Lucky Soul - The Great Unwanted



Ali Howard, die Sängerin von Lucky Soul, ist nicht besonders groß gebaut. Regelrecht petite erscheint sie, und entsprechend unscheinbar ist auch zuerst ihre Stimme. Aber wenn sie ein Mikrofon vor und ihre 5 Mitmusiker hinter sich hat singt sie mit aller Kraft die sie aufbringen kann der Welt ihre Emotionen entgegen: "I miss you so much that it huuuuuurts," und die Welt leidet mit. Im Hintergrund heult ein Chor, und die Instrumente fallen die Tonskala herunter, um auf einem leisen, eleganten Melodiechen für den halb gehauchten Refrain von Struck Dumb zu landen.

Round here the only thing that ain't blue is the sky / round here are places where sunlight never shines / and I'm tired of keeping composure 'cause I'm not supposed to feel sad
singt Howard beim Höhepunkt von One Kiss Don't Make A Summer, ein Blick in die Verwirrung die Gefühle mit sich bringen können. The Great Unwanted, Lucky Souls Debütalbum, ist eine Landschaft voller Schmerzherz, jedenfalls was die Texte angeht. Die Musik dagegen ist nicht nur mit denkwürdig schönen Melodien gefüllt, auch hat Komponist Andrew Laidlaw bei den Arrangements in die Vollen gelangt: Herrliche Streicher und Bläser (besonders schön bei der Eröffnungsnummer Add Your Light To Mine) werden eingesetzt um die Songs zu veredeln, aber mit Maß und genau an den richtigen Stellen. Als müsste nicht hier eh schon Mr. Spector erwähnt werden hat die Musik von Lucky Soul auch einen starken Touch von Girl Groups und anderen Popsounds der 60er, wie aber schon bei den (abgesehen davon kaum hiermit vergleichbaren) Pipettes wird hier nicht bloß zitiert sondern modernisiert, wohlwissend was in den Jahren seitdem in der Musik passiert ist.

In der britischen Popmusik sind Alltagsbetrachtungen wieder in, aber wie Howard im Namen der ganzen Band singt, "I Ain't Never Been Cool". Lucky Soul praktizieren Popmusik als Eskapismus aus den Towering Infernos zu denen sie Gefühle aufbauen, Flucht vor Schmerz und Enttäuschung, vor Zurückweisung und Einsamkeit, ein Fluchtdrang der sich wortwörtlich im Songtitel Get Outta Town äußert. Fortrennen ist nicht die einzige Fluchtmöglichkeit, in My Lips Are Unhappy wird die Einsamkeit einfach mit kräftigem Hüftschwung wegzutanzen versucht. "Shake shake shimmy shimmy", das sollte doch eigentlich ablenken. Tut es aber nicht. Wilder und wilder wird versucht sich im Tanz zu verlieren, doch der Gedanke geht nicht weg, "Shake shake shimmy shimmy shake shake shimmy without yooouuuuuuuu..."

Große Emotionen, große Popsongs, großes Album. Und doch nicht aufdringlich, mehr so ein Album das man gern so lang die Sonne scheint umarmen würde. "One kiss don't make a summer" - dieses Album schon.

[Stream] Lucky Soul - The Great Unwanted

Neuer Song von The Go! Team



Bis zum 7. September ist es noch eine ganz gehörige Weile, ob man sich die Wartezeit bis zum zweiten Thunder Lightning Strike mit nur einem neuen Song vertreiben können wird? Eigentlich schade dass The Go! Team auch mit dieser Platte den Sommer wahrscheinlich verpassen werden, außer die globale Erwärmung hilft da ein bisschen aus. Grip Like A Vice, die Single die Anfang Juli erscheint, kann man jedenfalls schon mal auf der Myspaceseite des Teams anhören und von sonnigem Herbst träumen. An die etwas hakigen Vocals musste ich mich kurz gewöhnen, aber der Rest des Teams bratzt wie eh und je. Go!

The Go! Team Myspace

Konzert: Battles



Sie kamen, sie sahen, sie siegten. Wer ein extrem gutes Vorstellungsvermögen hat braucht sich Battles nicht live anzusehen, denn sie sind genau so wie man es sich erhofft: Wie eine wohlgeölte Maschine, ein Zahnräderwerk, ein Roboterquartett oder was immer man sich für Metaphern in der Richtung noch ausdenken mag spielen sie so tight zusammen dass man kaum noch von ihnen als "Band" sprechen mag, "Einheit" trifft es besser.
Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht (theoretisch, aber dazu später) dabei Drummer John Stanier, der schon bei Helmet verschrobene Rhythmen mit lakonischer Präzision zum Leben zu erwecken wusste. Oft startet er mit einem gewohnten Format, vielleicht einem 3/4-Takt, das aber an irgend einem Punkt umkippt und man plötzlich vor einem seltsamen Konstrukt steht das vielleicht ein 13/16-oder-was-weiß-ich-für-ein-Takt sein könnte. Darüber wird vielschichtig und metikulös arrangiert, selten so straight wie in Atlas das im Vergleich zu sich stetig verändernden Nummern wie Ddiamondd oder Tonto schon fast traditionellen Strukturen unterworfen ist.

Mit Aussagen wie "Battles kreieren einen modernen, einzigartigen Sound" muss man immer vorsichtig sein, möglicherweise gibt es ja in einer südwalisischen Ortschaft namens Neu-Buxtehude-Süd eine Gruppe von emigrierten Eskimos die an etwas ähnlichem arbeiten, aber in dem was sie machen, was immer es auch sein mag, sind Battles weltweit garantiert die besten. Der Meinung waren auch viele der Besucher die sich am Samstagabend im Studio 672 eingefunden hatten, Atlas, die einzige Nummer vom ersten Album Mirrored die den meisten dort bekannt gewesen sein dürfte, wurde euphorisch begrüßt wie Manna vom Himmel. Und das will was heißen, denn auch wenn das Studio einen ziemlich guten Jazzkeller abgeben mag möchte ich mal gerne wissen ob jemand ernsthaft dachte es sei eine gute Idee eine Band, deren größte visuelle Attraktion ihr Drummer ist, auf einer 10 cm hohen Bühne auftreten zu lassen so dass von ihnen jenseits der vierten Reihe außer ein paar Menschen- und Gitarrenköpfen kaum etwas zu sehen war. Ja, es war pickepackevoll in dem kleinen Keller, nach den Decemberists und !!! schon das dritte potentielle Konzert des Jahres das sein Potential wegen extremer Enge nicht richtig erfüllen konnte.

Großartig war's trotzdem, die vier auf der Bühne schienen von der Hitze bis auf einen ordentlichen perspirationsbedingten Flüssigkeitsverlust unbeeinträchtigt und ackerten sich ohne ein Wort zu verlieren durch ein imposantes Set. Köln scheint es ihnen auch angetan zu haben, nicht nur ist Leyendecker eben nach der Bushaltestelle an der Straße benannt in der Staniers Freundin wohnte, zudem war noch Tyondai Braxton (dessen verzerrter Gesang live weniger befremdlich wirkte als gedacht und der ebenso wie Ian Williams oft gleichzeitig Gitarre und Keyboard bediente) in ein FC-Trikot gekleidet und auch ein Banner des erfolgreichsten Kölner Fußballvereins zierte die Bühne. Was wohl das stärkste Indiz dafür war dass man es doch nicht mit Robotern zu tun hatte. Und einmal waren Battles an diesem Abend auch gar nicht pünktlich, Mirrored gab es nämlich schon eine Woche vor dessen offizieller Veröffentlichung zu kaufen.

[Video] Battles - Atlas (Imeem)

Battles Myspace

Update: Und so sieht die Menschmaschine in Aktion aus.

Konzert: Grizzly Bear

Grizzly Bear sind wohl wirklich vom Pech verfolgt. Hatten sie es dieses Mal doch endlich auf eine Kölner Bühne geschafft so war der Saal vielleicht mal halb gefüllt, denn mit Interpol, 31 Knots, den Pet Shop Boys und Burning Star Core gab es reichlich Musikprogramm in der Domstadt am gestrigen Freitagabend. Das war aber nicht das Problem, vielmehr waren ihnen beim Flug nicht nur eine Gitarre und ein Verstärker kaputtgegangen sondern auch ihr Soundmensch abhanden gekommen. Was sie jedoch alles nicht daran hinderte einen herrlichen Abend zu gestalten.



Zuvor aber durchhauchte Danielle Stech-Homsy alias Rio En Medio den Saal, größtenteils stand sie dabei hinter einem mit Lichterkette behangenen Tisch voller verkabelter Gerätschaften, eine davon sah aus wie von Fisher-Price gemacht. Besonders weil ihre kratzige, moderne Folkmusik mich am ehesten an die Mitglieder des Fonal-Labels wie Arvo Part, Islaja oder Paavoharju erinnerte dachte ich sie käme aus Finnland, tatsächlich aber wohnt sie in Brooklyn. Dort hat sie vermutlich auch die Jungs von Grizzly Bear kennengelernt, die sie bei einem Stück mit Handklatschern und Ed Droste an den Elektronikgadgets unterstützten während sie auf einer Minigitarre/Riesenukulele klampfte. Erfreulicherweise wird sie im Juni noch für ein paar Konzerte mehr nach Deutschland kommen wenn sie Cocorosie auf deren Tour begleitet, denn live gefielen mir ihre Sachen noch um einiges besser als die Aufnahmen die ich im Netz finden konnte.

[MP3] Rio En Medio - Girls On The Run

Danielle Stech-Homsy Myspace



Die warme Atmosphäre die Yellow House so einzigartig machte, die sanft aufeinandergelegten strukturen wurden auch live rekreiert, Grizzly Bear gehen aber als Liveband noch über ihre Aufnahmen hinaus. Besonders dank des passend benannten Drummers Christopher Bear, der aus den im Verlauf des Konzertes immer häufiger auftretenden Stücken mit Rockelementen wie Little Brother stellenweise so intensive Rocknummern machte dass man an Dan Boeckners Wolf Parade-Songs erinnert war. Noch so eine Band mit mindestens zwei Frontmännern.
Ein bisschen wie Deerhoofs Greg Saunier schien Bear oft nicht stillhalten zu können, trommelte ständig auf ein Element seines Drumkits, das allerdings oft ganz sanft mit bloßen Händen. Auf der linken Seite hechtete der beeindruckend hochstimmige Christopher Taylor hin und her zwischen Bass, Klarinette, Querflöte und anderen Blasinstrumenten und hantierte in unbequem aussehenden Hochpositionen mit einem knappen Dutzend Pedalen und anderen kleinen Kisten die in einen gewaltigen Kabelsalat mündeten, viele der akustischen Feinheiten gingen auf seine Kappe.

Dazwischen standen die beiden Songwriter und Sänger der Band, Dan Rossen und Ed Droste. Wobei solch Rollenverteilung bei Grizzly Bear nicht mal auf zwei Leute festgelegt werden kann, Sänger sind sie alle und beeindruckten mit herrlichen Gesangsharmonien (die sie im Verlauf des Abends in so ziemlich jeder möglichen Dreierkombination anstimmten). Dabei gab es natürlich vor allem Material von Yellow House zu hören, aber auch ältere und neuere Favoriten wie das Crystals-Cover He Hit Me (It Felt like A Kiss) wussten die Hörer hinzureißen. So sehr dass trotz aller Versuche das Konzert pünktlich für den anschließenden Tanzabend zu beenden die vier nochmal vom Applaus auf die Bühne forciert wurden und als Zugabe ein weiteres Cover gaben, Deep Blue Sea, mit dem im Kopf die anschließende Bahnfahrt über die Deutzer Brücke und der Blick auf den bläulich erleuchteten Rhein denkwürdig wurde. Oh, und ihren Soundmenschen haben Grizzly Bear auch noch wiedergefunden, er tauchte in der Mitte des Konzertes auf einmal auf. Hoffentlich hat die Pechsträhne damit ein Ende.

[MP3] Grizzly Bear - On A Neck, On A Spit
[MP3[ Grizzly Bear - Daytrotter Session (u.a. mit He Hit Me)

Grizzly Bear Myspace

Jesu - Conqueror



Wie kann das sein? Es sollte einem langweilig vorkommen, keine großen Melodien die einem sofort in Kopf, Herz oder Blut übergehen, schwergängiger Gang, mäßig guter Gesang... aber diese Gitarren, dieser saftige Sound...
Ich glaube fast ob man Conqueror gut findet hängt vor allem davon ab ob man den Klang einer Gitarre mag. Nicht irgendeiner Gitarre, sondern der von Justin Broadrick alias Jesu. Lang angehaltene Töne, wenige Anschläge, und ein Hall der über jeden Baggersee reichen könnte. In Jesus herrlich dicht texturierten und detaillierten Arrangements werden die Höhen, mit Broadricks Gesang und ambienten Elektroklängen, wie die Tiefen und was darüber liegt, mit wuchtigem Bass-Gitarre-Doppelklang, bedient. Das ergibt einen Effekt wie man ihm vom Shoegaze kennt, dass man beim Höern immer wieder dazu neigt in die Ferne zu starren (oder natürlich klischeemäßig auf die eigenen Schuhe), aber verdammt, diese Platte rockt auch einfach ganz mächtig so dass man mit jedem Anschlag den Arm schwingen und den Nacken wippen lassen will.

Die Musik scheint, am meisten kommt es mir bei Weightless Horizontal so vor, dem Gesang etwas hinterherzuhängen. Die Anschläge kommen pünktlich aber der zugehörige Klang erscheint erst ein bisschen später, als müsste sich das dicke Signal erst durch das enge Kabel zum Verstärker quetschen und der Ton derartig in die Länge gestreckt worden. Dazu setzt Broadricks Stimme immer wieder Millisekunden zu früh an, dem Song wird dadurch etwas Getragenenes, nahezu Sakrales verliehen. Aber was Conqueror vor allem prägt sind die melodischen Sensibilitäten des Gründungsmitglieds von Napalm Death, und damit jeder diese Aussage erst mal verdauen kann füge ich hier einen Absatz ein.

Eine funkelnd klingende Folge von Synthiesternchen hellt Weightless Horizontal auf, ein schwellender, immens weiter Gitarrenklang führt daraus in Broadricks Gesang über: "I'm way past trying / I'm way past caring / I'm way past hoping". Das wäre furchtbar depressiv, wäre dem nicht ein "Try not to lose yourself" vorangestellt. Zu metallisch mutierten Popklängen mischen Jesu zerfließende Gefühle mit fokussierten, Trauer mit Hoffnung, Angst mit Hinterfragen, und als würde sich das noch nicht schon groß genug anfühlen kommt beim finalen und prächtigsten Stück von allen, Stanlow, auch noch ein Chor ins Spiel. Zum Träumen schön wenn man zu den Menschen gehört die im Schlaf schon mal mit den Armen schwingen.

[Stream] Jesu - Conqueror