Konzert: c/o pop Tag 2 - Seabear, Reykjavik!, Ultra Mega Technobandið Stefan

Ein großes Thema bei der c/o pop ist ja dass im Rahmen der "Europareise" Festivals aus ganz Europa hierzulande weniger bekannte Musik vorstellen, so dass man mit dem Festivalticket auch mal völlig blind auf Entdeckungsreise gehen kann. Ein bisschen Vorauswahl hatte ich schon getroffen bei der Wahl des gestrigen Programms, das wurde nämlich vom Iceland Airwaves-Festival ausgewählt. Die Veranstaltung fand im schönen Rheintriadem statt, allerdings nicht im großen Saal in der Mitte, der war mit Tischen und hochbequemen Sitzsäcken zur gemütlichen Lounge umfunktioniert worden. Der isländische Teil des Programms fand im zweiten Konzertraum statt, im Obergeschoss gastierte das polnische Festival Turning Sounds.



So wie das was ich von Seabear schon gehört hatte hatte ich mir einen isländischen Abend vorgestellt, feine, warme Musik mit Geigen gespielt von Wollpulliträgern. Nun, ganz so war es nicht, die sieben Jungs und Mädels waren weitaus bunter und sommerlicher gekleidet als gedacht, und vor allem zum Glück nicht in Wollpullis die in dem mit ca. 5 Lampen pro Quadratmeter versehenen schnell warm werdenden Konzertraum im Erdgeschoss recht schnell unangenehm werden dürften.

Ein zweites Thema bei der c/o pop scheint allerdings die tückische Technik zu werden, das richtige Zusammenstecken aller Kabel und Geräte war zwar recht schnell geschafft aber der Computer muckte anfangs etwas rum. Daraufhin wurde einfach das Programm etwas abgeändert und es gab eine anscheinend spontan eingefügte Kuschelversion von Teenage Kicks. Die live wuchtiger und facettenreicher klingende Band war sehr nett und die Kommunikation mit dem Publikum ging anfangs sogar so weit dass der Sänger die Besucher fragte ob der Sound OK sei oder welche Instrumente sonst lauter gestellt werden müssten. Auch andere Eigentheiten hatte das Konzert, viele Instrumente die ich noch nie gesehen hatte wie eine Art Mundharmonika mit kleinen Metallhörnern, zwei zitherähnliche Saiteninstrumente, und richtig lustig wurde das Gesamtbild dadurch dass neben den drei Mädchen in bunten Kleidern, vor dem Drummer mit butterweichen Drumsticks der Gitarrist ein Black Metal-Shirt trug und einen Totenkopf am Unterarm tätowiert hatte. Aber dieses war noch bei Weitem das normalste Konzert an diesem Abend.

[MP3] Seabear - I Sing I Swim
[MP3] Seabear - Arms

Seabear Myspace



Island, Land der Geysire, Land der schönen Landschaften, Land der Feen und Elfen - aber wo es Elfen gibt gibt es auch boshafte Kobolde die wild herumtoben und harten Schnaps trinken. Reykjavík kommen überraschenderweise ebenfalls aus Reykiavik und boten direkt einen starken Kontrast als sie die Bühne betraten, insbesondere dank des langhaarigen Wifebeater-tragenden Gitarristen der direkt aus einer 80er Thrashmetalband entlaufen schien. Wie um den Stimmungswechsel noch klarer zu machen wechselten als die fünf loslegten die bis dahin meditativ blau schimmernden Leuchten über in blutiges Rot, und dann sprang der Sänger auch schon durch den Saal.

Anfangs wirkte der garagige Rock der bei den späteren Stücken immer mehr in Richtung Mclusky anklang zu bemüht wild und verrückt, aber mit der Zeit schwappte doch die Stimmung über und es wurde richtig spaßig. Spätestens als eine gewaltige Flasche Schnaps einmal durchs ganze Publikum gereicht wurde ("don't return it until it's empty!") war der Bann gebrochen, selbst etwas so kitschiges wie ein Tanzwettbewerb wurde höchst unterhaltsam. Am Wildesten gingen aber die Isländer im Publikum, darunter auch Seabear, ab und spätestens da wurde klar dass der Isländer an sich auch ein höllisches Partytier sein kann.

[MP3] Reykjavík - All Those Beautiful Boys

Reykjavík Myspace



Und dann, tja dann wurde es noch wilder. Ultra Mega Technobandið Stefan sehen aus als dürften sie noch nicht selbst Auto fahren, aber während den ersten paar gespielten Tönen begann der Sänger bereits umherzuhechten wie Iggy Pop (und sich auch sofort seiner Oberbekleidung zu entledigen). Die "Technoband"-Bezeichnung kommt aber nicht von irgendwoher, denn ihr Modus Operandi lautet "stampfige Beats + dicke, eingängige Synthiemelodien + wildgewordener Sänger". Das war auch überraschend spaßig, das Konzert zerfiel jedoch gegen Ende etwas als es zu chaotisch wurde, auch wirkte der Sänger etwas frustriert von der Ungeregtheit vieler Besucher. Mit etwas mehr Erfahrung und an einem etwas anderen Ort bin ich mir aber sicher dass Ultra Mega Technobandið Stefan eine exzellente (und das ist jetzt nicht abwertend gemeint) Partyband abgeben, vielleicht bald im Vorprogramm von Andrew W.K.?

[Video] Ultra Mega Technobandið Stefan - Cockpitter
[Video] Ultra Mega Technobandið Stefan - Story of A Star

Ultra Mega Technobandið Stefan Myspace

Das war also Tag 2, Untertitel "Das Experiment" - es ist sicher ziemlich lange her seit ich das letzte Mal auf ein Konzert gegangen bin mit nahezu null Ahnung was mich erwartet, und es hat sich definitiv gelohnt.