Annuals - Be He Me



Wie lange hab ich an dieser Platte gekaut. Ist sie nun sehr gut, oder nur mäßig? Kürzlich aber kam ich eines Tages nach vielen Stunden des Möbelrückens und Holzhackens nach Hause zu einem wohlverdienten Feierabend und legte bevor ich mich aufs weiche Bett begab erschöpft noch Be He Me auf. Und ab dann war alles klar.

Annuals, die Band um Songwriter Adam Baker, hatten schon vor der Veröffentlichung ihres ersten Albums viel Aufmerksamkeit erregt, rückblickend kann man wohl sagen zuviel. Ganze fünf Stücke, allen voran das phänomenale Brother, hatten einen Eindruck erweckt den man beim Hören des Albums erst mal überwinden musste. Das durchweg große Spektakel, das das vor Energie nur so strotzende Eröffnungsstück verspricht, wird einem nicht geboten. Aber auch wenn Annuals das Grandeur auf vielen Stücken etwas zurückschrauben, so mangelt es ihnen weiß Gott nicht an Ideen. The Bull And The Goat ist einfach traumhaft mit seinen Percussions, dem hohen kehligen Gesang und dem denkwürdigen Gitarrensolo. Dry Clothes, ein Song übers Wäsche aufhängen, wird von Vogelzwitschern begleitet, geht nach dem Refrain in einen schallig stampfenden Beat über um dann in aller Länge und Breite ausgedehnt zu verklingen.

Doch eben der Ideenreichtum wird manchen Songs zwischen den etwas mehr auf Grundideen reduzierten Stücken zu Anfang und Ende (Father, das allzu deutlich zeigt dass Annuals auch mit langen Stücken absolut kein Problem haben) zunächst zum Verhängnis. Es brauchte wirklich eine Zeit völliger Ruhe, an diesem Abend als ich schon die Muskelkater am nächsten Morgen vorhersagend im Bett lag, bis ich z.B. Carry Around richtig erfassen konnte. Es ist einfach so vollgepackt mit Effekten dass diese wie nachträglich eingefügt wirken können, bis man dann hört wie sie zusammen mit allen anderen musikalischen Fäden eine Gesamttextur bilden.

Chase You Off macht es danach auch nicht einfacher mit seinen abrupten Stimmungswechseln. Man könnte vermuten dass hier einfach 5 oder 6 verschiedene Songs willkürlich zusammengesetzt wurden wenn nach zwei Minuten von einem Takt auf den anderen plötzlich statt versprengte Fieper von sich zu geben das Keyboard einen feuchten Schwall über den gesamten Sound legt und alle Instrumente klingen wie unter Wasser gespielt. Nur ein paar Takte später erklingt dann die Leadgitarre die die ganze Zeit praktisch nicht zu hören war auf einmal über allem anderen und übernimmt die Führung des Songs als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Doch es ist wirklich alles ein Song, ohne einen einzigen Rhythmus- oder Geschwindigkeitswechsel, doch bis dieser Song erst mal im Ohr des Hörers Gestalt annimmt kann es etwas dauern.

Der zweite, etwas kleinere Knacks des Albums ist dass die Stücke kein auch nur halbwegs homogenes Ganzes ergeben. Die energetisch eingeworfenen Ausrufe der Bandmitglieder verbinden zwar schon mal Stücke die sonst nur allzu verschieden voneinander sind, aber wenn die Musik so einen dichten Klangteppich ohne eine einzige Sekunde Ruhe bildet wirken all die verschiedenen Strukturen stellenweise etwas zu konträr. Einen Vorwurf kann man Baker deswegen kaum machen, das Material entstand über vermutlich mehrere Jahre und entstammt so durchaus verschiedenen Schaffensperioden.

Die leichte Überfrachtung durch akustische Details, die elektronischen Geräusche, die verzerrenden Effekte, die Freudenschreie, machen Be He Me in Verbindung mit seiner innerlichen Unausgewogenheit "nur" zu einem sehr sehr guten Debüt. Vielleicht haben Annuals entschieden dass dies ihr Stil ist, vielleicht wurde diese Masse an Details auch nur eingesetzt weil Baker nicht genügend Vertrauen in die Stärke seines Materials hatte. Letzteres wäre nicht nur unbegründet, sondern dürfte auch wenn Annuals sich ein bisschen am Riemen reißen das nächste Album zu einem weitaus schneller angenehmen Erlebnis machen.

[MP3] Annuals - Brother
[MP3] Annuals - Dry Clothes
[MP3] Annuals - Carry Around