Oktober 2014: Dark Times, Ex Hex, Gazelle Twin, Iceage, Mila J, Mr Twin Sister, Restorations, Von Spar



Dark Times - Give
 

Ich kann mir nur vorstellen, dass Dark Times ihre Drehregler für Lautstärke und Gain mit Klebeband und einem Merkzettel "Niemals von höchster Stufe runterstellen!!!" arretiert haben. Grundsätzlich scheppert und röhrt es auf Give, aber hallo, mit angezogenem Tempo, doch wuchtet das Osloer Powertrio nicht vorrangig im Namen der Drei-Akkord-Aggression. In ihrem Noiserock überwiegt der Drang zur Melodie und Wehmut wie im resigniert gesungenen Never Know, Feel It plädiert flehentlich, aber auch lauthalsiger "Don’t leave me now/ be here forever/ I want no one else but you". Und falls einen das tatsächlich kalt lassen kann, wird man im Anschluss dann wieder von einer 75-sekündigen Riffwalze geplättet.

 


Ex Hex - Rips
 

Ich hatte ja so meine Probleme mit dem Studiosound von Wild Flag, der weit hinter der Live-Energie zurückstand, aber ganz optimal war die Dynamik von Carrie Brownstein und Mary Timony vielleicht auch nicht - als Beweis dafür können mittlerweile sowohl die neue Sleater-Kinney-Scheibe herhalten als auch Timonys eigenes Powertrio. Das war im Konzertrahmen genauso großer Rock'n'Roll-Fun (nur noch mit ausladenderen Solo-Spots) wie auf seinem Debütalbum, dass ich echt gehörig froh war, mich noch ins eigentlich schon vorab ausverkaufte King Georg gequetscht zu haben. Dass Betsy Wright und Laura Harris sich sowohl spielerisch nicht davor scheuen, den Hammer zu zücken als auch bereits hier ihr eigenes Songwriting ebenbürtig stehen kann, lässt für Ex Hex eine langlebige Zukunft übers grandiose Debüt hinaus erhoffen - und größere Bühnen. [MEHR]

 


Gazelle Twin - UNFLESH
 

Körperhorror als Pop? Na aber gerne doch. Nicht in schierem Noiseterror schleicht sich das Unwohlsein an, wenn Elizabeth Bernholz eigene Erfahrungen und Ängste aus dem Inneren hervorkitzelt, sondern in melodischen, vor allem aber durch die Poren unter die Haut kriechenden Songs. Die verdellten Vocals, das Hauchen und quiekige Stöhnen, sie könnten in anderem Kontext für eine atmosphärische Geistergeschichte herhalten, doch in UNFLESH festigen sie zu angespannten Beats das menschliche Element, wenn Gazelle Twin kränkelnde Physis und Psyche vertont, vor lauter Lust am Hirnbohren und Enthäuten nicht außer Acht lassend, dass die meisten davon in der Leistungsgesellschaft nicht aus dem Nirgendwo kommen.

 


Iceage - Plowing Into The Field Of Love
 

Keine Frage, New Brigade war mitreißend, aber bei Iceage ist mindestens ebenso wichtig was sie richtig machen (vor allem Dynamik, Melodien) wie was sie nicht so machen, wie man es in der Regel macht. Das Amateurhafte im Spiel war anfangs noch dadurch bedingt, dass die Teenager eben spielerisch Amateure waren und so musste You're Nothing zwangsläufig tighter ausfallen, was den Mangel an sonstiger Evolution deutlich werden ließ und für die Zukunft keine interessante Perspektiven aufzeigte. Doch siehe da, Iceage mussten bloß etwas anderes finden, das sie nicht ganz richtig inszenieren konnten. Je feiner und piano-streichergrandioser die Arrangements werden, umso anstößiger ist Elias Bender-Ronnenfelts Verweigerung, mit auch nur einem Hauch von Gesangstechnik die Töne zu treffen, je näher an tradiertem Country oder Folk die Songs, umso lustvoller wuchern sie in Kellersound und querlaufenden Begleitmelodien in den Morast ab. Das muss man scheiße finden dürfen und gerade deswegen ist es so toll!

 


Mila J - M.I.L.A. EP
 

Im Streaming-Zeitalter ist man ohne ein enormes Maß an Lust und Zeit an die Kapriziosen derjenigen gebunden, die über die Verfügbarkeit einzelner Veröffentlichungen bestimmen. Das wird umso schwerer im Bereich der Major-Player, die den anfänglichen Schock über die Online-Umschiebungen überwunden haben und strategisch in den neuen Vertriebskanälen platziert nun wieder gewohnt das Geschehen steuern können, bis dahin gehend, wer wo was wann hören darf. So kann ich jetzt allerlei darauf verwenden, meinen Enthusiasmus für diese gelungen runde R&B-EP zu erklären und wenn sich daraufhin wer fragt, wo die denn zu hören ist, nur mit "gar nicht" antworten. Bis zum heutigen Tag ist nur einer der fünf Songs darauf hierzulande download- und streambar, auf CD sind sie nicht erschienen, so dass es soweit ich sehen kann keine Möglichkeit für mich gibt, auf legalem Weg an sie heranzukommen. Zu schade …

 


Mr Twin Sister - Mr Twin Sister
 

Wenn ein Album in transparentem Gimmicklook und dafür womöglich Abstrichen in der Tonträgerqualität, dann dieses ohnehin schon schwummrige Wunderstück. Von softestem Pop über Funk und Disco bis zu Environ-technoidem Antrieb könnte Mr Twin Sister Genremischmasch oder eine DIY-Playlist abliefern, doch die Stilmutationen des New Yorker Quintetts sind so flüssig wie klischeefrei. Bestes Beispiel dafür ist In The House Of Yes, das seinen Disco-Funk zwar phasenweise mit Streichern behängt, aber dazwischen immer wieder im unsicheren Leerraum hängt und die Leadstimmen ähnlich im Pitch verschiebt wie später Twelve Angels. So sehr die Band auch von Unstetigkeit geprägt ist, ihr Album hält sie mit ungemein soliden Grooveinstinkten zusammen. Die Temperatur bleibt in einem lauwarmen Spektrum, Melancholie und Euphorie halten sich die Balance und auch das Spiel mit Licht und Schatten wird nie so simpel vollendet, dass die Trennwand von Mr Twin Sisters sinnlicher Traumwelt zur Realität wie eine Seifenblase platzt. Entrückt lebt es sich für manche eben besser. [MEHR]

 


Restorations - LP3
 

Fuck New York, gut 10% meiner Platten aus 2014 sind von Bands aus Philadelphia - oder, andersherum ausgedrückt: Ohne Philadelphia wäre dies nicht so ein Jahr mit erfreulich vielen tollen Rock-Platten geworden. Wobei sich daraus wohl keine Geschichte um eine konkrete lokale Szene spinnen lässt, denn durch die zu Festival-Grandeur angewachsene Heimwerkelei von The War On Drugs, Cayetanas punkigen Indie-Rock, Literatures Power-Indiepop oder Restorations' Post-Hardcore lässt sich kein allzu roter Faden ziehen. Schließlich ist's ja auch ne derartig subjektive Auswahl, als dass sie meinen komischen Vorzügen genügen muss, die sich neben dem Songwriting vor allem immer wieder daran entzückt, wie gut bei all diesen Bands die Instrumente klingen - vor allem bei Restorations ist das gleich dreifach die Gitarre, aber auch das Schlagzeug, das die Wuchtigkeit hat um dagegen nicht unterzugehen, bei allem Cymbal-Gedresche aber fern der Gelacktheit typischer Großhallenbands ist.

 


Von Spar - Streetlife
 

Die Geschichte lehrt: Wenn eine Band in zehn Jahren eine Wandlung wie Von Spar durchläuft, vom energetisch skandierenden Dancepunk zum gekonnt-glatten Disco-Funk-Kraut-Pop, dann bleiben dabei in 99% der Fälle Elan und Eigenheit auf der Strecke. Da sind Von Spar aber die 1%ler, mehr denn je unverkennbar in ihrer Liebe zu dem, was jene Musik ausmachte, die sie in ihrer eigenen Sicht kanalisieren. Streetlife geht tief, verzahnt sich im Groove, treibt luftig davon, manchmal auch alles im selben Song und so lange die Band dies mit solch anhaltender Bestimmtheit fortführt, wird sie hoffentlich nie der Beliebigkeit anheimfallen.

 

September 2014: Cancers, Cayetana, Lydia Ainsworth, Punch



Cancers - Fatten The Leeches
 

So sehr diese Songs in ihrer oft knappen Spielzeit auch melodische Riffs und catchige Vocals versprühen, ist der Knackpunkt von Cancers' Indie-Rock der Sound, der sich wie ein gigantischer Schwall um das Eingängige im Zentrum tummelt. Dass sich die Band aus Athens dessen nicht nur bewusst ist, sondern es auch konsequent umgesetzt hat, hört man schon lange vor dem Blick in die Albumcredits. Wobei, ehrlich gesagt war ich mir nicht ganz sicher, ob mir der Name Jack Endino überhaupt vertraut war, aber dass der Mann den Sub-Pop-Sound geprägt hat ist keine Überraschung: War ich mit anfangs noch unsicher, ob Fatten The Leeches sich mit diesem Klangvolumen nicht ein wenig einseitig übernommen hatte, zeigt es beim guten alten Kopfhörer-Test denn auch die nuancierten Tiefen, die den Schwall eben zu mehr als nur ästhetischem Anstrich machen.

 


Cayetana - Nervous Like Me
 

So satt Cayetana auch Becken und Verstärker krachen lassen, machen sie nicht den Eindruck, als wäre ihr Debütalbum unter Druck oder Eile entstanden. Der knackig-körnige Indie-Rock des Trios aus Philadelphia funktioniert auf „Nervous Like Me“ gerade deswegen so gut, weil er ohne unnötige Zierde auf den Punkt kommt und schnell, aber ohne Hektik lebhafte Eindrücke vermittelt. Augusta Kochs hervorgestellte Vocals pendeln zwischen Observation und Selbstoffenbarung hin und her, auch innerhalb eines Songs wie bei „Mountain Kids“, wobei sie weniger präzise Szenarien äußerer und innerer Handlung erzählt als assoziierte Erinnerungsfetzen zu diesen Momenten wiedererweckt. „The hardest part of moving out is I remember moving in”, singt sie in druckvollem Stakkato auf „Scott Get The Van, I’m Moving“, wird zum Refrain kontemplativer („How gently time disposed us/ separate boxes fill the car“), bis Kelly Olsen wieder die Hi-Hat vom Ruder lässt und die Saiten in ungeduldiger Intensität losschrammeln. Gedanklich mögen Cayetana schon mal innehalten, doch ihr treibendes Spiel nimmt Pausen höchstens, um wie im finalen „South Philly“ Anlauf zu nehmen.

 


Lydia Ainsworth - Right From Real
 

Für ein mit Streichern, Hörnern und anderem so klassizistisch orchestriert anmutendes Album hat das Debüt der Kanadierin ungewöhnlich viel Atemraum. Selbst verglichen mit Glasser oder einem Patrick Wolf, an dessen Frühwerk erinnernd Ainsworth ihre auditiven Naturbilder gleichermaßen mit stereotyp elektronischen Sounds wie Bleep-Arpeggio und digitalen Beats zeichnet, laufen die Elemente ihrer Songs kaum bis gar nicht ineinander über. Selbst Vocal- und Bass-Oszillationen schwingen auf eher begrenztem Raum und nehmen nicht Überhand, fast kann man sich diese Popsongs als übereinander verlaufende Klanglinien vorstellen, doch ist ihr Effekt keineswegs derart mathematisch klinisch. Schließlich gibt es neben Volumen auch immer noch die zauberhaften Wechselwirkungen der Einzelteile, die Ainsworths Songs höchst modern aufleben lassen.

 


Punch - They Don't Have To Believe
 

Fast schon als einen Nachlass brachten Punch ihr exzellentes drittes Album raus, kurz bevor Shouterin und Texterin Meghan O’Neil ihren Ausstieg aus der Band verkündete. Die Benachrichtigung darüber hielt sie so kurz und bündig wie die Songs des so wunderbar treffend benannten Klöppelcore-Quintetts, das auch auf They Don’t Have To Believe in fünfzehn Spurts nur einmal die Zwei-Minuten-Marke überschreitet. Punch vertonen das Wuchten der Selbstbehauptung gegen Anspannung („Heavy as a brick/ sharp as nails/ always constant/ only quiet“), Belästigung („Hands Off, what’s mine is mine/ You don’t get to tell me where to draw the line“) und Verhaltensvorschreiber („We don’t exist/ for you to appraise/ Not a compliment/ no fucking thanks“), aber auch Momente der Machtlosigkeit für Hilfsbedürftige oder ein Plädoyer für das Weinen ohne Scham: „Don’t show your emotions? What a fucking lie/ This doesn’t make me weak, it makes me human“. Der Songtitel über jenen Worten ist Punch-prägnant wie immer: Not Sorry.

 

August 2014: A Sunny Day In Glasgow, Cymbals Eat Guitars, FKA twigs, Gorgon City, Jenny Hval & Susanna, Kimbra, Literature, Mick Jenkins, Naomi Punk, The New Pornographers



A Sunny Day In Glasgow - Sea When Absent
 

Zu oft wird unter dem Mantel von Dreampop und Shoegaze das Ungreifbare in greifbare Songs gepackt, doch A Sunny Day In Glasgows Musik bleibt unfassbar. Als würde sie sich einer messbaren Realität verweigern, verschwimmen ihre Konturen, überlappen einzelne Segmente und driften andere derart auseinander, dass es an randomisierter Chaotik grenzt. Das große Wunder ist dabei immer wieder, wie diese ungewöhnlichen Kompositionen sich dann doch ihrer eigenen Logik folgend im Ohr verankern und mit jedem Hören nur noch mehr davon überzeugen, dass es gar keine Realität gibt, sondern nur unsere Wahrnehmung davon.

 


Cymbals Eat Guitars - LOSE
 

Wo ich nun schon so einige Jahre verstärkt damit verbringe, für mich und mitunter auch andere nach hörenswerter Musik Ausschau zu halten, ist es eigentlich naheliegend, dass sich dabei Wissen und Geschmäcker erweitern beziehungsweise verschieben. Ich höre bei Weitem nicht mehr so viel Indie-Rock wie vor 10 Jahren oder auch das, was Bands heute machen, die vor 10 Jahren in diesem Umfeld situiert gewesen wären. Doch auch weil heute viel selbstverständlicher bei der Bandgründung ein Synthesizer als eine zweite Gitarre mit dabei ist oder R'n'B-Einflüsse keine Seltenheit sind, gibt es schon rein mathematisch nicht mehr so viele rundum große Alben im traditionelleren Indie-Rock. Die gute Nachricht dabei ist aber, dass er als Transportvehikel für gewisse Songs immer noch bestens taugt - man muss nur eben darauf kommen und sich nicht zu viel von diesem und jenem Trend irritieren lassen, was stilistische Offenheit nicht ausschließt. Bestes Beispiel dafür sind Cymbals Eat Guitars, die ihren klassischen Topos der Todestraumata in bissigen, ausfallend punkigen, aber auch synthig umtexturierten Songs ausformulieren. Der gelegentlich überraschende Wechsel deckt sich auch stilistisch mit der biographisch sprunghaften Narrative, ein wenig wie bei The Hotelier, nur deutlich weiter weg vom typischen Emo - Hauptsache dabei, dass die Songs melodisch ans Mark gehen.

 


FKA twigs - LP1
 

Tahliah Barnett macht tolle Gimmick-LPs: EP2 kam mit einer Pappverlängerung des Plattencovermotivs, LP1 liegt eine Lupe in Breite ihrer Augenpartie bei. Als twigs, nunmehr FKA twigs und vielleicht in Zukunft noch TBA hat sie die Andeutungen ihrer ersten größeren Veröffentlichungen zum Teil musikalisch beseitigt. Noch steht Two Weeks als "großer Song" demarkiertes Stück aber alleine, sowohl auf ihrem Debütalbum als auch bei zumindest ihrem Kölner Konzert, wo es beim Publikum zum großen Euphoriemoment wurde. Doch FKA twigs ist ein Projekt mit Gesamtkonzept, vom (visuellen) Design der Platten über die Videos bis zur Liveinszenierung über flankierende E-Trommel-Männer und Choreographie, die eben die ereignisarmen Leerräume und Andeutungen in der Musik weniger füllt als ihnen eine neue Deutungsmöglicheit verleiht. Oft wurden gerade die Momente bejubelt, wenn die Stimme verstummte und der Körper die einzige Ausdrucksoption wurde.

 


Gorgon City - Sirens
 

Von allen Alben und anderen Werken in dieser Aufzählung, die ich mir 2014 gekauft oder anderswie permanent verfügbar gemacht habe (kein Stream ist permanent, duh doi), ist dieses hier das einzige davon, das ich seit den ersten Tagen nicht nochmal gehört habe. Eine klassische Fehlanschaffung? Nun, schlecht ist es nicht und ruft sicher nicht die Stunkreaktion des weißen Tocotronic-Albums hervor, wegen dem ich damals den Entschluss fasste, nie wieder ungehört zu kaufen. Zumindest ein paar Ausnahmefälle erspielten sich zwar das blinde Vertrauen, doch Gorgon City gehörten sicher nicht dazu. Wie kam's also? Reingehört hatte ich sogar, zwei- oder dreimal, war nicht hin und weg, hatte aber aufgrund der Tiefenwirkung ihrer EP ein gutes Gefühl - und dann sah ich die CD da für 13€ rumstehen. Dass das Geld zum Fenster rausgeworfen ist, fuchst mich irgendwie weniger als jetzt neben all diesen anderen Musikwerken, mit denen ich irgendwas verbinde - sei es persönlich oder einfach eine Erinnerung, Eindrücke und Erlebnisse -, dieses unbeschriebene Blatt steht, ein weißer Fleck im Musikmosaik 2014. Wer weiß, vielleicht juckt es mich diesen Sommer nochmal nach House-Pop und mangels Alternative ...

 


Jenny Hval & Susanna - Meshes Of Voice
 

Wo immer man den Entweder/Oder-Hebel ansetzt, stößt einen das Werk der Norwegerinnen vor den Kopf – oder pflügt einmal mit dem Presslufthammer mittendurch. Schon alleine das Ausdifferenzieren der höchst unterschiedlichen Stimmen, die titelgebend zum Gerüst und lyrischen Ausdruck der Stücke verwoben sind, wird dadurch verkompliziert, dass in ihre kehligen und nasalen Timbres auch die Vocals von Anita Kaasbøll einstimmen. Auch Jo Berger Myhres Bass wird zur Stimme, auch die Stimmen werden zu dronigen Bässen, Identitäten und Perspektiven werden gebogen und transformiert. Die surreal-impressionistische Klangerzählung über Göttlichkeit und Femininität ist song- und momentweise konkret und abstrakt, schön und schaurig, sanft und brutal, harmonisch und dissonant, Melodie und Lärm. Mit jedem Hören wirkt das weniger wie ein chaotisches Kräfteringen und mehr wie die stimmig facettierte Ganzheit, die drei Stimmen und die Noisestreuungen Hvals und Kaasbølls konvergieren immer wieder, fast schon universell und auch zutiefst persönlich. Kein Wunder, dass eine Liveaufnahme von 2009 auch fünf Jahre später noch so immense Wirkung besitzt.

 


Kimbra - The Golden Echo
 

Das heimliche Brainfeeder-Album des Jahres! Gut, ein Thundercat mag seine Bassdienste vielen anbieten und taucht auch in deutlich überraschendereren Albumcredits auf, aber die Überschneidungen zwischen dem Personal von Kimbras R'n'B-Popalbum und dem letztjährigen von Flying Lotus sind schon enorm - schließlich gehört jener selbst zu den Kollaborateuren, deren Stücke es nicht auf The Golden Echo schafften, dafür ist R'n'B-Auteur Bilal als noch besserer Anknüpfungspunkt zugegen. [MEHR]

 


Literature - Chorus
 

Zum nunmehr 25. Jubiläum darf man wohl annehmen, dass das Jahr, in dem Slumberland Records nicht mindestens ein herausragendes Indiepop-Album herausbringt, die Apokalypse demarkiert. Neben den wiederholungstätigen Gold-Bears bescherte uns die transatlantische Kooperation mit Fortuna Pop! so auch noch das zweite Album von Literature aus Philadelphia, die darauf wie Orange Juice mit ordentlich Vodka abgehen. Das bedeutet sicherlich süßen Jangle, grenzseufzige Vocals, Rhythmen ohne Komplikation (wenn auch eben ordentlich Drive) und melodische Opulenz bis in die (Quer?)Flöte, doch wie als Bonus erweist sich Chorus bei Kopfhörerinspektion auch als faszinierendes Sounddesign-Erlebnis, das die Band mit ungewöhnlichen Aufnahmetechniken erreichte. Nicht unbedingt etwas, worum man einen Feuilleton-Artikel spinnen kann, aber auch mehr als nur ein langfristig faszinirender Bonus wenn man eh schon mit den Songs sympathisiert.

 


Mick Jenkins - The Water[s]
 

Ein waschechtes Rapalbum hab ich dieses Jahr wohl nicht durchweg so gern gehört wie die Mixtapes von Gates und Mick Jenkins, doch abgesehen davon, dass sie auch parallel als kommerzielle Downloads erschienen, ist gerade The Water[s] mehr von Albumformat als viele als solche erschienene. Da ist das Wasser textliches Motiv, gepaart mit einem kohärenten Schwummersound inklusive gelegentlicher H²O-Samples, vereint in einer überwiegend sanft dahingleitenden Vibe, die jedoch auch Gelegenheit zu kantigeren Ausbrüchen bietet, die sich bis auf das Ende in einem durchweg stimmigen Rahmen halten.

 


Naomi Punk - Television Man
 

Ein großer Unterschied besteht zwischen Naomi Punks 2012er Debütalbum und Television Man nicht. Nahezu den gleichen Sound, ja sogar die gleiche Akkordfolge wie mindestens ein Song auf dem Vorgängerwerk hat das Titelstück, ist wie die anderen neuen nur ein wenig schneller, ein wenig schärfer im Ausdruck mit stärker ausgeprägten Dynamikschwüngen und strengeren Anschlägen. Die Verfeinerungen, die das Trio aus seinem minimalistischen Repetitions-Punk-Korsett herauskitzelt werden am schönsten deutlich, wenn sich die Gesangsmelodien aus der Grautonwand nölender Saiten und staksiger Perkussionsbündel pellen. Nahtlos geht ihre Harmonie vom Ende des Titelstücks in eines der knarzigen Keyboard-Zwischenspiele über, die auf dem Debüt noch ein wenig als obligatorisches Experiment anödeten – hier aber ist Plastic World No. 6 wie das Herz des Albums, das wortlos überm Dümpelbeat einer billigen Drum Machine im Tageslicht steht, bevor Naomi Punk wieder die Klöppelkeule rausholen und der fleckige Strudel von Eleven Inches alles umhüllt.

 


The New Pornographers - Brill Bruisers
 

Der Grower des Jahres sorgte anfangs noch für eine Mischung aus Bedenken über die schon etwas unnötig überbeschäftigten Arrangements und Erleichterung darüber, dass zumindest die Bejar-Rocker hier mal wieder richtig zündeten. Über sie gelingt der Einstieg in das beste Pornographers-Album (wenn nicht gar überhaupt) seit Twin Cinema am leichtesten, ist Dan Bejar doch hier fast so wie auch live die Rampensau, die für ihre eigenen Songs mal rauskommt und anschließend direkt wieder von der Bühne verschwindet. Die wirklich merkwürdige Bandchemie der kanadischen Powerpop-Hydra schien Chefkopf A.C. Newman zuletzt durch verstärkte Soundkohärenz bändigen zu wollen, doch neben der herrlich hohen Hook-und-Hit-Dichte zeigt sich auf Dauer gerade ein wiedererstärkter Elan mit Tendenz zum Überschwappen als besonders vital.

 

Juli 2014: Driver Friendly, f(x), Human Abfall, Joyce Manor, The Raveonettes, Total Control, United Nations



Driver Friendly - Unimagined Bridges
 

In Sachen Trompeten-Emo hatten Driver Friendly 2014 harte Konkurrenz: sich selbst. Ihr Debütalbum Bury A Dream erschien zumindest digital ebenso wie dessen Nachfolger, nachdem ihr Label es wie hier beschrieben vor zwei Jahren aus allen Stream- und Downloadangeboten entfernt hatte. Doch den Vergleich muss Unimagined Bridges nicht scheuen, auch aus den komplexer gewobenen Klangsträngen bohren sich goldige Melodien wie einst aus Broken Social Scenes Kuddelmuddel-Sound.

 


f(x) - Red Light
 

Ein schlechteres Jahr für die koreanische Musikindustrie auf so ziemlich allen Ebenen ist kaum denkbar: Ganz zu schweigen von der landesweit traumatischen Schiffskatastrophe, dem Autounfall von Ladies Code und dem tödlichen Bühnenunglück beim 4Minute-Konzert, die wochenlang alles paralysierten, kam es über einen haarsträubenden Skandal und Vertragsstreit nach dem anderen zum Ende oder zumindest Umbruch mehrerer der größten Gruppen wie SNSD, Wonder Girls, KARA und natürlich der mal wieder unter ihre optimale Mitgliederzahl geschrumpften Nine Muses.

Auch die Zukunft von f(x) ist ungewiss, doch bevor ihre Promotion dafür frühzeitig abbrach, brachte das Quintett mit seinem dritten Album mal wieder ein Pop-Glanzstück heraus. Genauso wie sich f(x)s Auftreten der sonst in Girlgroup-Zirkeln verbreiteten binären Rollenwahl zwischen entweder kindlich-unschuldig und erwachsen-sexy verweigert, treten auch ihre Songs aus Konventionen aus: Vom futuristischen Stampfen des Titelstücks über die 8bit-Invertierungen des zuckenden Spit it Out bis zu Rainbows nahtlosen Dynamikschwüngen über diesen K-i-l-l-e-r-Hook, auch ohne die charakteristischen Stimmen und ihre ineinander fließende Chemie würde man sie von keiner anderen Band erwarten.

 


Human Abfall - Tanztee Von Unten
 

„Völlig! Abgebrannt!“, quillt es aus Vokalist Flavio Bacon in „Schuldenschnitt 1997” heraus, das noch mit am ehesten von allen Stücken einem songhaften Refrainmuster folgt. Zwar wiederholen Human Abfall melodische Arrangements, rhythmische und textliche Muster, doch die instrumentale Ausführung ihres noisigen Rock/Punk/Post-Punks kann dabei von Mal zu Mal variieren. Der Grundton ist identisch an den Stellen im Titelstück, wo sich die Gitarre in ähnlich hellem Scharren erhebt, doch weder spielt sie jeweils die gleiche Tonfolge noch ein kühnes Solo im Scheinwerferlicht. Diese Songs sind nicht zum Mitsingen und Klatschen entworfen, ihr zerrfreudiges Wallen und Kratzen fordert Aufmerksamkeit, kein seeliges Abschalten. [MEHR]

 


Joyce Manor - Never Hungover Again
 

Joyce Manor sind nicht die einzigen, die ihren angerauten Pop-Punk/Post-Hardcore aufs Nötigste reduziert halten, die mehrfache Strphen- und Refrainwiederholung scheuen sie ebenso erfolgreich wie ein Tony Molina. Warum auch aus einem Schley ein großes Ding machen, wenn man ein gelungenes Hauptmotiv über zwei Minuten nur mal ein Bisschen variieren oder intensivieren muss, um mitzureißen? Besonders gut gelingt es ihnen aber, Never Hungover Again insgesamt in einem ebenso mitreißenden Fluss durchrauschen zu lassen, anstatt die Songs als diskrete Miniaturen ohne Zusammenhang zu versammeln.

 


The Raveonettes - Pe'ahi
 

Ein Lehrstück für den Unterschied zwischen Verzerrung als kunstvoll inszenierter Ästhetik und als Nebenerscheinung einer notgedrungenen - oder einfach faulen - Lo-Fi-Soundqualitätsbeschränkung. Dass Pe'ahi zu Ersterem zählt, merkt man einfach daran, dass es umso schöner und distinktiver wird, je lauter man es dreht und in tatsächlicher Lo-Fi-Qualität von bspw. 128 kbps-MP3s deutlich weniger effektiv ist. Produzent Justin Meldal-Johnson kennt sich mit der richtigen Art von Verzerrung und voluminös klangbildender Lautstärke aus, die er zuletzt vor allem bei M83 und Paramore phänomenal zum Einsatz brachte. Hier jetzt nur über Sound und Produktion zu schwafeln, mag wie merkwürdige Prioritätensetzung anmuten, doch ist Pe'ahi nun mal ein Raveonettes-Album, und das ist nun mal ein Raveonettes-Album, das nun mal ein Raveonettes-Album ist und so weiter. Das Duo hat von seinen Anfängen in Noir-Lackierung an immer das Stilisierte über etwaige Garage-Authentizität gesetzt, und so wird dieses Album eben deswegen so großartig, weil in dessen mannigfaltig in Zerrung und Glättung ausgereiztem Sound endlich das Potential ihrer Songs konsequent zur Fülle getrieben wird. Wenn es schön wird, dann wird es verdammt schön; wenn es laut wird, dann wird es LAUT.

 


Total Control - Typical System
 

In vieler Hinsicht ist Typical System ein typisches Melbourner Musikhighlight: Die Protagonisten sind alle aus mindestens einem halben Dutzend anderer Bands bekannt, Mikey Young ist nicht nur als Produzent, Ton- oder Mastering-Ingenieur, sondern auch musikalisch dabei und der Stil an sich retro-trächtig. Das Jangle-Garage-Spektrum lassen Toal Control in new-wavigem Post-Punk aber ebenso weit hinter sich wie gemütliche Nostalgie, Typical System ist angepisst bis hilflos über das Jetzt und klingt auch so, in einer Hin- und Hergerissenheit, die so modern wie fesselnd ist.

 


United Nations - The Next Four Years
 

Dass die politischen Inhalte so weit wie möglich im Vordergrund des wuchtigen Hardcore-Konglomerats stehen sollen, wird neben Bandname und Artwork ja auch darin klar, dass das Identifizieren der anderen Mitglieder neben Geoff Rickly schon mehrere Sekunden an Googlerei oder einen Blick ins Booklet erfordert. Doch nicht nur gesanglich, auch in Songs wie Meanwhile On Main Street ist das Heraushören der Band-DNA keine Wahnvorstellung, das wie eine Thursday-Nummer mit auf die Converge-Spitze getriebenen Chaos-Peaks daherkommt. So zündend, wie man sich das nur vorstellen kann, ist dieses Album eben auch - und darüber hinaus sogar hervorragend als Begleitung zum Rasenmähen geeignet.