The Blood Brothers - Young Machetes
Von Uli am 8. November 2006, 20:49
"We'll do what the fuck we want" ist zwar ein Statement der in Huge Gold AK-47 porträtierten Waffenhändler, aber gleichzeitig auch die kreative Devise von fünf immer noch jungen Männern aus Seattle. Unbehelligt von jeder Kritik ziehen sie weiterhin ohne Kompromisse ihre völlig eigene Vision von Punkrock durch, ihre Waffen sind die krachigen Attacken aller ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente, mechanischer, elektronischer und vor allem stimmlicher.
Ja, mit Young Machetes laden The Blood Brothers nun bereits auf Album Nr. 5 zum infernalischen Tanze ein, und sie sind keine Unze leiser geworden. Wohl mit das Aufregendste diesen fünf ist dass sie sich von Album zu Album kontinuierlich in großen Schritten weiterentwickeln. Man muss nicht mal sagen besser werden, obwohl es so ist, aber vor allem anders, und man kann einfach niemals vorhersagen in welche Richtung sie ihre Musik als nächstes steuern.
Young Machetes ist die bisherige Krönung ihres Schaffenswerks. Nahezu alles was bereits Meilensteine wie March On Electric Children, Burn Piano Island Burn oder Crimes auszeichnete ist hier versammelt, verfeinert und Pfund für Pfund mit nochmal so viel Material wie sonst vollgestopft worden. Und so fällt dieses Album mit einer Gesamtspielzeit von 51 Minuten noch länger als der bisherige Rekordhalter BPIB aus, und das ohne gegen Ende verschleppt zu wirken.
Bei all der Bewunderung und Lobhudelei: ich kann es wirklich niemandem verdenken wenn er die Blood Brothers nicht so hoch wertet, ich brauche selber immer eine ganze Weile bevor ich eins ihrer Alben richtig einschätzen kann. Ich habe nicht mal Problem mit den schrägen Vocals, die hatten mich damals erst überhaupt auf March On Electric Children aufmerksam gemacht, aber sie tragen auch ihren Teil dazu bei dass man selten direkt kapiert was die Brothers mit einem Song bezwecken. Wie schon eingangs angedeutet nutzt das Sängerduo bestehend aus Jordan Blilie und Johnny Whitney seine Kehlen seltener für klaren Gesang, vielmehr bilden die daraus entlockten Schreie eine eigene Klangtextur, wie ein vollwertiges Musikinstrument.
Zunächst mal bringen sie damit zwar eine Energie ein wie man sie schon seit langem aus dem Hardcore kennt, da ist Passion gleich Dezibel, aber wenn z.B. im Fiebertraum (inklusive Selbstzweifel die sich hier in einer die Musiker verhöhnenden spottenden Menge offenbart) Vital Beach nach einem schon deftigen Refrain der Übergang in den zweiten Akt des Traumes mit einem schier von Wahnsinn getriebenen „AND THEN WE FALL INTO ANOTHER PAINTING“ übermalt wird hört man nicht nur die Worte, sondern spürt geradezu wie die Klänge dieser Stimmen einen in diesen düsterbunte Vision hineinsaugen.
Set fire to the ships on fire! Set Fire to the hips on fire!
Was auf diesem Album aber wohl erstmalig gleichwertig mit den Stimmen in Scheinwerferlicht tritt ist die Rhythmussektion, bestehend aus Drummer Mark Gajadhar und Bassist Morgan Henderson. Noch vor dem galoppierenden Vital Beach erweckt Gajadhar auf dem geradezu frenetisch getrommelten und gegen Ende immer dichter mit Anschlägen befüllten Eröffnungsstück Set Fire To The Face On Fire Eindruck, der Trennungsschmerz von Camouflage, Camouflage groovt dank beider schon fast hitverdächtig, und zu Spit Shine Your Black Clouds möchte man schon glatt den Walzer einstudieren.
Kommt dieser größere Einfluss vielleicht durch ein größeres Selbstbewusstsein zustande das sich Gajadhar vergangenes Jahr zusammen mit Blilie im Nebenprojekt Neon Blonde erworben hat (wo Blilie sich wohl auch etwas von der Flamboyanz und den Funk/Discoeinflüssen zurückließ die Crimes so ungemein aufregend machten)? Oder liegt es daran dass andere Ambitionen der Blood Brothers hier zurückgeschraubt wurden?
Auf Crimes wurden noch Rundumschläge in alle Ecken der Kultur verteilt, aber aus Resignation über das politisch kaum veränderte Amerika findet man hier wieder mehr persönliche Texte. Wenn in Huge Gold AK-47 das aktuelle Problem des internationalen Waffenhandels nicht verteufelt, sondern aus der Sicht der scheinbar unbesiegbaren Kriegsherren abgefeiert wird, wirkt das noch um einiges verstörender als die sonst bildgewaltigen Anklagen Außenstehender.
Ach ja, die Bildsprache. Selbst wenn man nicht durch die abstrakt wirkende Lyrik der Songtexte hindurchblicken kann wird man zumindest einige altbekannte Motive entdecken, insbesondere treten hier die Obsessionen der Brothers mit Ratten, Pferden und Skeletten wieder mal zu Tage. Ein Motiv das bis zur allerersten Platte zurückgeht, das Zählen nach Graf Zahl-Methode, erhält nach dem damaligen 1,2,3,4 Act Two: Now You're the Bitch... hier mit 1, 2, 3, 4 Guitars sogar im Titel eine Reminiszenz.
Meine große Befürchtung für dieses Album war anfangs die hohe Anzahl an Songs in mittelschnellem oder noch langsamerem Tempo, dort lag nämlich in der Vergangenheit das meiste Potential für Fehlschläge. Aber hier zeigt sich die Reife und die schier bewundernswerte Selbstgewissheit der Blood Brothers: jedes Mal wenn man denkt man hätte hier ein Stück entdeckt das droht in unangenehme Länge gezogen zu werden und Langeweile hervorzurufen kommt plötzlich wieder etwas neues um die Ecke gerast. We Ride Skeletal Lightning reißt irgendwann seine eigenen Wände ein und wartet mit einem Finale in Reitrhythmus auf, das loungige Spit Shine Your Black Clouds ist eins der poppigsten Monster das je eine BB-Platte zierte, 1, 2, 3, 4 Guitars bringt mit Rumbarasseln doch tatsächlich SAMBAfieber ins Haus, und Lift The Veil, Kiss The Tank fährt bevor es wieder mit schnelleren Stücken in die Vollen geht noch denkwürdige „woo-oo-oo“-Gesänge auf.
And pissed-off babies turn to pissed-off children
Rund um so viele denkwürdige langsamere Nummern wie noch nie wird auf Young Machetes aber auch nahtlos in Zerstörungsmodus übergewechselt. You're The Dream Unicorn kombiniert das Tempo der BPIB-Ära mit den rosaroten Acidwolken von Crimes und ist dank seines Refrains der zweitgrößte Tribut den die Brothers jemals Queen gezollt haben (der größte war ihr göttliches Cover von Under Pressure). Nausea Shreds Yr Head stellt wieder mal alle konventionellen Erwartungen an Struktur, Form und Harmonie eines Popsongs auf den Kopf und haut anschließend mit einem Vorschlaghammer drauf.
Es enthält auch meine Lieblingsstelle des Albums: Der Moment als zu dem Ruf „Are you gonna jump, jump, jump“ gleichzeitig ein halbes Dutzend himmlisch klare Engelsgitarren einsetzen ist für ein paar Sekunden einer absoluter Schönheit, bis sich dann die Töne in Dissonanz verzerren und alles Schöne in Millisekunden vor unseren Ohren zerfällt. Kein Wunder, denn der Ruf geht noch weiter: „Are you gonna jump, jump, jump out of the window or burn, burn, burn with the furniture?“
Zum Schluss gibt es dann die größte Überraschung des Albums: Zwei Stücke die beide über 5 Minuten gehen! Und das erste davon bricht an keiner Stelle auch nur annähernd in Gewalt aus! In der Tat beendet Street Wars/Exotic Foxholes, auf dem die Band so tight und zurückgehalten wirken wie nie, seine erste Hälfte mit einem schon fast hoffnungsvoll klingenden „Come on, come on let's run“ (allerdings trügt auch hier der Schein wieder, davor ging es nämlich um die Ignoranz der amerikanischen Öffentlichkeit in Hinsicht auf den Krieg), bevor es von einem verirrt klingenden Saxophon zart in das finale Giant Swan geführt wird. Muss ich extra erwähnen dass das Album dort böse endet?
Fly me home, giant swan
Young Machetes ist wie eine kreuz und quere Reise durch die Geschichte der Blood Brothers und alles was sie so einzigartig macht. Gleichzeitig sind die kurzen Kracher, die chaotischen Merkwürdigkeiten, die düsteren Pianoballaden alle mit mehr Ideen als je zuvor durchzogen, und so ist dies ihr zugänglichstes Album bisher, hier wird jeder der irgendwas mit den Blood Brothers anfangen kann irgendwo seinen Zugang finden (gestrichener mieser Witz an dieser Stelle: „sich mit Machete durchschlagen“) und sich von dort aus den Rest dieses Opus Magnum erhören. Aber Vorsicht: wenn man einmal richtig drin ist wird man nicht mehr raus wollen.
Wer das da oben als zu viel Text befand und nur hier zum Ende gescrollt hat um das Fazit zu lesen: Einmalige Band! Einzigartige Platte! Bestes Blood Brothers-Album! Und Rock&Pop-Album des Jahres sowieso! Und bitte noch das hier lesen.
[MP3] The Blood Brothers - Laser Life
[Stream] The Blood Brothers - Young Machetes
Young Machetes Ecard