75 aus 2012 (Teil 6)

(Teil 1) (Teil 2) (Teil 3) (Teil 4) (Teil 5) (Teil 7)

Platz 20
Converge - All We Love We Leave Behind

Es mag wie ein gewohnheitsmäßiger Freifahrtschein für sentimentale Favoriten aussehen, wenn eine Hardcore-Band im 25. Bestehungsjahr in vielen Albumlisten als einzige ihrer Art dasteht - doch wir haben es hier nun mal nicht mit U2 oder whatever zu tun, die sich als Superstars mit Routinealben auf ihrem Ruhm ausruhen können. Converge bleiben eine Ausnahmeband, weil sie hungrig bleiben, weil sie nicht bloß offen für Änderungen bleiben, sondern sich ihnen verpflichtet sehen um die Vitalität ihrer Vision zu bewahren. So ist auch dieses, dem Alter nur thematisch (und vielleicht Heiserkeits-stimmlich) zugewandte Album unverkennbar anders als jedes vorherige, noch beeindruckender aber, weil es immer noch diese viszeralen Momente bereithält, die einen beim Hören zum Prusten bringen.

[Spotify] Converge - All We Love We Leave Behind

Platz 19
Carly Rae Jepsen - Kiss (Deluxe Edition)

Es schien dieses Jahr schon fast die Norm, dass Major-Popalben einige ihrer besten Songs in Bonus-Tracks versteckten, so dass diverse Deluxe-Editionen ein gutes Stück besser dastanden und nicht bloß reine Fanausbeutung waren. So auch bei Carly Rae Jepsen, deren Album sich in jeder Fassung immens verbesserte, indem man die beiden Duette mit Bieber und Owl City aus der Abspielliste eliminierte. Denn auch wenn selbst die weniger refraingelungenen Songs immer durch irgendeine Bridge, eine Variation oder sonstwas hörenswert bleiben, was dieses Album macht ist das von anderen unbehelligte Vokalcharisma Jepsens mit einem ungeheuren Talent für Intonation dessen, was bei anderen längst nicht so denkwürdig aufiele.

[Spotify] Carly Rae Jepsen - Kiss (Deluxe Edition)

Platz 18
Royal Headache - Royal Headache

Der goldene Dreier für eine gute Rockplatte: Performance, Hooks und Produktion. So banal sich das sagt, umso mehr laufe ich mit zunehmendem Höralter auf diese drei bestimmenden qualitativen Unterschiede hinaus zwischen dem, was mich mitreißt und dem, was es nicht vermag. Das mag für keine debattierbaren Argumente herhalten, aber ist nunmal das, was Royal Headache offenkundig macht: Wenn der Sänger einen souligen Anklang im Kehlgesang hat und seine Mitspieler mit Feuer im Hintern auf den Punkt spielen und das Ganze angemessen aufgeraut (thanks, Mikey Young) aus der Anlage erklingt, dann legt sich im Hirn der Schalter um, der von der Schädeldecke bis zum Steißbein ein begeistertes Nervenzucken entfacht.

[Stream] Royal Headache - Royal Headache

Platz 17
Mount Eerie - Clear Moon / Ocean Roar

Schon seltsam: Bisher fand ich kein Album Elverums als Mount Eerie so ganz gelungen, entweder nicht konsistent songstark oder an schlüssiger Gesamtdramatik mangelnd. Und nun dies, ein Doppelalbum, zwar in zwei Teilen veröffentlicht doch unverkennbar zueinander gehörend und am besten an einem Stück gehört - und alles andere als prädominant songstark und gesamtdramatisch. Es ist nichtmal so sehr Musik im Folksong-Gewand oder im Black-Metal-Gewand oder Ambientgewand, als es Phil Elverum im Musikgewand ist: Man hört Phil Elverum dabei zu, wie er sich in einem neuen Aufnahmeort mit neuer Klangfreiheit vortastet, von bisherigen Alben bekannte Sounds eint und weiter dehnt, anfangs zögerlich, bald tollkühner mit Texturen und Dynamiken spielend und dabei ein ums andere Mal bezaubernd.

[Stream] Mount Eerie - Clear Moon / Ocean Roar

Platz 16
Petar Dundov - Ideas From The Pond

Synthgenudel von Schulze-Kaliber und Techno sind eine heikle Kombination: Leichter passen ins rigide Gerüst klar ausgeformter Beats simple, ebenso klar ausgeformte Tonmuster oder verwaschene, ambientig texturierte Flächen, die sich entweder gut ins Gerüst einfügen können oder aufgrund ihrer Gestalt keinerlei Rücksicht darauf zu nehmen brauchen. Dundov schafft das Kunststück, scharf konturierte Melodieläufe über zweistellige Minutenzeiten hinzubiegen, die selbst dann geduldig durchgeplant wirken, wenn sie mir bei genauem Hinhören stellenweise wie brillant getarntes Freistil-Geplinker vorkommen.

[Stream] Petar Dundov - Ideas From The Pond

Platz 15
Chairlift - Something

Chairlift machen vielleicht das beste Argument gegen reaktionären 80er-Revival-Hass. Was wurde nicht alles zusammen mit jener Dekade vorzeitig begraben, das dem Pop so gut steht: Songs, zu denen man mit einem dieser Tänze auf der Stelle tanzt, als würde man sich eigentlich fortbewegen; ein Spoken-Word-Teil in monotoner Stimme; dieser klare Gated-Drums-Klang, dieser Synth-Sound, immakulat als eines von vielen nicht nur ästhetisch, sondern funktional bereichernden Details in ein modernes Popalbum assimiliert, dessen Klasse ohne Kopfhörer gerade mal halb zutage tritt.

[Stream] Chairlift - Something

Platz 14
John Talabot - ƒIN

So gern ich für Elektronisches meine intern-affektionalen Etikette wie "Feld-Wald-Wiesentechno" oder "Emo-Dance" mag, an John Talabot versagt eine eindeutige Bindung an Gemütszustände, Zeiten oder Orte. Mal ist ƒIN zu weird und düster um nur sonnig zu sein, mal zu explosiv festiv, um introspektiv zu wirken, über alle Jahreszeiten erhaben ist es allemal - Frühling, Sommer, Herbst, Winter ... und Frühling, jede Saison fühlt sich wie die genau richtige hierfür an. Mit treffsicherer Unpräzision ist es zwischen Lo-Fi-House, Balearic Disco und Psychedelic Techno vielleicht die ultimative Permanent-Vacation-Platte - und das will was heißen.

[Stream] John Talabot - ƒIN

Platz 13
Guillemots - Hello Land!

Bei einigen meiner Lieblingsplatten 2012 war ein einladender, sanft ausgeprägter Klang mindestens genauso wichtig wie ihr Songwriting - in der Hinsicht wohl keine Überraschung, dass Guillemots mit der neuen Freiheit ihrer selbstveröffentlichten Albumreihe in diesen Reigen einfielen. Auch wenn mir Red mit der Zeit besser gefiel wurde ich von da an nie das Gefühl los, dass das einst so wohlklingende Quartett sich in einer Mischung aus Labelerwartungen und zu viel Studiogefummel atmosphärisch sabotierte, womit hier gewiss Schluss ist: Ein Gefühl von lustvoller Spontanität prägt Hello Land!, das Durchziehen einer, zweier statt eines halben Dutzends Ideen, was neben dem Simon/Garfunkeligen von Southern Winds und der Feenfolk-Göttlichkeit Byebyelands gelegentlich über die Stränge zu schlagen drohte, wäre diese Musik nicht so ungemein gut klingend, dass der aurale Genuss über formale Snobismen siegt.

[Stream] Guillemots - Hello Land!

Platz 12
Shoppers - Silver Year

Noise-Ambient, Avant-Hiphop, Synth-Experimente, koreanischer Pop - alles leichter tagesaktuell zu verfolgen, als man denken würde. Wo ich wirklich dauerhaft hinterherhänge, ist gute deftige Gitarrenmusik. In der Regel muss man erst einmal auf eine Beschreibung davon stoßen, der noch nicht mal ein Soundcloud-Embed beigefügt ist. Es kann Wochen dauern, bis man in eine Platte online hereinhören kann, die zu dem Zeitpunkt schon beim Label ausverkauft ist, dann muss man eine Distro finden, bestellen, eventuell nochmal Wochen auf die Liefeung warten - kurz, nichts für Ungeduldige.

Wer bessere Empfehlungsfilter hat als ich, konnte schon im letzten Quartal 2011 von diesem Album wissen, mir fiel es erst zu Jahresanfang in den Briefkasten und wurde so halt zu einer meiner meistgehörten 2012er-Platten, obwohl sich die Band dahinter leider bald wieder auflöste. Sie hinterlässt ein infernalisches Noise-Punk-Meisterwerk, mit einer shoutigen Sängerin, markigen Riffs und subkutan schneidenden Texten, angetrieben von Schmerz und Verzweiflung, resultierend in Katharsis: "You can not defeat the darkness / you can only be the light".

[Stream] Shoppers - Silver Year

Platz 11
Cooly G - Playin' Me

Nicht so oft wie bei Voigt, aber auch mehr als einmal ist mir hier ein Vinyl-Malheur passiert: Nach einer der LPs dachte ich, das Album wäre schon zu Ende, bis mir irgendwann beim Einführen in den Pappschuber die zweite auffiel. Vielleicht ein Beweis dafür, wie Cooly G hier vor allem meisterlich eine stimmungsintensive Klangwelt schafft, deren unüberhörbarer Sinnlichkeitsaspekt in merkwürdig vielen Rezis komplett ausgeblendet wurde, als wäre dies ein Album frei von Lustbekundungen wie "sex me, undress me" in Sunshine und als würde man mit dem Hinweisen darauf ein Nina-Kraviz-Albumcover-Besabbler. Ob mit oder ohne Bassfokus, mit stereo-aufgetürmten Synth-Architekturen oder im verschlafenen Texturenspiel, Playin' Me macht Songs oder Tracks lässig vereinnahmend, die isoliert davon weniger Faszination ausüben könnten - der Unterschied vom Album zur Single eben.

[Stream] Cooly G - Playin' Me

75 aus 2012 (Teil 5)

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Platz 30
Alcest - Les Voyages De L'Âme

Nicht nur im Punk wurde viel meiner härteren Lieblings-Gitarrenmusik dieses Jahr von einem gewissen Grundrauschen durchzogen. Bei Alcests Metalgaze ist derartig texturiertes gewiss zu erwarten, doch injiziert dessen Permanenz ein zusätzliches Gefühl von getragener Weite in Songs, die ohnehin grandioser dimensioniert wirken und ein zuletzt vermisstes Melodiegespür mit schwarzer Rauheit zu betörenden Kompositionen verbinden.

[Spotify] Alcest - Les Voyages De L'Âme

Platz 29
Lindstrøm - Smalhans

Zwei Alben brachte Lindstrøm 2012 heraus und zeigte dabei endlich, wie man nicht alle seine Musik grundsätzlich mögen müssen kann. Six Cups Of Rebel schien nicht nur in seiner Rundgren-Überdrehtheit, sondern auch im Albumtitel und -Artwork gegen Lindstrøms eingängige Linie zu rebellieren, die er mit Smalhans' Gesichtsporträt-Cover wieder aufgriff. Vor allem musikalisch, wo er aus sich emporschraubenden Harmoniespiralen eine magische halbe Stunde Space-Disco-Party herbeizauberte.

[Stream] Lindstrøm - Smalhans

Platz 28
Nü Sensae - Sundowning

Sundowning könnte eine Werbe-CD für die Wichtigkeit von Gitarren sein, so gewaltig der Qualitätssprung, den das Bass-Schlagzeug-Duo mit der Erweiterung zum Trio vollzog. Doch Nü Sensaes Noise-Punk glänzt auch dort, wo seine Dynamiken noch bassfokussierter oder atmosphärisch reduziert sind, in immer wieder anderen Songformaten und -tempi bleibt Sundowning auch über mehr als eine halbe Stunde mitreißend in seiner geschlossenen Stärke.

[Stream] Nü Sensae - Sundowning

Platz 27
Xiu Xiu - Always

Nach dem merkwürdig gräulich-stumpfen Dear God, I Hate Myself, das ich als erstes Xiu-Xiu-Album seit so einiger Zeit ausließ, erwies sich Always nicht nur als erfreulich revitalisiert, sondern könnte mit der Zeit sogar zu einem meiner ganz großen Stewart-Favoriten avancieren. Einerseits ist die Songqualität da, aber wenn man darum weiß wird auch der kreative Zwist spürbar, der die Zusammenarbeit mit dem nicht minder dickköpfigen Zac Pennington vor allem auf dessen Songs in der Albummitte in Parenthetical-Richtung schwingt, sich aber letztlich als so groß erwies, dass diese Inkarnation der Band nicht einmal bis zur Albumveröffentlichung anhielt.

[Stream] Xiu Xiu - Always

Platz 26
Xinlisupreme - 4 Bombs

Mir fällt gerade erst auf, dass ich die Musik dieser EP größtenteils schon vor zwei jahren gejahresendlistet hatte - doch da das Songpaket seitdem mit dem Niedergang von Megaupload im digitalen Nirvana verschwand, zählt das hier allemal als offiziellere Wiederveröffentlichung. Und ohnehin wirkt Xinlisupremes Noise-Pop, der himmlisch schöne Musik in gnadenloser digitaler Übersteuerung verfremdet, unvergänglich wie ein futuristischer Androidentraum unter Hochspannung.

[Spotify] Xinlisupreme - 4 Bombs

Platz 25
Katy B - Danger

Kurz vor Schluss brachte Katy B im Duett mit Jessie Ware nochmal so eben einen der besten Popsongs des Jahres heraus. Damit nicht genug, kam dieser im Paket mit dem nicht minder großartigen Got Paid, das endgültig an die Überdrehtheit von Yeahss Crass Version erinnert, wenn Wiley in vollem Koffeinrausch über den Beat herfällt. Selbst die mäßige Ke$ha-Imitation Iggy Azaleas kann Light As A Feather nicht nach unten ziehen, wobei das Titelstück noch ein deutlich stärkeres Argument dafür macht, dass sich die stimmsouveräne Katy B mit ihrem nächstes Album einen Schritt außerhalb des Rinse-Produzentenkreises erlauben kann.

[Stream/Download] Katy B - Danger

Platz 24
Superstorms - Superstorms

Ich werd nie verstehen, warum jemand Musik als ein ununterbrochenes Stück arrangieren und tonträgermäßig dann nur auf Vinyl veröffentlichen würde - aber das tut der besonderen Wirkung von Superstorms' Noise-Ambient nun keinen Abbruch, denn die tritt vor allem auf der zweiten Seite zu Tage. Dort lichten sich die voluminösen Diginoise-Texturen, so dass man nur der Sanftheit einer Akustikgitarre lauscht - bis sie wieder von Lärm überflutet wird. Isoliert betrachtet ist es vielleicht kein so spektakulärer Moment, doch zusammen mit all dem, was ihm vorher ging, erscheint er phänomenal.

[Stream] Superstorms - Superstorms

Platz 23
Young Smoke - Space Zone

Young Smokes Debütalbum ist vielleicht das erste Footwork-Werk, das sich insbesondere durch Sounddesign distinguiert. Angeblich ohne Fremdsamples konstruierte der junge Produzent hierfür seine Sci-Fi-Soundästhetik, die in der zweiten Hälfte von Flipperautomaten-Sounds mit Vocals auch ein Stück in Richtung 70er/80er Space-Disco rückt. Wohlgemerkt wäre dieses ästhetische High Concept alleine nichts, würde Young Smoke es nicht in durchgängig starkes Perkussionsgetitsche einbetten - dessen Qualität zeigt sich schnell im Vergleich mit dem halben Dutzend Alben und EPs, die er seitdem (also die letzten 3 Monate) rausgehauen hat.

[Deezer] Young Smoke - Space Zone

Platz 22
T-ara - T-ara's Best of Best 2009-2012: Korean ver.

Den absoluten Irrsinn, der sich um T-ara abgespielt hat anzureißen, würde etwa so viel Platz einnehmen wie diese gesamte Liste. Kurz gesagt schwangen sie sich Mitte 2011 mit Roly Poly von der maximal zweiten K-Pop-Garde für fast genau ein Jahr an die Spitze des Girl-Group-Throns. Eine exzellente Singles-Gruppe waren sie aber schon vor ihrer Erfolgsserie, was eben nur eine Singles-Compilation nahezu ausfallfrei dokumentieren kann - allein die unnötigen Remixe und den schaurigen Fußball-WM-Song sollte man durch die neuere Single Sexy Love ersetzen, schon hat man eines der besten K-Pop-Alben aller Zeiten.

[Youtube-Playlist] T-ara - T-ara's Best of Best 2009-2012: Korean ver.

Platz 21
Voices From The Lake - Voices From The Lake (CD-Version)

Wahrscheinlich könnte ich zu mehreren Alben Versionshinweise respektive ihres Trägermediums geben (in der Regel hole ich mir die längere, wenn es Unterschiede zwischen Vinyl und CD gibt, vor allem aber die, die einem geschlossenen Album am nächsten kommt). Gerade in Richtung Techno gibt es dort oft signifikante Unterschiede, so auch hier, wo ich die Vinyl-Umordnung nicht nachvollziehen kann: Dieser göttliche Ohrenöffner-Moment, wenn nach atmosphärischem Ambiente-Aufbau irgendwann diese bescheidene Melodie mit immenser Wirkung einsetzt, bleibt mir dort verwehrt.

[Albumsampler] Voices From The Lake - Voices From The Lake

75 aus 2012 (Teil 4)

(Teil 1) (Teil 2) (Teil 3) (Teil 5) (Teil 6) (Teil 7)

Platz 40
Land Of Light - Land Of Light

Auf guten Geschmack nehmen Land Of Light keinerlei Rücksicht: Wer Kaputt oder das letztjährige Hatchback-Album nicht abkonnte, wird vor dem Londoner Duo wohl schreiend davonlaufen. Voller Wuschen und Woschen treibt ihr instrumentales Streicheln zwischen Softestrock und New-Age-Electronica, wird mal saxophonig destroyerisch oder auch zum Finale eine Hillage-gniedelige Scheibe M83-Ambients.

[Stream] Land Of Light - Presence Of The Past / Higher Love

Platz 39
Rolo Tomassi - Astraea

"Diplo produziert Hardcore-Band" mag für attraktivere Schlagzeilen herhalten, doch in Eigenarbeit hat das britische Quintett mit Album Nr. 3 einen ambitionierteren Schritt in die Breite vollzogen. Zwischen Thursday-Sphärik, BTBATM-Vertracktheit und Crimes-Schreiduellen spreizen Rolo Tomassi ihren Sound mit Geisterkirmesorgel und Space-Synths auf, kippen so von einem Moment zum Nächsten aus melodischer Getragenheit in die Aggro-Punktur abgehackter Posthardcore-Dynamiken, dass es nie proggig-selbstverliebt wird sondern im Dienste der Songs bleibt.

[Spotify] Rolo Tomassi - Astraea

Platz 38
Gary War - Jared's Lot

Als ich Gary War Ende letzten Jahres live sah, hätte ich nicht vorhersagen können, wie sein neues Album ausfallen würde. Ich weiß nicht mal, ob er überhaupt Songs davon gespielt hat, zu ununterscheidbar wurden seine Songs aus feuchtverfilterter Gitarre und Halbplayback. Erfreulich differenziert hingegen ist Jared's Lot ausgefallen, pedallustig und synthlastig formt War sein Songwriting darauf ebenso stark aus wie die Schrägheit seines nicht gerade typischen Spacerocks.

[Spotify] Gary War - Jared's Lot

Platz 37
Useless Children - Post Ending // Pre Completion

Klar, dass sich australischer Unmut nicht immer in zahmen Gehegen abspielt: Imposant wie Boris in unpsychedelischer Bestform reitet das Melbourner Noiserock-Trio einen höllischen Groove über wuchtige Drums und einen Bass, der mitunter ebenso metallisch scharfe Splitter absondert wie der Sechssaiter. Das Ergebnis ist dabei alles andere als Freilauf-Gebolze, sondern vermag mit seinen präzisen Repetitionszirkeln eine geradezu hypnotische Surrealwirkung zu entfalten.

[Stream] Useless Children - Post Ending // Pre Completion

Platz 36
Serebro - Mama Lover

Hätte ich Ahnung von Eurovision, wären mir die Russinnen wohl schon früher ein Begriff gewesen - jedoch ist es wohl besser, dass ich völlig naiv an einen Song wie Gun heranging. Nicht nur präsentieren sich Serebro meist so unmoderat wie auf ihrem Albumcover (wenn auch textlich in gelungener Überzogenheit), ihre zum Teil schon älteren Songs wurden von wenig geglückten Pop-Rock-Fusionen für ihr englisches Debüt remodelliert, so dass sie nun nicht nur im Blechbläser- und Gitarreneinsatz erstaunlich oft an Girls Aloud erinnern - mit dem Unterschied, dass wenn Serebro Something Kinda Ooooh gemacht hätten dieses wahrscheinlich tatsächlich von den Freuden des Analsex gekündet hätte.

[Spotify] Serebro - Mama Lover

Platz 35
International Feel: A Compilation

Ich werd wohl nie zum Vinyl-Single-Käufer werden, aber die Veröffentlichungen von International Feel haben mich über die letzten zwei Jahre doch alle paar Monate schwer darüber nachdenken lassen. Egal ob sich DJ Harvey offen hinterm Pseudonym Locussolus versteckt oder andere Produzenten kollektiv als IFEEL Studio firmieren, oder auch ob Bepu N'Gali nun wirklich eine dreizehn Leute starke Gruppe aus Botswana sind, alles auf dieser Highlights-Sammlung reiht sich nahtlos in die diverse Diskographie des Labels ein, bei der außer einem "irgendwie Disco bis Balearic"-Begriffsringen nur eine immense qualitative Konsistenz ein roter Faden zu sein scheint.

[Stream] Samples CD 1 / Samples CD 2

Platz 34
Raime - Quarter Turns Over A Living Line

Eines dieser besonders deswegen zu schätzenden Alben, das umso eindrucksvoller wird, je lauter man es macht (und überhaupt, weil man es lauter machen kann). Ihr Swans/Burial/Bohren-Ding aus knochigen Beats wird nicht nur wuchtiger im Anschlag, sondern vor allem intensiviert sich die bedrückende Wirkung einer sich im Albumverlauf zuziehenden Schlinge, ohne dass das reine Anhören der wohlgeformten Sounds physisch unangenehm wird.

[Stream] Raime - Your Cast Will Tire

Platz 33
Twigs - Twigs

Wir sind wohl an einem Punkt angekommen, wo man Präsentation genau so ignorieren kann wie Nicht-Präsentation. Denn egal ob kalkulierte Major-Lancierung oder DIY-Projekt, Twigs' Debüt-EP zieht einfach ein fabelhaftes Trip-Hop-Schattenzelt auf, in dem sie über metallenes Schaben von Verlangen haucht und in so spärlich beleuchteten wie gefüllten Räumen von nokturnem Geisterstöhnen umhüllt wird, dass man selbst nur zu gerne zu dieser Musik das Licht ausmacht.

[Stream] Twigs - Twigs

Platz 32
Boomgates - Double Natural

Melbourne-Bands, die Kurzfassung: Wir haben kein Geld und es regnet. Klischees, die sich auch bei Boomgates' Texten mehrfach antreffen lassen, dass sie sich aus Mitgliedern diverser anderer Bands zusammen setzen ist ebenso typisch für diesen Mikrokosmos, in dem so viel aus Not wie aus Lust zu laufen scheint. Was Boomgates abhebt, ist denn neben der Stimmdynamik aus Dick-Diver-Vokalistin und Eddy-Current-Leadsänger nunmal das, was sie machen, so wie sie es machen: exzellente Songs ohne die Krücke der großen Pose oder kleinen Bescheidenheit, bei aller Eingängigkeit nie in eitel Sonnenschein, denn sonst könnten sie ja gleich surfen gehen.

[Deezer] Boomgates - Double Natural

Platz 31
Saint Etienne- Words And Music By Saint Etienne

Es sollte unmöglich sein, ein Album wie dieses, das vom Leben mit und durch Musik kündet, nüchtern sachorientiert zu besprechen. Pop ist Alltag und Alltag ist Pop für Saint Etienne, die von Erfahrungen mit ersten Single-Käufen und Clubbesuchen singen, vom Proto-Musikblog FreakyTrigger und den Freuden des Alterns mit Musik zusammen, immer sind diese lebenslustigen Songs an Konkretes gebunden, das emotionale Relevanz hat, kein postmodernes Referenzfest um der Referenz willen. Und, auch wenn die Konkurrenz nicht groß ist, hat es die meisten besten Saint-Etienne-Songs ihrer Alben diesseits der Jahrtausendwende.

[Spotify] Saint Etienne - Words And Music By Saint Etienne

75 aus 2012 (Teil 3)

(Teil 1) (Teil 2) (Teil 4) (Teil 5) (Teil 6) (Teil 7)

Platz 50
Lovelock - Burning Feeling

Keine Angst vor Käse! Steve Moore ist nicht der einzige, der mit geschmäcklerisch verrufenen Disco-Sounds der 80er hantiert, aber zwischen Hi-NRG-Kloppern und New-Age-Ambience spannt er eine nur schwer nachahmbare Variationsbreite. Dabei mag Burning Feeling Stück für Stück nicht viel besser sein als die auch prima letztjährigen Werke von Holy Ghost! und Wolfram, ist aber eben nicht so eintönig wie Ersteres und nicht so frontlastig wie Letzteres, hebt sich vielmehr den größten Klopper für kurz vor Schluss auf.

[Stream] Lovelock - Burning Feeling

Platz 49
Finally Boys - Feelings

Als geschmolzen verbalisiertes "Temptation" tropft pures Verlangen durch Ascending Temple - eine der wenigen Stellen, in denen menschliche Stimmen nicht bloß als wortlose Instrumente fungieren. Doch was dieser Digi-Pop vor allem zeigen will, ist dass sich Emotionen ebensogut mit gleißenden Synthschüben evozieren und ausdrücken lassen: Wenige Momente waren dieses Jahr so aufregend wie jener, wo die flittrigen Snare-Ticker in Contact den Hypergang einlegen und eine Stimm-Synthflut sondergleichen lostreten.

[Stream] Finally Boys - Feelings

Platz 48
Bitch Prefect - Big Time

Mein Problem mit C86-angefixtem Sound, wie er den jüngeren US-Indierock momentan dominiert, ist ja vor allem ein Ästhetisches, vor allem weil damit über Albumlänge schnell Abnutzungserscheinungen auftreten. Wenn man sein Musikhören nun allein nach textlicher Gegenwarts-Relevanz, nach Songs, die nicht nur über Brooklyn-Befindlichkeitsfixierung künden richtete (und wie langwielig müsste eine solche Plattensammlung sein), wäre man aber auch darin mit Australien derzeit besser beraten. Hier echot die Rezession nicht nur in schnoddrigem Sound, sondern auch in Texten wie denen von Big Times Jangle-Fest, das jetzt nicht zum Widerstand gegen das System aufruft, aber eben zumindest Unmut mit neoliberalisierten Zwängen zeigt.

[Stream] Bitch Prefect - Big Time

Platz 47
JoJo - Agápē

So spät kam JoJos Mixtape inmitten all der Jahresend-Anhörereien, dass ich immer noch keinen kompletten Durchblick für Agápē habe. Beginnend mit einer frustrierten Entladung über jene Geschäftskräfte, die bis dato die Veröffentlichung ihres dritten Albums verhindert und Nebenbetätigungen wie diese hier ermöglicht/erzwungen haben, ist es ebenso persönlich-autobiographischer R&B wie die eingestreuten Aufnahmen eines Familienfests, geizt aber auch nicht mit universellem Pop wie den nicht minder formidablen André und Billions.

[Stream] JoJo - Agápē

Platz 46
Bits Of Shit - Cut Sleeves

Nun sollte über all den Jangle nicht vergessen werden, dass es down under auch formidabel verkracht zugeht. Dennoch liegt man mit Bits Of Shit nicht weit von bekannten Anknüpfungspunkten: Melbourne, Mikey Young am Mischpult, vor allem aber auch diese angerohte Konsequenz, mit der hier Punk zwischen hymnischen Fucked-Up-Wänden, Wire-Artiness und einem scheinbar von der US-Westküste exportierten Raukehlchen aufgezogen wird. Ein paar Mal hat's gedauert, um das alles zu absorbieren, aber mittlerweile würde ich Cut Sleeves getrost zu den ganz großen Punkhighlights des Jahres zählen.

[Stream] Bits Of Shit - Cut Sleeves

Platz 45
Dinosaur Jr. - I Bet On Sky

Solange so etwas dabei herauskommt, kann ich mich gut damit abfinden, wenn 80er/90er-Indierock der neue Altherrenrock wird, für den sich nur noch wenige unter 30 interessieren. Wobei das Kuriose daran halt ist, dass es fast andersrum läuft wie uns die Geschichte gelehrt hat, wo die feurig beginnenden mit dem Alter langsamer, energieloser wurden und durch junges Blut ersetzt werden sollten. Nix mit Akustik-Singsong, Dinosaur bleiben nicht nur in ihrer performativen Geist vital, sondern führen ihre Songwriting-Erfahrung ein ums andere Mal zu emotionalen Momenten - zwar nicht mit perfekt integrierten Barlow-Songs, aber auch nicht dermaßen von Mascis überdeckt wie auf dem generell unhörbar verproduzierten letzten Album.

[Stream] Dinosaur Jr. - I Bet On Sky

Platz 44
Icona Pop - Icona Pop

In Deutschland ist das Debütalbum der Schwedinnen noch lange nicht erschienen, scheint sogar so, als würde nun erstmal die Iconic-EP anstehen, die schon einen Großteil der Albumhighlights enthält? Nuja, ich wollte jedenfalls für den Rest der Stücke nicht bis zum nächsten Spätsommer oder whenever warten, denn auch wenn Icona Pop im Hedonismus-Vergleich mit Ke$ha meist etwas platt dastehen: Bis dem Album im letzten Drittel kurz der Atem ausgeht und über Nü-EDM stolpert, ist das grenzhysterische Haudrauf Icona Pops ein großer Party-Innuendo-Sorglosspaß.

[Stream] Icona Pop - Iconic EP

Platz 43
Micachu & The Shapes - Never

Ich muss mir das mal langsam merken, insbesondere damit ich auch mal den Mixtapes und anderen Exkursionen Mica Levis nochmal eine Chance gebe: Bis ich sie höre, vergesse ich immer wieder, wie gut Micachus Alben sind. Das liegt nicht allein an ihrem unkonventionellen Sound, vielmehr an ihrem trügerisch lässigen Songwriting, das oft erst in Kombination mit dem Sounddesign und in der musikalischen Summe eines Albums seine Stärke entfaltet. Wahrscheinlich wird sich Never durch die Abwesenheit offensichtlicher Singles sogar langfristig als stärker erweisen wie ihr Debüt - doch das müsste ich jetzt auch erstmal wieder nachhören.

[Spotify] Micachu & The Shapes - Never

Platz 42
Skywlkr / Friendzone - New Impressions / Collection I

In A$AP-Zeiten, wo ein neuer Rap-Hype auf seinem Major-Debüt hinter Gästen und Produzenten höchstens die dritte Geige spielt, ist es nur konsequent, dass die interessantesten neuen Beatmacher ihre Werke rein instrumental präsentieren. Und da brachten diese beiden (bzw. drei, wegen Friendzone als Duo) meine liebsten Cloudrap-ohne-Rap-Alben: Skywlkr etwas härter, bassiger, mitunter auch noch Benga-dubsteppig, doch eben mit diesem Gespür für Perwoll-Softgewaschenes, das einem Friendzone permanent in rosa Wölkchenform um die Ohren schmieren.

[Stream/Download] Skywlkr - New Impressions
[Stream/Download] Friendzone - Collection I

Platz 41
Moonface - With Siinai: Heartbreaking Bravery

Mit der Ankündigung, die Kollaboration mit den Finnen fortzuführen, scheint Spencer Krugs Dauerprojekt seine permanente Reformation kurz zu unterbrechen - stören dürfte das hiernach niemand, war es doch nach den homogenen, formal strengen bisherigen Angelegenheiten die erste Moonface-Platte, die von Volumen und Vielfalt der Songs her nicht nur eine Musikansammlung abgab. Und sicher auch jene zufriedener stellte, die die Banddynamik Sunet Rubdowns und Wolf Parades zuletzt vermisst hatten, gerade ans Spätwerk Letzterer knüpfte Heartbreaking Bravery immer mal wieder an.

[Stream] Moonface - With Siinai: Heartbreaking Bravery