66 aus 2006 Teil 3

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Platz 44
Erase Errata - Night Life


Oft sind in den letzten Jahren vom 80'er Postpunk beeinflusste Bands wie Franz Ferdinand und Bloc Party mit Gang of Four verglichen worden, nur damit man anschließend beklagen konnte dass lediglich musikalische Stilmittel benutzt wurden, die soziale/politische Relevanz aber fehlte. Ihr wollt Relevanz, bitte schön, Erase Errata bringen sie. Und wem dann der Songtitel Tax Dollars zu ernst und uncool erscheint: auf eurer Party hätten Erase Errata eh nie gespielt.

Platz 43
Love Is All - Nine Times That Same Song


Schon schade dass ich letzte Woche Love Is All nicht live sehen konnte, dieses Debüt der schweißtreibenden Schweden mit Saxophon ist eigentlich die perfekte Tanzmusik für Clubabende zur kälteren Jahreszeit. Ob das jetzt mit ihrer Herkunft zu tun hat glaub ich nicht, mehr sind es die an No Wave-erinnernden Sounds die bei mir die Assoziation mit Kälte hervorrufen. Eine Kälte die wohlgemerkt draußen auf den Straßen vorherrscht, drinnen sind Love Is All zugange und lassen dich das Tanzbein schwingen. [mehr]

Platz 42
Two Gallants - What The Toll Tells


Kam die wirklich erst dieses Jahr raus? Wow, die Songs von Two Gallant's Zweitwerk sind mir so sehr ins Gedächtnis eingeprägt dass sie mir immer weitaus älter vorkommen, eher schon wie Klassiker aus ihrem Repertoire. Keine geschniegelten Schönlinge, aber auch keine Hippies, bewandern Two Gallants nicht auf abgelaufenen Pfaden die Folklandschaft sondern gehen lieber querfeldein, die eine oder andere Blessur die sie sich in dieser rauen Umgebung einfangen wird dann abends mit Whisky geheilt. Aber alles wird nicht verbraucht, muss ja auch noch was für die Stimme übrig sein.

Platz 41
Matthew Friedberger - Winter Women


Das ist nun eine kuriose Sache: Winter Women und Holy Ghost Language School sind zwei Alben auf je einer CD die aber zusammen verkauft werden, nicht als Doppelalbum sondern als zwei Alben in einer Verpackung. Wie diese Nice Price-Packs von alten Rage Against The Machine Alben. Ja, sowohl vom inhaltlichen, strukturellen als auch vom klanglichen Konzept her sind diese Alben separiert (im Gegensatz zu den Rage Against The Machine Dingern), und deswegen fühle ich mich auch berechtigt das wunderschöne Sommerpopalbum Winter Women zu empfehlen obwohl das andere Album bisher das einzige von Matthew Friedbergers Werken, solo oder mit seiner Schwester als The Fiery Furnaces, ist für das ich mich wirklich nicht erwärmen kann. [mehr]

Platz 40
Beirut - Gulag Orkestar


Der arme Zach Condon wurde dieses Jahr komplett überrollt von seiner eigenen Popularität in gewissen Musikhörerkreisen, noch nie hatte er ein Konzert gegeben aber trotzdem war der Saal, als es dann soweit war, gepackt voll mit Besuchern und deren hohen Erwartungen. Dass die nicht direkt beim ersten Mal voll erfüllt wurden ist verständlich, denn Gulag Orkestar ist wirklich eine außergewöhnlich gute Platte für ein Debüt. Sicher nicht unschuldig daran sind die Musiker mit mehr Erfahrung, allen voran Balkan-Veteran Jeremy Barnes, die mithalfen. Aber die Ideen, die tollen Melodien, die hat Condon alle ganz allein in seinem Zimmer entworfen bis er sie eines Tages mit einem richtigen Orchester auf die Welt loslassen konnte.

Platz 39
Mono - You Are There


Eigentlich ist es sinnlos einen Text über dieses Album zu verfassen, das Cover beschreibt es schon perfekt. Majestätisch groß, oft kalt und hart, aber am Horizont erkennt man eine Schönheit, die irgendwann nur so über einen hereinbricht. Für mich sind Mono derzeit der Maßstab in Sachen instrumentaler Postrock, und dieses Album ist der erste Grund warum sie das dieses Jahr wurden. [mehr]


Platz 38
The Thermals - The Body, The Blood, The Machine


Eigentlich war ich mir bis gestern nicht sicher wie sehr ich dieses Album mag. Ja, die Songs sind klasse, haben auch bei größerer Länge noch genug Schwung dass man hört dass sie die Handschriften von Hutch & Kathy tragen, aber ein gutes Stück langsamer sind sie schon. Wenn die Liveshows dadurch ausgebremst worden wären hätte ich das dem Album wohl übel genommen, aber seit gestern sind meine Bedenken mehr als zerstreut. Und ihre Fangemeinde haben sie hiermit gewaltig vergrößert, was zukünftige Platten nicht mehr so unsicher erscheinen lässt wie vorher. [mehr]

Platz 37
Annuals - Be He Me


Das glorreichste Scheitern des Jahres. Zumindest wenn Adam Baker und Kohorten mit dem Debüt direkt ein rundum stimmiges Album schaffen wollten. Hier geht viel gegen den Wind, manchmal etwas zu viel, die richtige Balance ist noch nicht gefunden, aber gerade das macht die Musik sowohl aufregend als auch ein bisschen herausfordernd. "Hier, wir werfen dir mal eben 5 Songs in einem entgegen, guck mal ob du da was mit anfangen kannst." Kann ich. [mehr]

Platz 36
Herbert - Scale


Nur wenige Elektronikkünstler dürften soviel Stil besitzen wie Matthew Herbert. Nicht Stil im Sinne von Stilrichtung, Stil im umgangssprachlichen Sinne von Coolness. Der Mann weiß sich nicht nur zu kleiden, auch dieses Album strahlt mit einer sehr sicheren Ästhetik, hat aber darüber hinaus vor allem viel Substanz zu bieten. Substanz die sich messen lässt: über 700 Samples, wie bei Herbert üblich mehr Alltags- oder ungewöhnlich fabrizierte Geräusche denn klassische Instrumentenklänge, wurden für Scales verwendet, und dass dabei immer noch so viele Stücke herauskommen die Dani Sicilianos Gesang wie ein gut geschneiderter Anzug sitzen ist Testament für Herberts kompositorische Fähigkeiten. Hm, Anzug, soll ich da noch eine clevere Überleitung zum Anfang dieses Absatzes herstellen? Nee, das wär stillos (autsch, wer schlägt mich da?).

Platz 35
Mastodon - Blood Mountain


Jaja ich weiß, Gojira, Nachtmystium und andere haben auch tolle Alben rausgebracht dieses Jahr und Mastodon sind die einzige Metalband die dieses Jahr jeder ohne Ahnung von Metal toll fand, aber letztlich komme ich einfach immer wieder zu Blood Mountain zurück. Es strahlt eine gewisse Souveränität aus, und das ohne irgendwelches düsteres oder Machogehabe (mit ihren Fantasymotiven fallen Mastodon schon fast in eine nerdige Ecke). Nicht nur die musikalischen Fähigkeiten der Band sondern auch dass sie soviel hier reingepackt haben dass man auch bei mehrmaligem Hören wirklich noch Neues entdecken kann machen dieses zu einem meiner absoluten Rockfavoriten des Jahres. [mehr]

Platz 34
Final Fantasy - He Poos Clouds


Was muss der Mann denn noch machen? Er hat die Geigenarrangements für Arcade Fires Funeral gemacht, zwei eigene Alben rausgebracht, von denen das zweite dieses Jahr den ersten kanadischen Polaris-Musikpreis überhaupt gewann, und immer noch sucht man auf Google seitenweise vergeblich nach dem Musikprojekt Final Fantasy. Dieses verdammte Rollenspiel! Nicht dass Rollenspiele nutzlos wären. Auf diesem Album nimmt sich Owen Pallet eben Dungeons & Dragons als Schablone für unser Leben und Sterben, beobachtet jenes und erzählt davon gleich grandios in intimen wie in großen Geigenmelodien. Wenn er aus so einem lächerlich klingenden Konzept so ein tolles Album machen kann, was mag uns dann bloß als nächstes bevorstehen?

Konzert: The Thermals



Nanu, warum sind meine Arme von Flecken diverser roter und blauer Färbungen übersät? Warum tut mein Kiefer weh? Warum klingt heute alles so dumpf? Warum hab ich einen Schnitt am Bein und meine Hose ein bisschen von innen vollgeblutet? Und warum bin ich trotzdem über alle Maßen glücklich? Ach ja richtig, ich war gestern bei den motherfucking Thermals!

Dass die live die größte Sache überhaupt sind muss wohl nicht schon wieder gesagt werden, aber trotzdem hatte ich nicht gedacht dass es auch mit all den neuen Songs so eine nonstop Hüpferei wie sonst geben würde. Viele waren gestern nicht nur zum ersten Mal bei einem Thermals-Konzert, sondern auch zum ersten Mal überhaupt im Gebäude 9, was sich daran bemerkbar machte dass man direkt vorm Eingang mehrmals gefragt wurde wo dieser denn sei. Aber irgendwie fanden ihn dann doch genug Leute um den Raum gut zu füllen. Ein bisschen amüsiert war ich schon darüber dass noch so viele in Jacke da standen, die wussten echt nicht wie die Temperatur in Kürze zum Kochen gebracht werden würde.

Dann betraten die Thermals mit zusätzlichem Gitarristen zu viert die Bühne, begannen das Konzert erst mal mit einem etwas langsameren Stück... und dann ging es aber so was von dermaßen los. Gefühlte drei Stunden lang wurde alles gespielt was man sich nur irgendwie wünschen konnte, alle Hits von Album eins und zwei, der Großteil von Nummer drei der sich live problemlos in den Thermals-Kanon einfügte, sogar die offizielle Hymne Everything Thermals, und der Saal explodierte jedes Mal etwas mehr. Ja, es wurde viel gehüpft, am Anfang noch etwas viel geschubst (aber das legte sich bald, so viel Hüpfen war wohl für die rabiateren Tänzer auf Dauer zu kräftezehrend), auch Stagediving gab's en masse.

Wenn auch zunächst etwa die Hälfte dieser Versuche ziemlich in die Hose ging, was Hutch Harris meist mit einem leicht schmerzverzerrtem Augenkneifen und einem 'Ouch' auch mitten im Song quittierte. Ich glaub dabei hab ich auch den Tritt gegen den Kiefer abbekommen, oder vielleicht war's auch ein anfliegender Ellbogen, aber no pain no gain. Agressiv war's gestern abend ja auch nicht, einfach nur die totale Euphorie angetrieben von diesen gnadenlos nach vorne preschenden Songs. Sofern der Atem mal ein bisschen reichte wurde auch mitgesungen was das Zeug hielt, wobei auffiel dass besonders die Jüngeren mit den neuen Sachen am vertrautesten waren.

Normalerweise wär ich selbst nach zwei Zugaben immer noch nicht zufrieden gewesen, aber es kam einfach alles was auf Thermals-Konzert gehört, obwohl sie es eigentlich nicht sein kann scheint die Liste endlos. Einmal lief das laut Harris' Ankündigung letzte Stück, und ich dachte noch "oh nein, die können doch nicht Top Of The Earth vergessen," und siehe da, prompt wurde im Anschluss eben mit der 60-Sekunden-Granate doch noch einmal mehr das ganz große Feuer entzündet. Eigentlich sollte ich jetzt auch ausgebrannt sein, aber wie gesagt, ich bin einfach nur glücklich. Thermals? Fuckin A!

Update: Fotos gibt's hier, dort und da, die Setliste gibt's da auch aus mehreren Perspektiven zu begutachten.

Weihnachten mit Deerhoof und 65daysofstatic



Deerhoof bringen uns nun nach einem kleinen Einblick in Friend Opportunity auch noch ein kleines Weihnachtsgeschenk in Form eines kurzen aber süßen Covers, bei dem ich direkt Lust bekomme einen kräftigen Punsch aufzusetzen:

[MP3] Deerhoof - The Little Drummer Boy



Schlichtweg brilliant ist dieses Video zu 65daysofstatics I'm Dreaming Of A White Noise Christmas, das John Landis' Trading Places (dt.: Die Glücksritter) zu einer etwas weniger fröhlichen Geschichte remixt, parallel dazu massakrieren 65daysofstatic musikalisch den Weihnachtsklassiker von Irving Berlin in einer Noise-Loop-Postrockcollage.

[Video] 65daysofstatic - I'm Dreaming Of A White Noise Christmas (Youtube)