Oktober 2014: Dark Times, Ex Hex, Gazelle Twin, Iceage, Mila J, Mr Twin Sister, Restorations, Von Spar
Von Uli am 19. April 2015, 10:00
Dark Times - Give
Ich kann mir nur vorstellen, dass Dark Times ihre Drehregler für Lautstärke und Gain mit Klebeband und einem Merkzettel "Niemals von höchster Stufe runterstellen!!!" arretiert haben. Grundsätzlich scheppert und röhrt es auf Give, aber hallo, mit angezogenem Tempo, doch wuchtet das Osloer Powertrio nicht vorrangig im Namen der Drei-Akkord-Aggression. In ihrem Noiserock überwiegt der Drang zur Melodie und Wehmut wie im resigniert gesungenen Never Know, Feel It plädiert flehentlich, aber auch lauthalsiger "Don’t leave me now/ be here forever/ I want no one else but you". Und falls einen das tatsächlich kalt lassen kann, wird man im Anschluss dann wieder von einer 75-sekündigen Riffwalze geplättet.
Ex Hex - Rips
Ich hatte ja so meine Probleme mit dem Studiosound von Wild Flag, der weit hinter der Live-Energie zurückstand, aber ganz optimal war die Dynamik von Carrie Brownstein und Mary Timony vielleicht auch nicht - als Beweis dafür können mittlerweile sowohl die neue Sleater-Kinney-Scheibe herhalten als auch Timonys eigenes Powertrio. Das war im Konzertrahmen genauso großer Rock'n'Roll-Fun (nur noch mit ausladenderen Solo-Spots) wie auf seinem Debütalbum, dass ich echt gehörig froh war, mich noch ins eigentlich schon vorab ausverkaufte King Georg gequetscht zu haben. Dass Betsy Wright und Laura Harris sich sowohl spielerisch nicht davor scheuen, den Hammer zu zücken als auch bereits hier ihr eigenes Songwriting ebenbürtig stehen kann, lässt für Ex Hex eine langlebige Zukunft übers grandiose Debüt hinaus erhoffen - und größere Bühnen. [MEHR]
Gazelle Twin - UNFLESH
Körperhorror als Pop? Na aber gerne doch. Nicht in schierem Noiseterror schleicht sich das Unwohlsein an, wenn Elizabeth Bernholz eigene Erfahrungen und Ängste aus dem Inneren hervorkitzelt, sondern in melodischen, vor allem aber durch die Poren unter die Haut kriechenden Songs. Die verdellten Vocals, das Hauchen und quiekige Stöhnen, sie könnten in anderem Kontext für eine atmosphärische Geistergeschichte herhalten, doch in UNFLESH festigen sie zu angespannten Beats das menschliche Element, wenn Gazelle Twin kränkelnde Physis und Psyche vertont, vor lauter Lust am Hirnbohren und Enthäuten nicht außer Acht lassend, dass die meisten davon in der Leistungsgesellschaft nicht aus dem Nirgendwo kommen.
Iceage - Plowing Into The Field Of Love
Keine Frage, New Brigade war mitreißend, aber bei Iceage ist mindestens ebenso wichtig was sie richtig machen (vor allem Dynamik, Melodien) wie was sie nicht so machen, wie man es in der Regel macht. Das Amateurhafte im Spiel war anfangs noch dadurch bedingt, dass die Teenager eben spielerisch Amateure waren und so musste You're Nothing zwangsläufig tighter ausfallen, was den Mangel an sonstiger Evolution deutlich werden ließ und für die Zukunft keine interessante Perspektiven aufzeigte. Doch siehe da, Iceage mussten bloß etwas anderes finden, das sie nicht ganz richtig inszenieren konnten. Je feiner und piano-streichergrandioser die Arrangements werden, umso anstößiger ist Elias Bender-Ronnenfelts Verweigerung, mit auch nur einem Hauch von Gesangstechnik die Töne zu treffen, je näher an tradiertem Country oder Folk die Songs, umso lustvoller wuchern sie in Kellersound und querlaufenden Begleitmelodien in den Morast ab. Das muss man scheiße finden dürfen und gerade deswegen ist es so toll!
Mila J - M.I.L.A. EP
Im Streaming-Zeitalter ist man ohne ein enormes Maß an Lust und Zeit an die Kapriziosen derjenigen gebunden, die über die Verfügbarkeit einzelner Veröffentlichungen bestimmen. Das wird umso schwerer im Bereich der Major-Player, die den anfänglichen Schock über die Online-Umschiebungen überwunden haben und strategisch in den neuen Vertriebskanälen platziert nun wieder gewohnt das Geschehen steuern können, bis dahin gehend, wer wo was wann hören darf. So kann ich jetzt allerlei darauf verwenden, meinen Enthusiasmus für diese gelungen runde R&B-EP zu erklären und wenn sich daraufhin wer fragt, wo die denn zu hören ist, nur mit "gar nicht" antworten. Bis zum heutigen Tag ist nur einer der fünf Songs darauf hierzulande download- und streambar, auf CD sind sie nicht erschienen, so dass es soweit ich sehen kann keine Möglichkeit für mich gibt, auf legalem Weg an sie heranzukommen. Zu schade …
Mr Twin Sister - Mr Twin Sister
Wenn ein Album in transparentem Gimmicklook und dafür womöglich Abstrichen in der Tonträgerqualität, dann dieses ohnehin schon schwummrige Wunderstück. Von softestem Pop über Funk und Disco bis zu Environ-technoidem Antrieb könnte Mr Twin Sister Genremischmasch oder eine DIY-Playlist abliefern, doch die Stilmutationen des New Yorker Quintetts sind so flüssig wie klischeefrei. Bestes Beispiel dafür ist In The House Of Yes, das seinen Disco-Funk zwar phasenweise mit Streichern behängt, aber dazwischen immer wieder im unsicheren Leerraum hängt und die Leadstimmen ähnlich im Pitch verschiebt wie später Twelve Angels. So sehr die Band auch von Unstetigkeit geprägt ist, ihr Album hält sie mit ungemein soliden Grooveinstinkten zusammen. Die Temperatur bleibt in einem lauwarmen Spektrum, Melancholie und Euphorie halten sich die Balance und auch das Spiel mit Licht und Schatten wird nie so simpel vollendet, dass die Trennwand von Mr Twin Sisters sinnlicher Traumwelt zur Realität wie eine Seifenblase platzt. Entrückt lebt es sich für manche eben besser. [MEHR]
Restorations - LP3
Fuck New York, gut 10% meiner Platten aus 2014 sind von Bands aus Philadelphia - oder, andersherum ausgedrückt: Ohne Philadelphia wäre dies nicht so ein Jahr mit erfreulich vielen tollen Rock-Platten geworden. Wobei sich daraus wohl keine Geschichte um eine konkrete lokale Szene spinnen lässt, denn durch die zu Festival-Grandeur angewachsene Heimwerkelei von The War On Drugs, Cayetanas punkigen Indie-Rock, Literatures Power-Indiepop oder Restorations' Post-Hardcore lässt sich kein allzu roter Faden ziehen. Schließlich ist's ja auch ne derartig subjektive Auswahl, als dass sie meinen komischen Vorzügen genügen muss, die sich neben dem Songwriting vor allem immer wieder daran entzückt, wie gut bei all diesen Bands die Instrumente klingen - vor allem bei Restorations ist das gleich dreifach die Gitarre, aber auch das Schlagzeug, das die Wuchtigkeit hat um dagegen nicht unterzugehen, bei allem Cymbal-Gedresche aber fern der Gelacktheit typischer Großhallenbands ist.
Von Spar - Streetlife
Die Geschichte lehrt: Wenn eine Band in zehn Jahren eine Wandlung wie Von Spar durchläuft, vom energetisch skandierenden Dancepunk zum gekonnt-glatten Disco-Funk-Kraut-Pop, dann bleiben dabei in 99% der Fälle Elan und Eigenheit auf der Strecke. Da sind Von Spar aber die 1%ler, mehr denn je unverkennbar in ihrer Liebe zu dem, was jene Musik ausmachte, die sie in ihrer eigenen Sicht kanalisieren. Streetlife geht tief, verzahnt sich im Groove, treibt luftig davon, manchmal auch alles im selben Song und so lange die Band dies mit solch anhaltender Bestimmtheit fortführt, wird sie hoffentlich nie der Beliebigkeit anheimfallen.