The Long Blondes - Someone To Drive You Home



Geschichte wiederholt sich. Sahen die vergangenen Jahre den Aufstieg von Bands wie Franz Ferdinand und Bloc Party die sich an der Ästhetik und vor allem den Stilmitteln der Postpunk-Bands Anfang der 80er orientierten, erinnern die wunderbaren The Long Blondes nun an die aus Postpunk hervorgegangene Ära des New Pop. An ABC und The Human League, die wie die Blondes aus Sheffield kamen, die den Willen hatten zu Stars zu werden und es auch schafften. Und Stars wollen die Long Blondes auch sein, nicht die Jungs und Mädels von nebenan, sondern die Unerreichbaren die auf der Bühne bleiben und anstatt physisch in der Menge lieber in deren Emotionen baden.

Musikalisch sind die Long Blondes mit meist flott und von tanzbaren Beats angetriebenen Gitarrenmelodien allerdings nicht ganz gewillt alles voll auf Glam auszurichten, am ehesten kann man sagen es geht in Richtung Elastica, dafür ist Sängerin Kate Jackson fast schon die halbe Miete zum Ruhm. Mit billig eingekauften schillernd kombinierten Klamotten ist sie in Großbritannien zu einer Art Second Hand-Glam-Modeikone geworden, und weiß Gott neben einer tollen Stimme hat sie auch live jede Menge Charisma das die überwiegend von Leadgitarrist Dorian Cox verfassten Texte einem Publikum eigentlich gar nicht mehr übertragen muss, denn die Texte kennen wohl mittlerweile eh schon alle (Holy Shit!)

Die Fans hatten aber auch lang genug Zeit die Texte zu lernen, die Long Blondes haben sich bis zur Veröffentlichung ihres Debütalbums Someone To Drive You Home mehr als doppelt so viel Zeit gelassen wie die meisten anderen Bands heutzutage. Ganze sieben Singles gab es vorher, von denen auch 4 hier enthalten sind. Wie all die anderen Songs die man teilweise schon vor einem Jahr als Rohfassungen auf Myspace etc. hören konnte sind sie aber noch einmal neu eingespielt und überarbeitet worden, was auch nötig war denn zwischen dem frühen cool trashigen Sound und ihren neuesten Songs liegt zuviel als dass man sie auf das gleiche Album packen könnte. Highlights sind natürlich die Singles, allen voran das obercoole Giddy Stratospheres mit dem die Blondes im vergangenen Jahr erstmals Einzug auf britische Tanzflächen feierten, das schrille stampfende Separated By Motorways, Once And Never Again und aber auch ein neuer Song, Swallow Tattoo, der überhaupt das Beste sein könnte was die Blondes je gemacht haben.

Edie Sedgwick! Anna Karina! Arlene Dahl!
Neben den nahezu duchgängig großen Popmelodien rührt der Erfolg der Long Blondes aber auch von ihren Texten her, die an die Alltagsobservationen von Jarvis Cocker zu besten Zeiten erinnern.

Und die man sich gut ansehen muss, sonst könnte einem ein Irrtum unterlaufen wie mir: zunächst dachte ich, "You're only nineteen for god's sake, you don't need a boyfriend" in der Single Once And Never Again wäre ein gut gemeinter Rat einer älteren Bekannten oder gar der Mutter eines Mädchens das solche Probleme mit ihrem Freund hat dass sie sich vor Depressionen selbst verletzt, aber die Zeilen "Come out with me and find out what you really want; come out with me you only have to do it once" und ganz am Ende "Oh how i'd love to feel a girl your age" geben dem Ganzen eine eindeutige sexuelle Komponente. Dabei kann man interessanterweise das Geschlecht der sprechenden Person zweifach deuten: zwar singt Jackson den Text und es klingt mehr nach einer Frau wenn die Person in höherem Alter jeden Tag eine Stunde bräuchte um sich zu schminken, statt "And i would cut my hair for you" findet man im Booklet allerdings merkwürdigerweise "And i will change my sheets for you", was wiederum mehr wie die Beteuerung eines Junggesellen klingt.

Only Lovers Left Alive setzt den Verführungsstreifzug einer (hier klar weiblichen) Protagonistin fort, und sie versucht mit aller Überzeugungskraft dem Objekt ihrer Begierde, der immer mit anderen Frauen zusammenkommt als mit ihr, seine derzeitige Freundin auszureden (Die Saat scheint zu fruchten, denn zum Schluss kann sie gar giften "And you can't trust a word that she says anymore"). Nicht aus Bosheit, sondern weil sie überzeugt ist dass sie beide füreinander bestimmt sind.
Nach diesen beiden Tücken wird man auch direkt in Giddy Stratospheres ihrer Motive misstrauisch, aber obwohl sie 'ihm' klar macht dass er von seiner derzeitigen Beziehung keine Aufregungen und besonders keinen Sex erwarten kann macht sie keine Anstalten ihm etwas anderes von sich selbst zu versprechen.
Mit Heaven Help The New Girl folgt eine Warnung an die neue Freundin ihres Ex, in diesem anderen Kontext wird sich trotzdem auf eine frühere Stelle bezogen: "Just go because you'll never be nineteen again; and I thought I told you before, you don't need a boyfriend", hier aber damit sie beide von ihm frei sein können und, nur vielleicht, sich gemeinsam über seine Zukünftige amüsieren können.

Two lonely girs go on the run
Mit dem schnellsten und kräftigsten Drumrhythmus aller Singles und riot-schrillem Gesang beginnt die Fluchtphantasie (bei der wieder die weibliche Protagonistin im Zerstören einer Beziehung das Heil aller Beteiligter sucht) Separated By Motorways die zweite Hälfte des Albums, und hat mit seiner streng eingehaltenen Strophe-Bridge-Refrain-Struktur den 'normalsten' Aufbau aller Stücke. Anders sieht es schon wieder in You Could Have Both aus, wo der Refrain zwar gleich bleibt, aber die Strophen immer länger werden, Aussetzer haben, und nach einer Wiederholung des Eröffnungsriffs gegen Ende den Gesang ganz in die Tonne kicken und zu einem Spoken Word-Duett mutieren.

You Could Have Both irritiert nicht nur deshalb zunächst, auch weil es aufgrund seiner Länge und Langsamkeit etwas fremd hier wirkt, aber hört man es erst mal getrennt vom Rest des Albums merkt man erst dass es dessen Kernstück ist. Was die Blondes durchaus wissen, haben sie doch eine Zeile daraus für den Titel des Albums gewählt. Es beginnt als Portrait einer Affäre mit einem (verheirateten?) Mann, endet aber in einer Zukunftsangst wie sie derzeitig über den Köpfen vieler junger Erwachsener schwebt: "I was in full-time education when I got scared of the future; And I've only got a job so I don't disappoint my mother; It's like I've painted myself into a social corner". Das wird sicher nicht besser wenn man im Bus Scott Walkers Musik hört. Ein Mittel gegen diese Angst ist für Verheiratete der Partner, eben der "someone to drive you home". Den hat sie aber nicht.

Doch selbst mit Partner kann sie nicht glücklich sein. In Weekend Without Makeup ist es nun die Banalität des Alltags die sie fürchtet, und wird gleich wieder misstrauisch warum 'er' immer so lang braucht um von der Arbeit nach Hause zu kommen, und das Swallow Tattoo wird gar zum Grund um seine Hingabe anzuzweifeln: "And now you tell me it's a sign of devotion; but devotion to who?" Im Refrain fallen die gesungenen Silben auf die gespielten Töne, teilweise sogar noch dazwischen, was den Worten eine Dringlichkeit, der hoch singenden Stimme eine starke Erregung verleiht, und das ohnehin schon schnellste Stück mit seiner herrlich klar gesungenen Melodie derzeit zu meinem Favoriten des Albums macht.

Mit seinen letzten beiden Stücken fällt Someone To Drive You Home leider leicht ab so dass das großartige Debüt nicht ganz perfekt abläuft, aber wenn das das letzte Hindernis sein sollte steht das Ziel Star nicht mehr in weiter Ferne für die Band aus Sheffield.

[Stream] The Long Blondes - Someone To Drive You Home

Au-lait - 16. Nov, 14:51

Manchmal, das passiert es. Da bin ich nicht einer Meinung mit anderen. Manchmal passiert es sogar häufig, hier, auf dieser Seite hingegen, nur sehr selten. Aber jetzt.

Um es vorweg zu schicken: Ich finde das neue Album der Long Blondes nicht schlecht. Es langweilt mich nur zu Staub, wenn es mich nicht gerade anstrengt und beinahe nervt. Das kann viele Ursachen haben. Erstens habe ich wahrlich kein Faible für hysterisch quietschende, hektisch kreischende, überdrehte Frauen am Mikrofon. Rollen andere verzückt bei den YeahYeahYeahs die Augen und zucken begeistert zu Karen Os Gesang, quälen mich Assoziationen aufgespießter Schweine und macht sich die Sehnsucht breit, die knackigen Riffs doch bitte mit weniger Stimme zu hören. Pretty Girls Make Graves finde ich hingegen großartig, The Gossip lassen mich kalt, die Pipettes wiederum finde ich gut und doch wiederum nicht umwerfend. Diese Art des Gesangs ist nicht meine; auch Cindie Lauper, Blondie und Katerina & The Waves waren nie meins. Le Tigre erst recht nicht. Ich bin kein musikalisches Kind der 80er. Was ich an den Long Blondes mag, ist der leicht "frühpulpige" Appeal.

Und doch wirkt es auf mich alles so vorausberechnet. Selbstgefällig, kalt, zu stylisch, fast ein klein wenig narzisstisch. Manche assoziieren diese Worte allesamt mit "cool". Vielleicht bin ich nicht cool genug für diese Band. Ich tippe schwer, sie wird der heiße Scheiß von gleich. Und dann werde ich mich nicht ärgern, ich finde die Songs in Ordnung. Nur eben nicht mehr als das. Auf einer Skala von 1 bis 12 kämen sie auf 6-7 bei mir. Netter, leicht nervöshektischer Eighties-Post-New-Wave-Pop mit Discopunk-Appeal, der mir nicht wehtut (zumindest nicht auf kurze Distanz, mehr kann ich auch noch nicht sagen), der mich aber auch wahrlich nicht berührt, nicht vom Hocker reißt und beinahe gleichgültig lässt. Ob es diese Band gibt oder nicht ist mir beinahe egal. Und das ist fast schon wieder schade.

Vielleicht werde ich meine Worte in Bälde bereuen, vielleicht werde ich eines Besseren belehrt sein. Vielleicht werde ich die Grandezza nachträglich anerkennen. Gerne revidiere ich dann mein Urteil. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich zwar verstehen, wenn anderen diese Musik gefällt, dass sie aber beinahe restlos begeistert, mag sich mir bis hierhin noch nicht erschließen. :)

uliuli - 16. Nov, 15:28

Ich wäre sicher nicht so überzeugt von der Band wenn ich sie jetzt erst kennengelernt hätte, aber ich kenn die meisten Songs halt schon fast ein Jahr und damals klangen die auch noch was 'schmutziger', weniger nach glamiger Coolness als vielmehr nach Schwarzweißkino, Film Noir, diese Art von cool halt. Aber da ich sie jetzt immer noch so gut finde wie damals kann ich daraus nur folgern dass ich sie einfach gut find, egal wie es klingt ;)

Wobei ich finde dass die Platte vielmehr Pulp ist als Gossip, außer Separated By Motorways würde ich den Gesang zwar oft von der Stimmlage her hoch, aber nie kreischend oder quietschend nennen (wobei mein Geschmack was diese Form von Gesang angeht genau das Gegenteil von deinem ist, schrillem Riotgrrrl-mäßigem Jauchzen kann ich selten widerstehen, die Yeah Yeah Yeahs sind da eine seltene Ausnahme.)
uliuli - 16. Nov, 15:42

Ach ja, was ich mein mit dem früheren Klang, so ähnlich wie Fulwood Babylon hier, New Idols oder die alte Version von Appropriation (By Any Other Name) war der wenn's lässig blieb, aber auch 70er Postpunk-schräg wie Autonomy Boy
uliuli - 16. Nov, 15:46

Fuck, ich hatte ganz vergessen wie sehr ich New Idols mag.