August 2014: A Sunny Day In Glasgow, Cymbals Eat Guitars, FKA twigs, Gorgon City, Jenny Hval & Susanna, Kimbra, Literature, Mick Jenkins, Naomi Punk, The New Pornographers



A Sunny Day In Glasgow - Sea When Absent
 

Zu oft wird unter dem Mantel von Dreampop und Shoegaze das Ungreifbare in greifbare Songs gepackt, doch A Sunny Day In Glasgows Musik bleibt unfassbar. Als würde sie sich einer messbaren Realität verweigern, verschwimmen ihre Konturen, überlappen einzelne Segmente und driften andere derart auseinander, dass es an randomisierter Chaotik grenzt. Das große Wunder ist dabei immer wieder, wie diese ungewöhnlichen Kompositionen sich dann doch ihrer eigenen Logik folgend im Ohr verankern und mit jedem Hören nur noch mehr davon überzeugen, dass es gar keine Realität gibt, sondern nur unsere Wahrnehmung davon.

 


Cymbals Eat Guitars - LOSE
 

Wo ich nun schon so einige Jahre verstärkt damit verbringe, für mich und mitunter auch andere nach hörenswerter Musik Ausschau zu halten, ist es eigentlich naheliegend, dass sich dabei Wissen und Geschmäcker erweitern beziehungsweise verschieben. Ich höre bei Weitem nicht mehr so viel Indie-Rock wie vor 10 Jahren oder auch das, was Bands heute machen, die vor 10 Jahren in diesem Umfeld situiert gewesen wären. Doch auch weil heute viel selbstverständlicher bei der Bandgründung ein Synthesizer als eine zweite Gitarre mit dabei ist oder R'n'B-Einflüsse keine Seltenheit sind, gibt es schon rein mathematisch nicht mehr so viele rundum große Alben im traditionelleren Indie-Rock. Die gute Nachricht dabei ist aber, dass er als Transportvehikel für gewisse Songs immer noch bestens taugt - man muss nur eben darauf kommen und sich nicht zu viel von diesem und jenem Trend irritieren lassen, was stilistische Offenheit nicht ausschließt. Bestes Beispiel dafür sind Cymbals Eat Guitars, die ihren klassischen Topos der Todestraumata in bissigen, ausfallend punkigen, aber auch synthig umtexturierten Songs ausformulieren. Der gelegentlich überraschende Wechsel deckt sich auch stilistisch mit der biographisch sprunghaften Narrative, ein wenig wie bei The Hotelier, nur deutlich weiter weg vom typischen Emo - Hauptsache dabei, dass die Songs melodisch ans Mark gehen.

 


FKA twigs - LP1
 

Tahliah Barnett macht tolle Gimmick-LPs: EP2 kam mit einer Pappverlängerung des Plattencovermotivs, LP1 liegt eine Lupe in Breite ihrer Augenpartie bei. Als twigs, nunmehr FKA twigs und vielleicht in Zukunft noch TBA hat sie die Andeutungen ihrer ersten größeren Veröffentlichungen zum Teil musikalisch beseitigt. Noch steht Two Weeks als "großer Song" demarkiertes Stück aber alleine, sowohl auf ihrem Debütalbum als auch bei zumindest ihrem Kölner Konzert, wo es beim Publikum zum großen Euphoriemoment wurde. Doch FKA twigs ist ein Projekt mit Gesamtkonzept, vom (visuellen) Design der Platten über die Videos bis zur Liveinszenierung über flankierende E-Trommel-Männer und Choreographie, die eben die ereignisarmen Leerräume und Andeutungen in der Musik weniger füllt als ihnen eine neue Deutungsmöglicheit verleiht. Oft wurden gerade die Momente bejubelt, wenn die Stimme verstummte und der Körper die einzige Ausdrucksoption wurde.

 


Gorgon City - Sirens
 

Von allen Alben und anderen Werken in dieser Aufzählung, die ich mir 2014 gekauft oder anderswie permanent verfügbar gemacht habe (kein Stream ist permanent, duh doi), ist dieses hier das einzige davon, das ich seit den ersten Tagen nicht nochmal gehört habe. Eine klassische Fehlanschaffung? Nun, schlecht ist es nicht und ruft sicher nicht die Stunkreaktion des weißen Tocotronic-Albums hervor, wegen dem ich damals den Entschluss fasste, nie wieder ungehört zu kaufen. Zumindest ein paar Ausnahmefälle erspielten sich zwar das blinde Vertrauen, doch Gorgon City gehörten sicher nicht dazu. Wie kam's also? Reingehört hatte ich sogar, zwei- oder dreimal, war nicht hin und weg, hatte aber aufgrund der Tiefenwirkung ihrer EP ein gutes Gefühl - und dann sah ich die CD da für 13€ rumstehen. Dass das Geld zum Fenster rausgeworfen ist, fuchst mich irgendwie weniger als jetzt neben all diesen anderen Musikwerken, mit denen ich irgendwas verbinde - sei es persönlich oder einfach eine Erinnerung, Eindrücke und Erlebnisse -, dieses unbeschriebene Blatt steht, ein weißer Fleck im Musikmosaik 2014. Wer weiß, vielleicht juckt es mich diesen Sommer nochmal nach House-Pop und mangels Alternative ...

 


Jenny Hval & Susanna - Meshes Of Voice
 

Wo immer man den Entweder/Oder-Hebel ansetzt, stößt einen das Werk der Norwegerinnen vor den Kopf – oder pflügt einmal mit dem Presslufthammer mittendurch. Schon alleine das Ausdifferenzieren der höchst unterschiedlichen Stimmen, die titelgebend zum Gerüst und lyrischen Ausdruck der Stücke verwoben sind, wird dadurch verkompliziert, dass in ihre kehligen und nasalen Timbres auch die Vocals von Anita Kaasbøll einstimmen. Auch Jo Berger Myhres Bass wird zur Stimme, auch die Stimmen werden zu dronigen Bässen, Identitäten und Perspektiven werden gebogen und transformiert. Die surreal-impressionistische Klangerzählung über Göttlichkeit und Femininität ist song- und momentweise konkret und abstrakt, schön und schaurig, sanft und brutal, harmonisch und dissonant, Melodie und Lärm. Mit jedem Hören wirkt das weniger wie ein chaotisches Kräfteringen und mehr wie die stimmig facettierte Ganzheit, die drei Stimmen und die Noisestreuungen Hvals und Kaasbølls konvergieren immer wieder, fast schon universell und auch zutiefst persönlich. Kein Wunder, dass eine Liveaufnahme von 2009 auch fünf Jahre später noch so immense Wirkung besitzt.

 


Kimbra - The Golden Echo
 

Das heimliche Brainfeeder-Album des Jahres! Gut, ein Thundercat mag seine Bassdienste vielen anbieten und taucht auch in deutlich überraschendereren Albumcredits auf, aber die Überschneidungen zwischen dem Personal von Kimbras R'n'B-Popalbum und dem letztjährigen von Flying Lotus sind schon enorm - schließlich gehört jener selbst zu den Kollaborateuren, deren Stücke es nicht auf The Golden Echo schafften, dafür ist R'n'B-Auteur Bilal als noch besserer Anknüpfungspunkt zugegen. [MEHR]

 


Literature - Chorus
 

Zum nunmehr 25. Jubiläum darf man wohl annehmen, dass das Jahr, in dem Slumberland Records nicht mindestens ein herausragendes Indiepop-Album herausbringt, die Apokalypse demarkiert. Neben den wiederholungstätigen Gold-Bears bescherte uns die transatlantische Kooperation mit Fortuna Pop! so auch noch das zweite Album von Literature aus Philadelphia, die darauf wie Orange Juice mit ordentlich Vodka abgehen. Das bedeutet sicherlich süßen Jangle, grenzseufzige Vocals, Rhythmen ohne Komplikation (wenn auch eben ordentlich Drive) und melodische Opulenz bis in die (Quer?)Flöte, doch wie als Bonus erweist sich Chorus bei Kopfhörerinspektion auch als faszinierendes Sounddesign-Erlebnis, das die Band mit ungewöhnlichen Aufnahmetechniken erreichte. Nicht unbedingt etwas, worum man einen Feuilleton-Artikel spinnen kann, aber auch mehr als nur ein langfristig faszinirender Bonus wenn man eh schon mit den Songs sympathisiert.

 


Mick Jenkins - The Water[s]
 

Ein waschechtes Rapalbum hab ich dieses Jahr wohl nicht durchweg so gern gehört wie die Mixtapes von Gates und Mick Jenkins, doch abgesehen davon, dass sie auch parallel als kommerzielle Downloads erschienen, ist gerade The Water[s] mehr von Albumformat als viele als solche erschienene. Da ist das Wasser textliches Motiv, gepaart mit einem kohärenten Schwummersound inklusive gelegentlicher H²O-Samples, vereint in einer überwiegend sanft dahingleitenden Vibe, die jedoch auch Gelegenheit zu kantigeren Ausbrüchen bietet, die sich bis auf das Ende in einem durchweg stimmigen Rahmen halten.

 


Naomi Punk - Television Man
 

Ein großer Unterschied besteht zwischen Naomi Punks 2012er Debütalbum und Television Man nicht. Nahezu den gleichen Sound, ja sogar die gleiche Akkordfolge wie mindestens ein Song auf dem Vorgängerwerk hat das Titelstück, ist wie die anderen neuen nur ein wenig schneller, ein wenig schärfer im Ausdruck mit stärker ausgeprägten Dynamikschwüngen und strengeren Anschlägen. Die Verfeinerungen, die das Trio aus seinem minimalistischen Repetitions-Punk-Korsett herauskitzelt werden am schönsten deutlich, wenn sich die Gesangsmelodien aus der Grautonwand nölender Saiten und staksiger Perkussionsbündel pellen. Nahtlos geht ihre Harmonie vom Ende des Titelstücks in eines der knarzigen Keyboard-Zwischenspiele über, die auf dem Debüt noch ein wenig als obligatorisches Experiment anödeten – hier aber ist Plastic World No. 6 wie das Herz des Albums, das wortlos überm Dümpelbeat einer billigen Drum Machine im Tageslicht steht, bevor Naomi Punk wieder die Klöppelkeule rausholen und der fleckige Strudel von Eleven Inches alles umhüllt.

 


The New Pornographers - Brill Bruisers
 

Der Grower des Jahres sorgte anfangs noch für eine Mischung aus Bedenken über die schon etwas unnötig überbeschäftigten Arrangements und Erleichterung darüber, dass zumindest die Bejar-Rocker hier mal wieder richtig zündeten. Über sie gelingt der Einstieg in das beste Pornographers-Album (wenn nicht gar überhaupt) seit Twin Cinema am leichtesten, ist Dan Bejar doch hier fast so wie auch live die Rampensau, die für ihre eigenen Songs mal rauskommt und anschließend direkt wieder von der Bühne verschwindet. Die wirklich merkwürdige Bandchemie der kanadischen Powerpop-Hydra schien Chefkopf A.C. Newman zuletzt durch verstärkte Soundkohärenz bändigen zu wollen, doch neben der herrlich hohen Hook-und-Hit-Dichte zeigt sich auf Dauer gerade ein wiedererstärkter Elan mit Tendenz zum Überschwappen als besonders vital.