Von Uli am 1. April 2008, 16:51
Close Calls With Brick Walls oder "Wie ein alter Bekannter zum neuen Favoriten wurde":
Als kurz nach der Jahrtausendwende angeblich auf einmal mit den Strokes und White Stripes der gute alte Rock wieder da war gab es allerlei Hype-Kuriositäten zu beobachten, u.a. wie die Fiery Furnaces zunächst als die "neuen White Stripes" promotet wurden (rückblickend: Rofl!), doch nichts war kurioser als dass ein Major Label seine Marketing-Macht hinter Andrew Wilkes-Krier alias
Andrew W.K. stellte.
Als gelernter klassischer und Jazz-Pianist sowie Drummer hatte er vorher jahrelang mit Avantgarde- und Noise-Bands gespielt, war u.a. eine Weile Mitglied von Wolf Eyes und immer noch ab und zu bei To Live And Shave In L.A. Doch davon war auf seinem Major-Debüt
I Get Wet nichts zu hören, im Gegenteil fanden sich dort unverschämt simpel klingende und Freude machende Popsongs die auch inhaltlich aufs Endorphinpedal drückten, allein die Titel von
It's Time To Party,
I Get Wet und
Party Hard sprachen schon Bände. Zusammen mit Glamrock-Elementen und Brüllgesang war die Verwirrung komplett: Meint der das ernst? Ist es Ironie oder gar eine hintersinnige Parodie? Darf man das gut finden?
Auch ich hatte anfangs meine Probleme, besonders weil ich damals noch ein kleiner Rockistendepp war der so ziemlich alles alles was nicht in sein ignorantes Weltbild von "richtiger" Musik (i.e. "mit Gitarren") passte als Mainstreammüll abtat. Doch der Macht dieser Monsterhooks konnte ich mich einfach nicht verweigern und wurde halb widerwillig zum Fan. Dass der Nachfolger
The Wolf nicht mehr das gleiche "Wow"-Erlebnis bot machte es noch leichter den Mann als Ein-Album-Wunder abzutun, zu dem zeitpunkt hatten sich auch viele entsetzt abgewendet als klar wurde dass der Kerl es wirklich ernst meinte mit seiner Positivität.
Ein paar Jahre später bin ich nun Gott sei Dank etwas aufgeschlossener und habe auch kein Problem damit zuzugeben dass
I Get Wet eines der wenigen Alben seines Jahrgangs ist das ich immer noch regelmäßig höre. Daher war ich auch ehrlich erfreut als ich endlich einen günstigen Import von
Close Calls With Brick Walls fand (aufgrund eines Rechtsstreits kann Andrew W.K. vorerst keine Solo-CDs mehr in den USA veröffentlichen, als LP erschien das Album aber kürzlich beim amerikanischen Noiselabel Load Records). Auf dem Cover zeigt sich der Komponist und Sänger wie eh und je langhaarig in seinem weißen T-Shirt und auch innen findet man durchaus Bekanntes wieder.
Die eingängigen Powerchords sind immer noch gigantisch und werden oft simultan auf Keyboard und Gitarre gespielt (wobei das Piano meist melodisch im Vordergrund steht), die Songtitel sind meist Programm (
Not Going To Bed beginnt programmatisch mit "Are You Ready To Go To Sleep? No! PARTY!") und W.K. hält ein Energielevel als wäre er als Kind Obelix-mäßig in einen Kessel mit Endorphinen gefallen. Doch
CCWBW haut keineswegs durchgängig Kracher raus, das wäre über beinahe zwei Dutzend Tracks auch kaum auszuhalten. Das beinahe-Titelstück
Close Calls With Brick Walls, ein ominös-düsteres Wabern das zu Beginn des Albums fälschlicherweise ein Ende der guten Laune andeutet, zögert die erste, dadurch noch süßer werdende Freudenexplosion etwas hinaus. Teilweise geschieht das auch innerhalb von Songs, beispielsweise dem phantastisch detaillierten
Hand On The Place.
Mark My Grace hat schon fast arabische Anklänge während die weibliche Gesangsstimme das Finale von
I Want Your Face noch dringlicher, unvergesslicher macht. Ehrlich, ich kann mich nicht entsinnen wann ich zuletzt eine so gut komponierte Popplatte gehört habe.
Rhythmisch geht es weitaus abwechslungsreicher zu, nicht mehr technoid gleichmäßig stampfende Beats an jeder Ecke wie es bei den ersten Singles der Fall war, mal swingt es, mal geht es mit straightem Rock voran oder auch mal auf abenteuerliche Prog-Ausflüge, immer wieder werden andere Dynamiken und Klangräume zwischen den Instrumenten geschaffen. So wird das Album auch auf ganzer Länge nicht eintönig und wundersamerweise ist fast jeder Song ein Ohrwurm, ein großer, euphorisierender, zu Fußwippen, Kopfnicken und Armschwenken verleitender, nicht enden sollender ideenreicher Spaß der mit nahezu perverser Häufigkeit immer wenn man ihn schon zu Ende glaubt nochmal die Kurve kriegt und sich zum nächsten Hoch aufschwingt. Das kann man alles furchtbar uncool finden und sich lieber das angesagte Indie-Abgepause von nebenan reinziehen, Andrew W.K. wird das nicht jucken. Der Mann ist nicht aus seiner Laune zu bringen und wird weiterhin alles daran setzen seine Frohnatur iweiterzuverbreiten und seinen Hörern das Leben zu verschönern.
[MP3]
Andrew W.K. -
You Will Remember Tonight
[Video]
Andrew W.K. -
Not Going To Bed
[Stream]
Andrew W.K. -
Close Calls With Brick Walls