Katy B - Little Red (Continuous Mix)



Katy B - Little Red (Continuous Mix)
 

Katy Bs Songwriting und Stimmcharisma mögen auch ihr zweites Album mehr als alles andere prägen, doch nachdem On A Mission noch fraglos ein höchst zeitgemäßes Dancepop-Album war, ist Little Red eher Dance/Pop - je nachdem, welche Version man hört, ergibt die Trackreihenfolge bemerkenswerterweise einen völlig anderen Albumcharakter. Anhand der Standardversion verläuft die wenig überraschende Geschichte von Katy Bs Popstar-Werdung inklusive Frühstücks- und Primetime-TV-Auftritten über die Powerballaden-Singles Crying For No Reason und Still, die das Album ankern und vor allem den Ton der gemächlicheren zweiten Hälfte setzen, welche nach der Belebtheit der Anfangsstücke wie eine sich nur langsam erschließende Bremse wirkt. Außen vor bleibt dabei ein halbes Dutzend großartige Bonustracks wie Blue Eyes und Hot Like Fire, die als Teil des Albums mehr Garage und Breakbeat reingebracht und einige andere Songs qualitativ überschattet hätten.

Doch eine Fantasie muss das nicht bleiben, denn zumindest auf der Doppel-CD existiert Little Red noch in einer alternativen vollwertigen Albumform, die schnurstracks in die Clubs zurücksteuert. Hier sind sämtliche Songs in einem einzigen langen Mix ohne Unterbrechung und in völlig anderer Reihenfolge arrangiert und werden plötzlich zu einer größeren Tanzparty als das letztjährige Disclosure-Album. Nicht nur werden die Stücke weniger schwerfällig, wenn sie um ihre In- und Outros beschnitten ungehobelt ineinanderfaden, auch werden in kontrastreicheren Übergängen zuvor etwas überflüssig wirkende Stücke plötzlich höchst vital - Disappears, wenn es ins Knarzquaken von I Like You übergeht und das Sampha-gesangsdurchtriefte Play, das ich hier geradezu ersehne, weil es Aaliyah umso majestätischer auftreten lässt, das im Standard-Tracklisting auch als Anschluss an das sehr ähnliche 5 AM leidet.

Während jene Version die Hülle nicht ein Mal verlassen hat, will es der Continuous Mix seitdem immer noch nicht nach weiter unten in den CD-Stapel schaffen und dürfte mein liebstes Sommeralbum werden. Dabei sind die Songs selbst nahezu identisch, trotzdem kommt es mir vor, als würde ich sie erst in dieser Anordnung genau hören, klein-feine Details wie wenn Stimme und Saxophonmelodie glückselig tänzelnd am Ende von Blue Eyes in Einzeltöne zerfallen. Wie auch auf I Like You (“The way you move just fills me with desire ”) fasst Katy B hier Verlangen in Worte und Stimme auf eine Weise, die nachvollziehbar ist, und doch nicht trocken – dazu spielt sie nur allzu schelmisch mit dem Reimschema, indem sie vor der erwarteten letzten Silbe erst pausiert und sie dann komplett auslässt und in den Refrain übergeht:

Somehow it just works
Somehow we just click
You know you have my heart
When I see your …

Blue eyes

Xiu Xiu - Angel Guts: Red Classroom



Xiu Xiu - Angel Guts: Red Classroom
 

Kaum ein Entstehungsprozess ist zugleich so interessant und unterbeachtet wie der von Xiu Xius letzten Hauptwerken. Da war die kunterbunte (und auch letztendlich zu konfliktreiche) Projektverschmelzung mit Parenthetical Girls auf Always , das von John Congleton abgemischt nicht mehr so merkwürdig leblos wirkte wie der Vorgänger, und nun wurde eben Congleton auch noch stärker für das perkussionsfokussierte Angel Guts: Red Classroom involviert. Das geht über das von ihm aufgenommene Schlagzeug des Swans-Drummers Thor Harris hinaus bis in die Texte, die wahrscheinlich erstmals als von ihm und der mittlerweile bald schon dienstältesten Co-Xiu-erin Angela Seo "edited by" ausgezeichnet sind. Großartig "neue Facetten" oder so werden dabei freilich nicht rausgekitzelt, doch mich reißt dieses Xiu-Xiu-Album so rum wie schon seit nem guten Jahrzehnt keines mehr, weil Stewart in der Albummitte einmal so richtig auf die Kacke haut. Bis dahin wurde der Leerraum über dem von robotisch programmierter Steife bis ins angejazzt gehende Drummen gelegentlich mit langen Strichen aus fiepsig bis knarzig oszillierenden Analog-Synths gefüllt, aber derart, dass es mit der Zeit schon leicht einlullte. Doch gerade dann, wenn man schon glaubt, das Wesen dieser Platte als lediglich brodelnd und schwelend erfasst zu haben, taumeln El naco und Adult Friends einen Abgrund aus fieser Industrial-Dissonanz und gellendem Schweinequieken hinunter, dass ich beim ersten Mal glatt hochgeschreckt bin. Unversehens tappt man auf einmal nur noch auf Zehenspitzen umher, in Erwartung des nächsten Monsters, das um die Ecke aufs Hervorschnellen lauert.

La Secte Du Futur - Greetings From Youth



La Secte Du Futur - Greetings From Youth
 

Ich sehe schon, mit den monatlichen Sammelbeiträgen wird es so oder so nix. Weder fällt mir sofort zu allen bereits erworbenen Sachen aus einem etwas Monat ein, noch hab ich die immer zeitnah genug vorliegen, um über alles Gehörte zu schreiben.

La Secte Du Futur also, die erste Entdeckung des Jahres. Mit denen versuchte ich es nur deswegen, weil ihr zweites Album auf dem gleichen Label erschien, das bereits Royal Headache und TV Colours nach Europa gebracht hatte. Diese Band ist aber gebürtig so französisch wie ihr Name, wobei das auf musikalischer Seite ebensowenig von Belang ist wie wenn ich jetzt sage, dass sie Psych- oder Bluesrock machen würden, denn Derartiges reißt mich selbst in der Regel wenig mit, am ehesten kommt hier noch die sensationelle Debüt-EP von Crystal Antlers dran. Greetings From Youth setzt sich jedenfalls hinweg über die Behaglichkeit, die mit beflissentlichem Genrepraktizieren einhergehen kann. Hier wird Hall nicht zur behaglichen Abfederung, sondern zum Multiplikator jedes explosiven Ausbruchs, den die Band von Schlagzeug über Gitarren bis hin zu den in eine unsichtbare Wand keilenden Vocals praktiziert. Willkürlich aggressiv in ihrer Intention wirken La Secte Du Futur nicht, mehr wie bloße Marionetten der Urkräfte, die sie immer wieder in famosen Melodien kanalisieren und mit Cowboy-Amerikanismen wie Mundharmonika und Marschryhthmus zu herrlich ziellosen Hymnen pervertieren.

Januar 2014: Against Me!, Big Ups, Blank Realm, Sevendeaths



Against Me! - Transgender Dysphoria Blues
 
Es ist in der Regel ein gutes Zeichen, wenn ich mir bei einem Album mehr als alles andere wünsche, dass es besser produziert wäre. Auch wenn es hier stellenweise frustrierendes Ausmaß annimmt, wie unregelmäßig die Abmischung von Stück zu Stück und auch innerhalb einzelner davon ist, reicht das doch nicht, die Ausdruckskraft dieser fantastischen Songs zu untergraben. Da braucht man gar nicht erst so zu tun, als würde hier eine universale Erfahrung porträtiert, die jedermann nachvollziehen kann - nur wenige können verstehen, wie es ist, wenn etwas derart Umfassendes wie die eigene Identität in einer Schwarzweißwelt nicht nur angefeindet, sondern schlicht nicht anerkannt wird. Laura Jane Grace singt in denkwürdigen Textzeilen aus der Perspektive einer Unterdrückten, einer Ausgegrenzten, das aber in kraftvollen Songs, die keine Kapitulation zulassen und nicht ignoriert werden wollen.
 


Big Ups - Eighteen Hours Of Static
 
Klarer Fall von Küstenverwirrung: Mit ihrem spröden Posthardcore könnten Big Ups sich fast dem Dischord-Roster anschließen, wäre da nicht die unbeherrschte Punk-Energie, die immer wieder aus den New Yorkern rausbricht. Das ist alles ein wenig zu verschwitzt und versoffen für Washington, geht fast immer in unter drei Minuten über die Bühne, fiept und faucht und ätzt und gniedelt, ist aber auch immer ein wenig zu melodiesicher und von technisch präzisen Repetitionsschüben angetrieben, um abzustoßen. Eighteen Hours Of Static ist eine Einladung in den letzten verrauchten Kellerclub New Yorks, der noch nicht der Betriebsoptimierung des Geschäftsviertels anheim gefallen ist.
 


Blank Realm - Grassed Inn
 
Aussie Aussie Aussie, Jangle Jangle Jangle! Wobei diese Melbourner Band eher aus dem Gemütlichkeitsrahmen fällt, waren Blank Realm doch schon über Jahre vor allem in psychedelisch unscharfen Tiefen unterwegs und in den USA vor allem über Kassetten auf Not Not Fun präsent. Wo sich aber gerade über die Partnerschaft ihres Heimatlabels Bedroom Suck und dem britischen Fire Records ein gutes Stück mehr Melbourner Musik in die weitere Welt verbreitet, haben Blank Realm genau den richtigen Zeitpunkt erwischt, um sich mal ein wenig rauszuputzen. Wie etwas weniger weirde Ooga Boogas lassen sie veritable Schrammel-Hits vom Stapel, Jammen mit bestimmter Ausgedehntheit oder plastikorgeln auch mal mit The Clean um die Wette, dass das Treiben nie zu bunt oder zu benebelt wird.
 


Sevendeaths - Concreté Misery
 
Nieder mit analoger Haptik! Dieses Album gibt es nicht auf Vinyl, nicht einmal auf CD, was wenigstens noch in den Rahmen seiner Konzeption gefallen wäre. Allein aus digitalen Klangquellen und über Softwaremittel wie eine MIDI-Gitarre kreiert der Schotte Steven Shade seine Instrumentalmusik, deren beatlose Droneflächen mit schimmernder Klangfarbe eine eigentümliche Wirkung erhalten. Concreté Misery bildet nicht unbedingt völlig andere Grauzonen als die Klaustrophobien von Godspeed You! Black Emperor und Tim Hecker oder das kosmische Freiheitsgniedeln von Emeralds und Hillage ab, aber beide Tendenzen werden miteinander verwoben im Zaun gehalten, dass die Musik völligem rationalem oder emotionalem Verständnis ein Stück außer Greifreichweite hängt und irgendwo auch einfach in ihrer enigmatischen Imposanz beeindruckt. Sie bringt mich zumindest auf angenehme Weise dazu, frustriert um Worte und Ausdruck für sie zu ringen.