Xiu Xiu - Angel Guts: Red Classroom



Xiu Xiu - Angel Guts: Red Classroom
 

Kaum ein Entstehungsprozess ist zugleich so interessant und unterbeachtet wie der von Xiu Xius letzten Hauptwerken. Da war die kunterbunte (und auch letztendlich zu konfliktreiche) Projektverschmelzung mit Parenthetical Girls auf Always , das von John Congleton abgemischt nicht mehr so merkwürdig leblos wirkte wie der Vorgänger, und nun wurde eben Congleton auch noch stärker für das perkussionsfokussierte Angel Guts: Red Classroom involviert. Das geht über das von ihm aufgenommene Schlagzeug des Swans-Drummers Thor Harris hinaus bis in die Texte, die wahrscheinlich erstmals als von ihm und der mittlerweile bald schon dienstältesten Co-Xiu-erin Angela Seo "edited by" ausgezeichnet sind. Großartig "neue Facetten" oder so werden dabei freilich nicht rausgekitzelt, doch mich reißt dieses Xiu-Xiu-Album so rum wie schon seit nem guten Jahrzehnt keines mehr, weil Stewart in der Albummitte einmal so richtig auf die Kacke haut. Bis dahin wurde der Leerraum über dem von robotisch programmierter Steife bis ins angejazzt gehende Drummen gelegentlich mit langen Strichen aus fiepsig bis knarzig oszillierenden Analog-Synths gefüllt, aber derart, dass es mit der Zeit schon leicht einlullte. Doch gerade dann, wenn man schon glaubt, das Wesen dieser Platte als lediglich brodelnd und schwelend erfasst zu haben, taumeln El naco und Adult Friends einen Abgrund aus fieser Industrial-Dissonanz und gellendem Schweinequieken hinunter, dass ich beim ersten Mal glatt hochgeschreckt bin. Unversehens tappt man auf einmal nur noch auf Zehenspitzen umher, in Erwartung des nächsten Monsters, das um die Ecke aufs Hervorschnellen lauert.

La Secte Du Futur - Greetings From Youth



La Secte Du Futur - Greetings From Youth
 

Ich sehe schon, mit den monatlichen Sammelbeiträgen wird es so oder so nix. Weder fällt mir sofort zu allen bereits erworbenen Sachen aus einem etwas Monat ein, noch hab ich die immer zeitnah genug vorliegen, um über alles Gehörte zu schreiben.

La Secte Du Futur also, die erste Entdeckung des Jahres. Mit denen versuchte ich es nur deswegen, weil ihr zweites Album auf dem gleichen Label erschien, das bereits Royal Headache und TV Colours nach Europa gebracht hatte. Diese Band ist aber gebürtig so französisch wie ihr Name, wobei das auf musikalischer Seite ebensowenig von Belang ist wie wenn ich jetzt sage, dass sie Psych- oder Bluesrock machen würden, denn Derartiges reißt mich selbst in der Regel wenig mit, am ehesten kommt hier noch die sensationelle Debüt-EP von Crystal Antlers dran. Greetings From Youth setzt sich jedenfalls hinweg über die Behaglichkeit, die mit beflissentlichem Genrepraktizieren einhergehen kann. Hier wird Hall nicht zur behaglichen Abfederung, sondern zum Multiplikator jedes explosiven Ausbruchs, den die Band von Schlagzeug über Gitarren bis hin zu den in eine unsichtbare Wand keilenden Vocals praktiziert. Willkürlich aggressiv in ihrer Intention wirken La Secte Du Futur nicht, mehr wie bloße Marionetten der Urkräfte, die sie immer wieder in famosen Melodien kanalisieren und mit Cowboy-Amerikanismen wie Mundharmonika und Marschryhthmus zu herrlich ziellosen Hymnen pervertieren.

Januar 2014: Against Me!, Big Ups, Blank Realm, Sevendeaths



Against Me! - Transgender Dysphoria Blues
 
Es ist in der Regel ein gutes Zeichen, wenn ich mir bei einem Album mehr als alles andere wünsche, dass es besser produziert wäre. Auch wenn es hier stellenweise frustrierendes Ausmaß annimmt, wie unregelmäßig die Abmischung von Stück zu Stück und auch innerhalb einzelner davon ist, reicht das doch nicht, die Ausdruckskraft dieser fantastischen Songs zu untergraben. Da braucht man gar nicht erst so zu tun, als würde hier eine universale Erfahrung porträtiert, die jedermann nachvollziehen kann - nur wenige können verstehen, wie es ist, wenn etwas derart Umfassendes wie die eigene Identität in einer Schwarzweißwelt nicht nur angefeindet, sondern schlicht nicht anerkannt wird. Laura Jane Grace singt in denkwürdigen Textzeilen aus der Perspektive einer Unterdrückten, einer Ausgegrenzten, das aber in kraftvollen Songs, die keine Kapitulation zulassen und nicht ignoriert werden wollen.
 


Big Ups - Eighteen Hours Of Static
 
Klarer Fall von Küstenverwirrung: Mit ihrem spröden Posthardcore könnten Big Ups sich fast dem Dischord-Roster anschließen, wäre da nicht die unbeherrschte Punk-Energie, die immer wieder aus den New Yorkern rausbricht. Das ist alles ein wenig zu verschwitzt und versoffen für Washington, geht fast immer in unter drei Minuten über die Bühne, fiept und faucht und ätzt und gniedelt, ist aber auch immer ein wenig zu melodiesicher und von technisch präzisen Repetitionsschüben angetrieben, um abzustoßen. Eighteen Hours Of Static ist eine Einladung in den letzten verrauchten Kellerclub New Yorks, der noch nicht der Betriebsoptimierung des Geschäftsviertels anheim gefallen ist.
 


Blank Realm - Grassed Inn
 
Aussie Aussie Aussie, Jangle Jangle Jangle! Wobei diese Melbourner Band eher aus dem Gemütlichkeitsrahmen fällt, waren Blank Realm doch schon über Jahre vor allem in psychedelisch unscharfen Tiefen unterwegs und in den USA vor allem über Kassetten auf Not Not Fun präsent. Wo sich aber gerade über die Partnerschaft ihres Heimatlabels Bedroom Suck und dem britischen Fire Records ein gutes Stück mehr Melbourner Musik in die weitere Welt verbreitet, haben Blank Realm genau den richtigen Zeitpunkt erwischt, um sich mal ein wenig rauszuputzen. Wie etwas weniger weirde Ooga Boogas lassen sie veritable Schrammel-Hits vom Stapel, Jammen mit bestimmter Ausgedehntheit oder plastikorgeln auch mal mit The Clean um die Wette, dass das Treiben nie zu bunt oder zu benebelt wird.
 


Sevendeaths - Concreté Misery
 
Nieder mit analoger Haptik! Dieses Album gibt es nicht auf Vinyl, nicht einmal auf CD, was wenigstens noch in den Rahmen seiner Konzeption gefallen wäre. Allein aus digitalen Klangquellen und über Softwaremittel wie eine MIDI-Gitarre kreiert der Schotte Steven Shade seine Instrumentalmusik, deren beatlose Droneflächen mit schimmernder Klangfarbe eine eigentümliche Wirkung erhalten. Concreté Misery bildet nicht unbedingt völlig andere Grauzonen als die Klaustrophobien von Godspeed You! Black Emperor und Tim Hecker oder das kosmische Freiheitsgniedeln von Emeralds und Hillage ab, aber beide Tendenzen werden miteinander verwoben im Zaun gehalten, dass die Musik völligem rationalem oder emotionalem Verständnis ein Stück außer Greifreichweite hängt und irgendwo auch einfach in ihrer enigmatischen Imposanz beeindruckt. Sie bringt mich zumindest auf angenehme Weise dazu, frustriert um Worte und Ausdruck für sie zu ringen.

82 aus 2013



1. HAIM – Days Are Gone

2. The Knife – Shaking The Habitual

3. Dawn Richard – Goldenheart

4. Deafheaven – Sunbather

5. Paramore – Paramore

6. Beyoncé – BEYONCÉ

7. tricot – T H E

8. Burial – Rival Dealer EP

9. Owel – Owel

10. Natasha Kmeto – Crisis

11. Banque Allemande – Willst Du Chinese Sein Musst Du Die Ekligen Sachen Essen

12. Julianna Barwick – Nepenthe

13. The Wonder Years – The Greatest Generation

14. Paisley Parks – Бh○§†

15. Ciara – Ciara

16. Touché Amoré – Is Survived By

17. Classixx – Hanging Gardens

18. Prudence Rees-Lee – Court Music From The Planet Of Love

19. Eluvium – Nightmare Ending

20. Glasser – Interiors

21. Cülo – My Life Sucks And I Could Care Less

22. M.I.A. – Matangi

23. Humanbeast – Venus Ejaculates Into The Banquet

24. Youth Lagoon – Wondrous Bughouse

25. Perfect Pussy – I Have Lost All Desire For Feeling EP

26. Jenny Hval – Innocence Is Kinky

27. Joanna Gruesome – Weird Sister

28. Petar Dundov – Sailing Off The Grid

29. Superchunk – I Hate Music

30. bvdub & Loscil – Erebus

31. grim104 – grim104 EP

32. Quadron – Avalanche

33. Sky Larkin – Motto

34. The 1975 – The 1975

35. Jungbluth – Part Ache

36. Tegan And Sara – Heartthrob

37. Mountains – Centralia

38. Kelela – CUT 4 ME

39. The Courtneys – The Courtneys

40. Oranssi Pazuzu – Valonielu

41. Vampire Weekend – Modern Vampires Of The City

42. Bed Wettin' Bad Boys – Ready For Boredom

43. FKA twigs – EP2

44. Celeste – Animale(S)

45. Dick Diver – Calendar Days

46. Sky Ferreira – Night Time Is My Time + B-Sides, Part 1

47. f(x) – Pink Tape

48. Roly Porter – Life Cycle Of A Massive Star

49. Om'mas Keith – City Pulse

50. Perfume – Level3

51. HOAX – HOAX

52. Phil France – The Swimmer

53. Leverage Models – Leverage Models

54. Bushwalking – No Enter

55. Candy Claws – Ceres & Calypso In The Deep Time

56. AUF – CD

57. Kingdom – Clubposite Mix

58. Drug Church – Paul Walker

59. Momoiro Clover Z – 5th Dimension

60. Rhye – Woman

61. YAMANTAKA // SONIC TITAN – UZU

62. Wet – Wet EP

63. TV Freaks – Two

64. Doldrums – Lesser Evil

65. The Stevens – A History Of Hygiene

66. Young Galaxy – Ultramarine

67. Pikelet – Calluses

68. Gorgon City – Real EP

69. Direct Hit! – Brainless God

70. Jagwar Ma – Howlin'

71. TV Colours – Purple Skies, Toxic River

72. Pure Bathing Culture – Moon Tides

73. Kuchibiru Network 3

74. When Nalda Became Punk – Farewell To Youth

75. Le1f – Fly Zone / Tree House

76. Darkstar – News From Nowhere

77. Secret Circuit – Tactile Galactics

78. Ian Isiah – The Love Champion

79. Radioactivity – Radioactivity

80. Vondelpark – Seabed

81. Cassie – RockaByeBaby

82. Mano Le Tough – Changing Days

Perfume / f(x) / M.I.A. / Beyoncé / Leverage Models / HAIM

Die Frage mit Yasutaka Nakata ist wohl: Was soll der Mann nun 2014 machen, wo er in einem Jahr Alben für alle seine regulären Betätigungsfelder gemacht und obendrein noch mit Shiina Ringo kollaboriert hat? Dabei schienen sich die vielleicht immer nur gedachten Grenzen zu verschieben, während die ansonsten clubbigere Capsule fast schon ambiente Momente hatte, wurde Perfumes Level3 zu dem Album, das eigentlich den Titel Bangerz verdient gehabt hätte. Vor allem Party Maker endlädt seine farbenfrohen Klatsch-Druckzonen mit Chemical-Brothers-großen Beats, nicht nur hier wirkt die Konstruktion weniger auf Standard-Popsong getrimmt als wie die Musikkomponente von Perfumes kunstvoller Live-Performance. Zwar offenbart es auch abseits davon bald seine berauschende Wirkung, doch dass ausgerechnet dieses Perfumes erstes Album war, das weltweit veröffentlicht wurde ...

[Spotify] Perfume - Level3
[Deezer] Perfume - Level3

Schon verständlich, dass die Großen im Popgeschäft zu bewährten Rezepten tendieren. Mit allzu kühnen Soundentwürfen oder der Abkehr von simplen Harmonien riskiert man schnell, mit kommerziellem Gift abzuenden, das höchstens im Feuilleton ein paar nette Worte erfährt. f(x)s zweites Album Pink Tape schafft jedoch die Balance, haufenweise Einflüsse originell miteinander zu verquirlen und melodisch auch mal Upbeat-Nummern in eigenwillige Melodien zu kleiden, bleibt dabei stolz und schamlos ein (zumindest im eigenen Land) charttaugliches Popalbum ohne verkrampfte Avantgarde-Avancen. Die vielfach konfigurierbare Stimmchemie der Koreanerinnen prägt so seltsame kleine Songs wie Shadow oder Rum Pum Pum, das auf einem Cannonball-ähnlichen Motiv gleitend über Marschtrommeln erst eine Stimme nach der anderen eingängig anhäuft, um sie dann im Refrain in Moll-Strenge und nahtlos wieder zurückrutschen zu lassen.

[Youtube] f(x) - Pink Tape

Nicht nur Abhörskandale, auch das große diesjährige Suicide-Fressen bei u.a. Sky Ferreira oder Kanye West hat M.I.A. schon vor drei Jahren antizipiert. /\/\ /\ Y /\ bleibt mir trotzdem insgesamt zu unausgegoren, anders als das dafür wohl zu lange in Firmenmurkserei gefangengehaltene Matangi, das (ebenfalls trendsetzend erst nach Leakdrohungen veröffentlicht) wie ein pures M.I.A.-Album wirkt. Keine allzu auffälligen Samples/Cover, keine ungelenken Gäste, die über ihre Schuhe stolpern (The Weeknd ist praktisch unsichtbar), selbst ein zeitgeistig verspäteter Y.A.L.A.-Witz fällt nicht negativ auf, weil die unnachgiebige Musik so lebhaft kratzt und kickt.

[Deezer] M.I.A. - Matangi
[Spotify] M.I.A. - Matangi

Nach dem vor lauter Singles nicht so ganz an Format gewinnen wollenden 4 kam also diesmal einfach das Album zuerst. Außen schwarz, innen pinkrosa ist die CD-Box, die zugleich ein Musik- und Musikvideo-Album unter anderem über die Freuden des Ehesex beinhaltet - da nun groß Symbolik rauslesen zu wollen, ist eigentlich unnötig. Was Beyoncé wichtig ist, spricht sie explizit und unmissverständlich aus, beginnend mit "Perfection is a disease of a nation. It's the soul that needs the surgery". Vor allem aber singt sie es aus, meist überaus bemessen, manchmal sogar in angekratzter Imperfektion, wenn es dem Song zugute kommt. Dass die Namen der meisten musikalischen Kollaborateure das Jahr über schon in den Credits anderer, weniger guter Popplatten in ähnlich klingenden Songs auftauchten, macht deutlich, was dieses großartige Album wirklich ausmacht. Ihr Name steht in Großbuchstaben vorne drauf.

[Spotify] Beyoncé - BEYONCÉ
[Deezer] Beyoncé - BEYONCÉ

Das unscheinbarste Popalbum des Jahres. Wie man auch im Plattenladen dran hätte vorbeigehen können, bin ich dutzendfach an Titel und Cover vorbeigeklickt, weil sie so ungemein dröge wirkten. Dabei konfrontiert das Innere von Leverage Models' Debüt im Gegenteil sofort durch den furchtlos exuberanten Gesang von Shannon Fields. Alles lässt diese hohe Tonlagen erklimmende Stimme raushängen, auch an glänzend hellen Synths wird nichts zurückgesteckt, doch wie in glatteren Sax-Momenten verweben Leverage Models überall widerspenstige Klänge, die den Stoff dieser potentiell eindimensional flachen zu komplexen Songs von triumphaler Eingängigkeit machen.

[Stream] Leverage Models - Leverage Models

Einer der schönen Aspekte an einem Musikblog ist ja, dass man manchmal den Wandel der eigenen Eindrücke und Meinungen dokumentieren kann. Eine Suche nach HAIM zeigt eine anfängliche Unkenntnis der Band und ihrer Musik, der ich erst nur in Vocals und erstklassigen Remixen begegnete, dann beim Hören Gefallen an einer exzellent ausgearbeiteten Produktion fand. Bis es mir nach ein paar Monaten (weniger als auch nur sporadischen Hörens) auf einmal wie Stöpsel aus den Ohren fiel, dass beides doch so stimmig zusammenhängt: Der Forever-Remix zum Beispiel funktioniert eben deswegen so gut, weil eine der großen Qualitäten der Schwestern Haim in der Rhythmik ihrer Stimmen liegt, mit denen sie die Spannungszonen ihrer Songs wie niemand anders kontrollieren können. Ein enger Basslauf, ein ungebunden langer Ausruf. Gleichmäßig auf jeden Anschlag verteilte Silben, die sich zum Refrain hin verdichtend fast überschlagen. Klar, dass jeder einzelne instrumentale Klang dazu ebenso bis ins Detail durchgefeilt werden muss, klar, dass zusammen mit einem ebenso oberklassigen Hook- und Melodiegespür dabei nur das beste Album des Jahres herauskommen kann.

[Deezer] HAIM - Days Are Gone
[Spotify] HAIM - Days Are Gone