75 aus 2012 (Teil 2)

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Platz 61
Wynter Gordon - Human Condition 1: Doleo

Der zweite von vier Human Condition-Teilen soll nun wohl erst im Januar erscheinen - in Sachen Indie-R&B läuft es mit der ambitionierten Eigenveröffentlichungsserie auch nicht anders als bei Indie-Bands. Aber überhaupt, in was für interessanten Zeiten leben wir, in denen eine in Major-Kreisen etablierte R&B-Sängerin mal so eben eines der besten Popalben des Jahres als Gratis-Download raushaut? Und das in bemerkenswerter Vielseitigkeit, vom Afro-Pop Stimelas über Kontempo-R&B bis zum totalen 80s-Blowout Waiting.

[Stream/Download] Wynter Gordon - Human Condition 1: Doleo

Platz 60
Free School - Tender Administration

Das diesjährige Tycho-Album quasi, in nicht-ganz-Balearic-Disco-aber-irgendwie-sonnig-Elektronik gleitet Tender Administration in erster Linie grazil über durchaus substanzielle Beats, mit Streicherbombast, verschrobenen Spoken-Word-Teilen und warm "Aaah"enden bis bunt blubbernden Synth-Harmonien pendelt das Londoner Duo zwischen entspannter Andacht und intensivierter Plinkerpracht.

[Spotify] Free School - Tender Administration

Platz 59
Dope Body - Natural History

Es ist schon ein ungewöhnlicher Stil, den Dope Body auf ihrem zweiten Album fahren - vielleicht hat es deswegen eine Weile gebraucht, bis mich Natural History vollends überzeugt hatte. Wenn ich jetzt was davon sage, wie darauf eine Noiserock-Band Ausflüge in Reggae und Vampire-Weekend-Territorium unternimmt, klingt das ja auch in Gedanken absolut grässlich, doch irgendwie schafft das Quartett aus Baltimore es, die bunten und knurrigen Extrema ihrer Musik stimmig zu animiertem Party-Noiserock zu kombinieren.

[Stream] Dope Body - Natural History

Platz 58
Pageants - Dark Before Blonde Dawn

Pageants mögen in bodenloser Leichtigkeit eine ungewohnt offensiv tropische Band im Kreis des Melbourne-Jangle sein, doch sind ihre Melodien bei allem Pedalhall substanziell ausgeformt, so dass sie selbst dann nicht zu laxem Chillsound verkämen, wenn sie nicht mit deftiger Verzerrung und Moll-Americana-Ausflügen eine gesunde Portion Unwohlsein im Unterbauch trüge. Während das achtminütige Jangle-Epos Footprints In The Sand wundervoll zwischen (für Pageants’ Verhältnisse) Barschem und Sanftleichtem à la Real Estate pendelt, erklingt ein wehmütiges „I wrote a message with a knife in the sand / it washed away with everything that I had“.

[Stream] Pageants - Dark Before Blonde Dawn

Platz 57
Evans The Death - Evans The Death

Sicher, Evans The Death rasen nicht so daueraufgedreht wie letztes Jahr die Slumberland-Nachbarn von Gold-Bears durch ihr Debütalbum. Dafür glänzen sie vor allem durch angepunkt-energetische Songs, die nicht nur wegen ihrer Hooks, sondern auch des Dynamikgespürs und der charismatisch-launischen Vocals ihrer Morrissey-tendenziellen Sängerin deutlich langfristigeren Reiz haben als manch apathisch-dauerverhallter Spectorismus aus Übersee.

[Stream] Evans The Death - Evans The Death

Platz 56
Big Bang - Alive

Alive mag nicht so konsistent sein wie Sweet Rendezvous - was auch immer Song fünf und sieben sind, sie wurden von mir schnell in die Tonne gekickt - doch hat die größten Highlights. Blue und Bad Boy zeigen spätestens in ihren A-Capella-Versionen die Vokalstärke und -Feinheit der Gruppe, während Love Dust und vor allem Fantastic Baby nicht nur dank ungeheuren Charismas das übliche koreanische Boygroup-Dance-Einerlei transzendieren.

[Video] Big Bang - Blue / Bad Boy / Love Dust / Fantastic Baby

Platz 55
DJ Earl - Audio Fixx

Und noch ein Beispiel für die nicht immer vorteilhaft laxe Veröffentlichungsweise vieler Footworker: Earls Album war zunächst so verkorkst - in alphabetischer Reihenfolge der Stücke, mit einem davon defekt und nur in Einzelteilen angeboten -, dass ich mir lieber meine eigene Sequenzierung bastelte, die dann tatsächlich in einem formidablen Footwork-Album resultierte. Mittlerweile hat er nochmal aufgeräumt und damit wohl die alphabetische tatsächlich als die offizielle Reihenfolge etabliert, aber das soll mich jetzt nicht stören.

[Stream] DJ Earl - Audio Fixx

Platz 54
Mungolian Jetset - Mungodelic Schlungs

Denn wenn iPod-Rumfummeln das neue Musikmachen sein soll, dann hab ich dieses Jahr allemal ein riesig tolles Album (und durch 1,2-fache Beschleunigung hiervon eine ordentliche SNSD-Single) fabriziert. Mungolian Jetsets diesjähriges Album krankte wie schon das letztjährige an Einseitigkeit, doch eben einer fast entgegengesetzten: Während die Remix-, Kollaborations- und Nebenprojekt-Kollektion Mungodelics die geschmackvolle Seite der Norweger Disco-Spinner gelegentlich überdehnte, war selbst mir die Cartoonigkeit von Schlungs zu nervig. Die Lösung: Eine Mischung aus beiden, die auch aufgrund thematischer Überschneidungen bestens funktioniert. Voila und wärmstens empfohlen, zum Playlisten und Download-Selektieren, Mungodelic Schlungs.

01. Toccata
02. 2010 - A Space Woodysey
03. Moon Jocks N Prog Rocks
04. Revolving Door
05. Mung's Picazzo
06. People On Strong Stuff
07. Moonstruck
08. We Are The Shining
09. Ghost In The Machine
10. The Dark Incal

Platz 53
The Hundred In The Hands - Red Night

Der gitarrenzentrierte Discopunk New Yorks hallt noch in Come With Me nach, doch auf dem zweiten Album des Duos hallt noch allerhand mehr, eigentlich hallt generell alles. Spätestens im Titelstück sollte deutlich werden, dass Andy Stott ihnen nicht nur als Remixer, sondern auch als musikalischer Fixpunkt diente, nur gehen THITH den für mich interessanteren Weg, sich dem modernen Schemensound düsterer Elektronik aus Pop-Sicht zu nähern (bzw. ihre Popsongs dorthin zu transferieren). So wird Red Night eine Albumreise ins schwarze Großstadtloch voller fragmentierender Emotionen und dunkler Chaosvisionen, bis man aus dessen anderem Ende zum Schluss wieder ins Licht tritt.

[Spotify] The Hundred In The Hands - Red Night

Platz 52
Parquet Courts - Light Up Gold

Irgendwo zwischen Track 12 und 13 findet sich quasi die Essenz dieser Band: Über insgesamt nur 2½ Minuten zeigen Parquet Courts ihre Fähigkeit zum melodischen Mitreißen in aller Knappheit, gleichsam wenn sie in repetitiver Langsamkeit wie wenn sie sich energetisch hochflott bewegen. Denn ihr angepunkter Indierock ist immer rhythmisch tight, hookfixiert und vor allem so stimmlich charismatisch, dass man fast schwören könnte, man hätte es mit einer neuen australischen Band zu tun - so ziemlich das größte Verwechslungskompliment, das man einer US-Gruppe derzeit machen kann.

[Stream] Parquet Courts - Light Up Gold

Platz 51
Wolfgang Voigt - Rückverzauberung 6

Bei keiner Platte ist es mir so häufig passiert wie bei dieser, dass ich ihre erste Seite komplett in falscher 45-Geschwindigkeit abgespielt habe, ohne es zu merken - das kommt wohl davon, wenn man keine Beats hat! Es ist sogar durchaus wahrscheinlich, dass ich sie öfter in falscher als richtiger Geschwindigkeit gehört und deswegen so ein völlig diffuses Zeitbild der beiden Choral-und-Orgelstücke habe, dass sie mir eher wie ein Fundament für das dritte Stück vorkommen, das die komplette zweite Seite einnimmt und sich die vorangegangenen Sounds in seinen Beat einverleibt. Hier aber spätestens, zwischen der Rigidität des Bassimpulses und den nicht dazu synchron verlaufenden Zirkeln der zunehmend konventionelle Klangform zu verlieren scheinenden Stimmen, wird dieser Teil der Rückverzauberungs-Reihe völlig packend.

[Stream] Wolfgang Voigt - Rückverzauberung 6.1

75 aus 2012 (Teil 1)

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Platz 75
LO-FI-FNK - Maxade Mixtape Volume 1

Natürlich finde ich diesen Mix des Schwedenduos nur deswegen toll, weil er mit dem Übergang von Grimes zu Robert Miles genau dieses 90er-Gefühl einfängt, das für mich von viel jetziger Internet-Musik ausgeht. Vielleicht aber auch, weil er generell "den" nichtsingulären Sound dieses Jahres einfängt, zwischen R&B, Cloud-Rap und Schwedenpop diese ungreifbare softere Umreißung von Jetztmusik gegenüber derjenigen aufzeigt, von der sie abstammt.

[Stream/Download] LO-FI-FNK - Maxade Mixtape Volume 1

Platz 74
Los Campesinos! / Matthew Friedberger - Heat Rash / Solos

An dieser Stelle sollte wohl schon klar sein, dass diese Liste 2012 nicht allzu streng kategorisch ausfallen wird. Matthew Friedbergers Solos-Projekt erschien zwar zum großen Teil bereits 2011, doch es in diese Liste zu packen, bevor es abgeschlossen war, schien falsch. Insbesondere, weil es für Abonnenten eben noch zwei Bonuswerke gab: Artemisia ist eine Art klassizistisches Ferraro-Werk, springt stimmlich relativ konsistent zwischen loopigem Solopiano, Barockorchester, Kontrabass und Westernmusik und wäre eine der spinnertesten Angelegenheiten des Jahres, wenn es nicht nur eine Art Vorschau auf den endgültigen Irrsinn seines diesjährigen regulären Albums wäre - und Friedberger nebenher noch The Diabolical Principle rausgehauen hätte, einen Mix aller sechs regulären Solos-Alben. Deren endgültigen Abschluss macht Goodbye Forever nach all dem Rumexperimentieren auf unvertrauten Instrumenten mit Klavierstücken auf der ersten Seite, deren Gegenüber zwar sonisch komplexer klingt, jedoch - den Amateur-Entdeckersinn der Reihe irgendwie zurückführend - zum Nachspielen einlädt: Friedberger schickt die Noten auf Wunsch zu.

Los Campesinos! wollten ihre Singles-Serie eigentlich saisonal aufteilen, doch nicht zuletzt durch ein Album dazwischen brauchte es fast doppelt so lange für Heat Rash. Das erwies sich aber insbesondere für Fans als lohnendes Unterfangen, setzte es doch die typischen Campesinos!-Affinitäten fort: anachronistische Indie-Haptik in Vinyl-Präsentation und einem nicht minder aufwendigen Magazin, das jeweils dem gleichen Thema wie die Singles folgte (Tourleben, die Arbeiten an Hello Sadness, Dialoge/Kollaborationen mit Freunden der Band und Romantisches). Die Songs mögen zwar nicht durchgängig von regulärem Veröffentlichungsniveau gewesen sein, waren es aber zum Teil und gaben vor allem einen Einblick in die Entwicklung der Band, zunächst von Album zu Album, dann den Nachklang davon und allmählich auch Aufbruch zu neuen Ufern. Alles andere folgt dann 2013.

Platz 73
Poolside - Pacific Standard Time

Ein Album, so durchgängig faul loungend, dass man es durchaus von regulärer Disco abgrenzen kann, um niemand auf die Füße zu treten - Poolside sagen Daytime Disco, ich nenne es Yachtcore. Dessen Schwäche ist denn auch leicht gefunden: Die Vocals sind laff, nicht immer passiert etwas so bemerkenswertes wie in den SIngles, und das bei 16 Stücken über eine proppevolle CD. Doch eben dort liegt auch die Qualität der Musik, deswegen funktionierte sie am besten dann, als sie (nicht in Deutschland, wo man bis November warten konnte) erschien, wo man sich in der Sommerhitze gar nicht groß bewegen wollte. Als Bonus begann ich auch durch das Harvest Moon-Cover erstmals zu verstehen, dass mir Neil Young durchaus auf Stimmungs-Ebene gefallen könnte.

[Spotify] Poolside - Pacific Standard Time

Platz 72
Captain Murphy - Duality

Braucht alles nur das passende Transportmedium im richtigen Moment? Bei Captain Murphys Mixtape Duality jedenfalls hab ich das Anhören lange hinausgeschoben, kam es doch anfangs nur im Videoformat, das lediglich anzuhören irgendwie unangemessen schien. Doch am Wochenende, im ersten Flachliege-Fresskoma der Vorweihnachtszeit, wirkte wenig passender als das Einwirken der 35-minütigen Videocollage, die nicht nur den psych-soften Sound der Musik und die expliziten Vocals (daher: entschieden ab 18) des schmierigen Kultführers widerspiegelt, sondern auch Text- und Sample-Referenzen visuell einbindet und so dem Format eine nette Extradimension verleiht.

[Video/Download] Captain Murphy - Duality

Platz 71
The Stevens - EP

Melbourne, Melbourne, immer wieder gab es dieses Jahr tolles Gitarrenbeschlenker von dort. Noch nicht ganz typisch dafür war die Debüt-EP von The Stevens, die nicht nur im Namen eher an Christchurch erinnern: Indie-Pop mit Kiwi-Charme und exzellentem Hookgespür über sechs Stücke, wie ich sie seit dem ähnlich starken Debüt von Surf CIty nicht erlebt habe. Das macht nicht zuletzt Hoffnung aufs bereits komplettierte Album mit Melbourne-Albini Mikey Young, doch für's Erste vor allem gehörig Laune.

[Albumstream] The Stevens - EP
[Download] The Stevens - EP

Platz 70
The Men - Open Your Heart

Es hätte ein ganz großes Album sein können, doch wirkte Open Your Heart eher wie ein Zwischenschritt vom Noiserock Leave Home zu Populistischerem. Dessen Geist durchweht Open Your Heart gewiss, in großen, weltumarmenden Riffs, Pop-Punk mit vielleicht etwas zu offensichtlichem Buzzcocks-Melodieabpausen und unverstärkter Akustik, doch produktionsmäßig waren The Men einfach noch nicht ganz mitgezogen, mit zu tief abgemischten Vocals und Unklarheiten, wo scharfe Konturen überzeugender gewesen wären. So eben "nur": ein recht großes Album.

[Albumstream] The Men - Open Your Heart

Platz 69
Chromatics - Kill For Love / Running From The Sun

Wer bis zu diesem jahr an Entzug litt, bekam 2012 Johnny Jewel satt: Über fünf Stunden Musik haute er mit diesen beiden Alben, der beatlosen Version von Kill For Love und dem Mammut Symmetry heraus. Dabei war nicht einmal so sehr die schiere Menge an Material, sondern dessen Arrangement ein leichtes Problem: Immer wieder verlor ich die Lust an Kill For Loves zweiter Hälfte, die der Hit-Parade der ersten nahezu ausschließlich Stimmungs-Stücke folgen lässt. Schon enorm effektiv erwies es sich, die Monotonie ganz simpel dadurch zu brechen, die Trackliste nach dem Schema 1->9->2->11->3 usw. zu permutieren - bester Beweis dafür war das Bonus-Album Running From The Sun, das mit wechselfreudigerer Dynamik ganz formidabel wirkte.

[Albumstream] Chromatics - Kill For Love / Running From The Sun

Platz 68
Traxman / Lil Jabba - Heat / Free Life

Wer auf Footwork steht, kann sich über veröffentlichungsfaule Produzenten nicht beklagen. Allein aus der Chicagoer Teklife-Ecke und DJ Spinns Flight-Music-Leuten gibt es Dutzende Soundcloud-Accounts, auf denen täglich neue Stücke, Mixe und EPs hochgeladen werden. Umgekehrt ist es dabei aber auch umso seltener, dass bei laxer Qualitätskontrolle einmal eine größere Sammlung duchgängig großartiger Tracks herauskommt - umso erfreulicher, dass eine davon aus den Händen Traxmans stammt, mit dem ich so als einzigem der "großen Namen" normalerweise nicht ganz klar komme weil seine Kompositionen zu deutlich konstruiert wirken, ihre Gerüste und Nähte durchklingen. Nicht nur ist das Sample des Eröffnungsstücks wundervoll inszeniert, tollkühn zeigt Traxman im Folgenden die Universalität von Footwork, in das sich auch ein Black-Sabbath-Klassiker einrocken lässt. Lil Jabbas Gratis-EP zeigt dafür sehr gut, warum er für mich der wohl interessanteste Nachwuchsler ist, mit abenteuerlich synkopierten Beat-Melodie-Dynamiken wirken Beinverknoter wie STepS.(i GLiDE) auch ohne Vocal-Sample geradezu alienhaft futuristisch.

[Stream/Download] Traxman - Heat
[Stream/Download] Lil Jabba - Free Life

Platz 67
The KDMS - Kinky Dramas & Magic Stories

Man will ja bei der genderstereotypen Disco-Konstellation aus Produzent und Sängerin nicht sexistisch den ganzen Genius immer nur bei der einen Hälfte des Duos suchen, aber bei allem Respekt für Max Skibas klangliche Ausformulierung, ohne Katy Diamond wäre dieses Album kaum herausragend. Ihre Texte und Vocals geben den Songs eine emotionale Tiefe, die es bei einem ums andere Hören reichhaltiger machten als es der erste Anschein verhieß - nichtsdestotrotz ist deren Groove auch nicht ohne.

[Spotify] The KDMS - Kinky Dramas & Magic Stories

Platz 66
Titus Andronicus - Local Business

Klar, The Monitor konnte man nicht übertrumpfen, zumindest nicht mit einer vergleichbaren Platte. Vielleicht hab ich derartiges mittlerweile auch genug oft erlebt, dass ich von einer Band nicht enttäuscht bin, wenn sie daraufhin mal runterschraubt: Auf weniger sonische Gewichtigkeit, zu mehr Ausdifferenziertheit in der Owen Palletts Streicherbeitrag Eigenbewegung möglich ist, auf eine zu mehr Lockerheit willige, eklektische Platte, an der man beim Hören wahrscheinlich nicht ganz so viel Spaß hat wie die Band ihn beim Machen hatte, die aber von dem typischen Grad an Ernsthaftigkeit gezeichnet ist und ein Song wie My Eating Disorder diesen unnachahmlichen Widerstandsgeist trägt.

[Albumstream] Titus Andronicus - Local Business

Platz 65
Lee Ranaldo - Between The Times And The Tides

Ein Blick auf den Kritikerspiegel macht schnell klar: Wer dieses Album mag, ist ein alter weißer Mann. Auch wenn ich mich dieser Gruppe allmählich in jeder Hinsicht annähere, war mir schon eine Weile unklar, warum mir diese ereignisarme, textlich mitunter arg banale Songsammlung so zusagte. Die Antwort liegt wohl darin, welches Fachmagazin dieses zu seinem Album des Jahres gekürt hat: Guitar World. Ranaldo mag die zentrale Figur sein, doch das anhaltend Reizvolle an diesen eingängigen Songs ist das Gespiel seiner Mitwirkenden im Hintergrund, auf den Flanken, die im Miteinander vor allem an ihren Saiteninstrumenten ein subtiles Feingewebe erflechten.

[Albumstream] Lee Ranaldo - Between The Times And The Tides

Platz 64
Nine Muses - Sweet Rendezvous

Es mag ein popularitätsstarkes Jahr sondergleichen für K-Pop gewesen sein, insgesamt aber kam es musikalisch nicht ganz an die letzten paar heran. Zu viele Enttäuschungen, zu wenige Überraschungen von oben und unten, zu viele Inkonsistenzen vor allem, die eine geschlossen starke Vision über mehr als zwei sequentielle Songs verhinderten. Vielleicht hatten (die zwischen sieben und acht Mitgliedern schwankenden, arf) Nine Muses deswegen so ein starkes Mini-Album, weil sie sich auf vier Songs von Single-Kaliber beschränkten, vor allem aber auch auf das Produzententeam Sweetune. Das liefert nunmal eine maximalistische Aneinanderreibung sägezahnrauer und neonglatter Sounds zu dynamikreichen Perkussionen, deren Details sich oft erst in den Instrumentalversionen ihrer irre dichten Songs komplett ausmachen lassen. Dass davon zwei mit auf der EP enthalten sind, lässt sie mal ausnahmsweise zu mehr als netten Karaoke-Beiwerk werden.

[Video] Nine Muses - Who R U / Ticket / News / Figaro

Platz 63
Title Fight - Floral Green

Wenig ließ mich dieses Jahr weniger an Retromania glauben als das Beobachten des Punk-Hardcore-Nachwuchses. Bands wie Touché Amoré, Code Orange Kids und Title Fight scheinen bestens über die Vergangenheit ihrer bevorzugten Genres zu wissen, so gut, dass
ihnen Breaks, Riffs und Sounds nicht als zwingende Codes, sondern als neu rekombinierbares Vokabular erscheinen, in dessen vertraute Grammatik sich mit einer kleinen Modifikation etwas Vertrautes irgendwie doch in neuem Licht sehen lässt. Das zeigte sich auf Title Fights Album nicht so wirksam wie live, wo Skatepunkiges Seite an Seite mit den Emofarben Floral Greens stand, dafür zeichnete es sich eben durch Songwriting-Qualitäten aus, die fast alle Vergangenheitsechos übertönten.

[Albumstream] Title Fight - Floral Green

Platz 62
Massacooramaan - Fade To Mind Mix

Ich liebe Mixe, die mehr wie eine singuläre Komposition wirken, in der die einzelnen Tracks sich einem größeren Gefüge unterordnen anstatt einem immer wieder bewusst zu machen, dass man jetzt Dieses hört und dann Jenes kommt, bis irgendwas Das noch folgt. Ähnlich wie seine LabelkollegInnen Nguzunguzu mit ihrem letztjährigen The Perfect Lullaby durchzieht und variiert Dave Quam alias Massacooramaan hier 45 Minuten moderner Basskollisionen mit einem wiederkehrenden Motiv, aber auch Perkussions-Konstellationen, die immer wieder neuen Umgebungen ausgesetzt werden, Dynamiken innerhalb von größeren Dynamiken kreieren.

[Stream/Download] Massacooramaan - Fade To Mind Mix

JoJo - Agápē

In der Monatsleiste fast gegenüberliegend von Art Dealer Chic zu Beginn gibt es am Ende des Jahres erneut ein herausragendes Mixtape aus Major-R&B-Zirkeln, jedoch mit weniger konkreter Verheißung eines Albumnachfolgers. Über ein halbes Jahrzehnt schon hängt JoJo in einem Labelzirkus fest, über den ihr drittes Album immer noch (oder auch erneut) nicht in Sicht ist. So gibt's nun erstmal Agápē - ohne Demonstrate, das wohl eher als Albumkandidat aufgewahrt wird, doch mit Andre und We Get By, die darauf besser klingen als ich sie in Erinnerung hatte.

[Stream/Download] JoJo - Agápē

My Chemical Romance - Conventional Weapons

Zum jetzigen Zeitpunkt mögen Aufmachung und Titel von My Chemical Romances monatlich erscheinender Single-Serie nicht ganz glücklich gewählt scheinen, aber das kann man ja nicht im Voraus wissen. Als eine bessere Entscheidung erscheint es rückblickend, die Songs der Conventional Weapons-Sessions 2009 nicht zum The Black Parade-Albumnachfolger zu machen, neu anzufangen und dabei das immer noch exzellente Danger Days: The True Lives Of The Fabulous Killjoys auf die Beine zu stellen. Doch hörenswert sind die Songs, mit Doppelpack Nummer drei nun zur Hälfte ans Licht gekommen, allemal, insbesondere die A-Seiten.

[Spotify] My Chemical Romance - Number One
[Spotify] My Chemical Romance - Number Two
[Spotify] My Chemical Romance - Number Three