Von Uli am 16. August 2009, 16:31
Viel an Livemusik gibt es vom Freitag nicht zu rekapitulieren, den Großversammlungen blieb ich fern und machte nicht mal vom Festivalticket Gebrauch, der Eintritt zum Tanzabend Studio 672 war nämlich umsonst. Zu sehen gab es im Rahmen drei norwegische Elektronikexporte, alle etwas heftiger drauf als die übliche Bartträgerriege. Besonders hervorzuheben wäre hier der einzige Auftritt mit Gesang,
Taigatrost und ihr Begleiter trugen beide zu Beginn überdimensionierte Fellmützen und erinnerte mich mit ihrer verstärkt verzerrten Stimme ein wenig an Regina oder The Knife, möglicherweise lag das aber auch einfach an der nordischen Inflektion. Die Instrumentalmelodien gingen leider ein wenig zugunsten von Bass und Gesang unter, schade deswegen dass ich im Nachhinein nichts Hörbares von ihr im Netz finden kann.
Der Samstag bot dann einen Abend der Steigerungen. Dank verpasster Bahn kam ich ne halbe Stunde zu spät am Offenbachplatz an wo offenbar schon anderthalb Auftritte vergangen waren, ich kriegte nämlich gerade noch ein Stück von den Nordengländern
The Chapman Family mit. Die machten grundsätzlich wenig anders als 90% englischer Gitarrenbands der letzten paar Jahre, waren aber durchaus kompetent, auch auf der melodischen Seite und hoben sich noch am ehesten mit einem vollen, trockenen Knarzen im Sound ab. Besonders beim Finale wirkte ihr Rock 'n Roll dann aber absurd routiniert, wie bei vermutlich jedem anderen Auftritt auch simulierte der Sänger mit seinem Mikrofonkabel eine Erhängung, der Bassist schwang sein Instrument zielsicher um seine Schulter ohne seine imposante Haartolle zu runieren und malträtierte ebenso wie der Gitarrist sein Instrument mit einer Bierflasche. Nette Show, aber wie gesagt fürchte ich ist der Zauber spätestens dann vorbei wenn man genau das gleiche Finale ein zweites Mal erlebt.
Dann wurde erst mal umgebaut und ich konnte meinen ersten Eindruck bestätigen, auf der anderen Seite des Platzes waren immer noch (Floh-)marktstände aufgebaut, was eine das Bühnengeschehen amüsant kontrastierende Familienatmosphäre erzeugte, auch weil dort mal ein paar Kinder rumliefen. Umso merkwürdiger dass ausgerechnet die für diverse Exzesse berüchtigten
Black Lips als Nächstes auftreten sollten. Die waren aber erst mal vor der Bühne anzutreffen, unterhielten sich gemütlich mit ihren Fans und waren wie sich herausstelle auch später nicht in Stimmung zum Hosen runterlassen, vielleicht lag's am sonnigen Wetter?
Obwohl ich mich, was Garage-Rock angeht, doch mehr für die Bands mit Punk-Pop-Appeal als für Psych, Blues, Country und was die Lips noch so in ihr Potpourri reinstecken interessiere war ich mit ihnen vage vertraut, war aber schon etwas überrascht wie gemütlich sie begannen. Ein wenig cartoonig muteten sie an, mit einem silberzahnigen und einem Hut und Schnurbart tragenden Gitarristen, von Anfang an stach aber vor allem ihr langhaariger Drummer hervor der ununterbrochen voller Energie seine Arme schwenkte. Nicht die sauberste Technik, dafür umso spaßiger, was glaube ich auch das generelle Motto der Lips ist. Mit der Zeit zeigten si dann immer mehr ihrer Qualitäten, besonders als allmählich die Dunkelheit einbrach fanden dann Nebel und Scheinwerfer zur vollen Wirkung und untermalten die immer wieder eingeworfenen Tapeaufnahmen mit Trashfilm-Qualität und den geisterhaften Verzerreffekt des einen Mikros.
Insgesamt standen derer sogar gleich fünf parat, die Hauptarbeit übernahmen zwar Bassist und Drummer, aber irgendwie sangen sie trotzdem meist zu mehreren gleichzeitig. Eben erwähntes Spezialmikro nutzte vor allem der linke Gitarrist um Quietsch-, Heul- und andere cartoonige Stimmen durch den Verzerrer zu jagen. Da mich die Musik immer mehr mitriss wurde ich langsam auch wieder etwas wacher und merkte wie oft die Lips eigentlich gar nicht so simple Songs haben wie es scheint, zwar sind die Zutaten alle bestens bekannt, werden aber immer wieder kombiniert oder komplett inmitten des Songs gewechselt, so blieb das Konzert nicht nur abwechslungsreich sondern wurde, da die Lips wie mir schien ihre besten und flotteren Songs erst später spielten, immer besser. Der Höhepunkt war dann die Einladung der tanzenden Fans auf die Bühne, ein glückliches Gesicht neben dem anderen, und als das Konzert pünktlich aber unter lange anhaltendem Beifall zu Ende ging war ich so aufgeputscht dass ich keine Angst mehr hatte mich jetzt in einen weichen, einlullenden Kinosessel zu setzen.
Im Cinedom fand nämlich die wahrscheinlich außergewöhnlichste Veranstaltung der c/o pop stand, Kompakt-Gründer Wolfgang Voigt präsentierte dort sein techno-ambientes Projekt
GAS in Verbindung mit bewegten Bildern der Videokünstlerin Petra Hollenbach. Nach einer gefeierten Aufführung in den USA war die GAS-Auftritt in London in kürzester Zeit ausverkauft, in Voigts Heimat sah es da kurioserweise völlig anders aus. So war es nicht nur kein Problem noch einen Platz mit meinem Festivalticket zu ergattern, als ich 20 Minuten vor Einlass vor dem Kinosaal ankam standen dort gerade mal genau so viele Leute. Auch als die Vorstellung begann waren noch ein paar Plätze frei, allerdings war ich wahrscheinlich der einzige der einen oberen, mittigen Platz mit Freiraum zu beiden Seiten ergattert hatte.
Was dann folgte gefiel nicht jedem (ca. ein Dutzend Leute verließ den Saal während der Vorführung) , aber ich fand es war eine großartige, stellenweise atemberaubende Aufführung. Die Basis für die Bilder waren teils künstlich, teils natürlich wirkende Pflanzen oder zumindest pflanzenartige Konstrukte wie sie auch auf dem Artwork von
Nah Und Fern zu sehen sind, oft in mehrere Richtungen gleichzeitig rotierten, wanderten und mutierten die Aufnahmen und wirkten besonders zu Anfang so wie ein Einblick in die vierte Dimension (von der man eben nur einen Teil mitkriegt, wie die dritte Dimension für ein zweidimensionales Wesen aus lauter Linien und Scheiben besteht). Dem Betrachter boten sich mehrere Sichtweisen, man konnte versuchen sich auf Details zu konzentrieren, wie einzelne Stränge wanderten, wuchsen oder verschwanden, man konnte auch versuchen in dem Gesamtgeschehen ein größeres Muster auszumachen, gleichzeitig bot Voigts vielschichtige, selbst von Verschiebungen durchzogene Musik genau die gleichen Optionen.
Der Großteil der schätzungsweise 90minütigen Videovorführung hatte ein gemäßigtes Tempo, plötzliche Wechsel und Aufsehen erregende Effekte waren besonders in der ersten Hälfte spärlich gesät und damit nur umso effektiver wenn die die Intensität der Show mit der Zeit erhöhten, wie als das gesamte, von Hunderten symmetrisch angeordneten einzelnen Objekten bevölkerte Bild zu kippen begann und einen schwindelerregenden Sog entfachte, ich erinnere mich auch gut an eine geschichtete Szenerie die Stück für Stück in kleinere Quadranten unterteilt wurde, so subtil dass man den Übergang im Ganzen nicht sehen konnte bis man nach ein paar Sekunden eine Veränderung im Detail registrierte.
Die Bilder spiegelten nicht Rhythmus (wenn überhaupt einer da war) oder Bewegung der flächenreichen Musik 1:1 wieder, waren aber gut zum Charakter der Stücke gewählt. Gegen Ende gab es beispielsweise wiegende Äste zu brüchigen Klangwellen, der Höhepunkt war aber auch in dieser Hinsicht ganz klar das grandiose Finale. In dunkel, psychotisch dissonant hämmernder Klangszenerie flog die Kamera schnell durch einen blutroten Wald, immer wieder blitzte es, als würde man waagerecht in einen Abgrund fallen an dessen Boden aus dem Dunkel ein einzelnes Wort erscheint. Während sich all dies abspielte stand Voigt regungslos unten links vor der Leinwand, wurde selbst vom Projektor bestrahlt und erst am Ende, als es unter Applaus wieder hell wurde, konnte man selbst von weit oben sehen dass er nicht immer so ernst guckt wie es auf seinen Fotos scheint.