bemessen langsamem Tempo flüssig vorantreibend, so dass es wie in Endtimes keinen Unterschied macht, wenn keine Stimme zu Hören ist: Deren Launigkeit drückt bereits die Musik aus.

 


Phantogram - Voices
 

"Mit seinem zweiten Werk ist dem Duo mindestens ein halbes erstklassiges Electropop-Album gelungen" schrieb ich da zunächst, aber kaum ein anderes Album hat sich seitdem so in meiner Gunst erhöht wie dieses. Immer wieder gab es da diese Fragmente, die sich schon nach einem Hören im Hirn festgesetzt hatten um dann nach Wochen des Schlummerns wieder aufzutauchen, bis ich dann irgendwann feststellte, dass immer wieder ein anderes davon zu diesem Album zurückführte. Der Kauf war so allein schon deswegen imperativ, damit ich im Zweifelsfall immer erstmal zu Voices greifen konnte, wenn sich wieder etwas auftat, doch mittlerweile bin ich auch mit dem Album als Ganzem so angetan, dass ich mich lieber ganz durchfresse als einzelne Krumen rauszupicken.

 


Rat Columns - Leaf
 

Das zweite Rat-Columns-Album steht fast schon unpassend im stets etwas angerauten Labelkatalog von R.I.P. Society da: Unter erhellendem Synth-Schein haben die Songs den rhythmischen Drive, das fetzig-verzahnte Janglegitarren-Doppel und vor allem die höchst eingängigen Melodien, um auch als recht amerikanisches Produkt durchzugehen – bis dann diese blassen Vocals kraftlos einsetzen. Auch ohne wattigen Hallsound wird ein Aufbäumen wie in Pink Mist so wattig weich, als als hätte wer aus die Luft rausgelassen, wenn die Songs ihren Gesang mitschleppen müssen, der mit seinem Noncharisma glatt wieder charismatisch wird – und traumhaft zarte Instrumentalpassagen wie in Sixteen damit bestens komplementiert.

 


White Hex - Gold Nights
 

Das Goth-Präfix könnten White Hex für den Synthpop ihres zweiten Albums fast schon ablegen. Wirkte ihr 2012er Debüt noch, als hätte Jimi Kritzler die Musik seiner Hauptband Slug Guts reduziert und den letzten Pfiff vergessen, findet das Melbourner Duo mit „Gold Nights“ zu imposantem Eigencharakter. Keine Spur von Schmutz, Splittern und Körnern, „Paradise“ zieht elegant auf wie eine hell erleuchtete, kühle Kristallbaute, die als Tragnetz für Tara Greens Vocals jeden Synthton schillernd amplifiziert. Ihre Stimme verhält sich jedoch emotional derart kontrolliert, dass der Optimismus ihrer Worte über einen Neuanfang deutlich, aber nicht überzogen euphorisch ist. [MEHR]

 


White Lung - Deep Fantasy
 

Mit Album Nr. 3 sind White Lung zwar auf eines der größten Indie-Labels Europas aufgestiegen (wenn nicht gar das größte), doch abgesehen vom etwas massivereren Sound ist eigentlich alles auf Deep Fantasy beim Alten geblieben. Heißt: White Lung praktizieren Punk immer noch als wuchtige Dampfwalze, die zu überrollen sucht was sich ihr in den Weg stellt, aber dabei einiges an Abdrücken hinterlässt. Mish Way wütet und grollt so klar verständlich wie das durchaus gleichermaßen markante Gitarrensirren Kenneth Williams, was ihnen diesseits der 3-Minuten-Marke reichlich Gelegenheiten gibt, sich im Gedächtnis einzuritzen.

 


Wussy - Attica!
 

Kaum zu glauben, aber nach mehr als zehn Bandjahren ist Wussys fünftes reguläres Album das erste, das seinen Weg endlich auch mal nach Europa gefunden hat. Der Zeitpunkt könnte kaum besser sein: Auf Attica! führt das Quintett aus Cincinnati seine bildstarken Erzählungen mit facettenreichem Spiel zu Songs zwischen Sommertraum und totaler Desillusion zusammen. Schon der erste und letzte Song des Albums sind zwei der schönsten Zurückblicker des Jahres und könnten dabei kaum unterschiedlichere Gefühle transportieren. Während Teenage Wasteland das erste jugendliche Von-Rockmusik-mitgerissen-Werden euphorisch zelebriert, ist Beautiful selbst nicht minder mitreißend, doch statt eines "When the kick of the drum lined up with the beat of your heart" wiederholen Lisa Walker und Chuck Cleaver im Finale inmitten abgebrannter Ruinen "20 years ago I was more beautiful than I am today". [MEHR]

 


Young Marco - Biology
 

Biology ist das Ergebnis einer Detailarbeit, im Großen wie im Kleinen. Der Amsterdamer Produzent Marco Sterk stellt seinem Debütalbum die luxuriöse Schönheit einer schimmernden Klangpalette in wohlbemessener Intensität voran: Glocken und gamelanartig anmutende Perkussionsmelodien umranken kosmische Analogsynth-Bepinselung über feinfühligem Houseantrieb, wobei Biology Theme nicht mal einen Beat braucht, um auf den unfassbar weiten Ozean loszusegeln. [MEHR]