Von Uli am 19. Oktober 2006, 11:30
Was gibt es besseres als mit niedrigen Erwartungen ein Konzert zu besuchen und positiv von einer Band überrascht zu werden?
Ein Konzert mit hohen Erwartungen zu besuchen und alle Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern sogar übertroffen zu bekommen.
Everthing they said was true, they are
The Pipettes and they will drop you in their nets, wovon ich mich gestern in Köln selbst überzeugen konnte. Wohl das erste Mal dass ich eine Band im Prime Club spielen sah die auch in den Laden reinpasste, so sehr ich auch das Gebäude 9 liebe gehören die Pipettes in einen bunt beleuchteten Raum ohne lange Stahlrohre an der Wand.
Bevor das Hauptprogramm des Abends aber begann sah man bereits vor dem Prime Club dass es heute auch im Publikum viel schwarz-weiß bepunktete Kleidung geben würde. So sah man bereits bei der Vorgruppe
The Michelles, vier junge Briten die mit The Jam und Art Brut um die Wette rockten, einige Punktinseln im Besuchermeer. Zuvor hatte ich vom Auftritt von
Monster Bobby, eine Art Ein-Mann-Notwist, nur das Ende mitbekommen. Ich würde ihn aber bald wiedersehen, denn Monster Bobby ist nicht nur der Mann der einst die Pipettes zusammenbrachte, er ist auch als Gitarrist Teil ihrer instrumentalen Begleiter und Co-Songwriter
The Cassettes.
Die betreten dann unter dem Applaus eines den Prime Club dicht füllenden Publikums zuerst die Bühne, von wegen Ladies first. Dann aber folgen auch direkt RiotBecki, Gwenno und Rosay, die Halbgöttinnen in weiß-schwarz-und-mehr-gepunktet. Und wow, was für ein Bühnencharisma die drei versprühen, in persona sehen sie zudem noch weitaus besser aus als auf jedem Foto und Video. Gekommen bin ich aber vor allem wegen der unvergesslichen Popmelodien und Gesangsharmonien die bereits beim Eröffnungsstück
Sex zu vollem Einsatz kommen.
Und wieder wow, von manchem Livevideo das im internet kursiert könnte man annehmen dass Musik und Gesang nicht so gut klingen wie auf CD/LP/MP3 etc., aber zumindest dort wo ich stand klang es nicht nur fantastisch gut sondern sogar meistens besser. Wenn Rosay in
Why Did You Stay mit voller Stimme und Überzeugung "Well I've had just about enough of sweet" einwirft, oder die Königin des Augenzwinkerns Gwenno bei
One Night Stand mit tief verstellter Stimme "You smiled at me and made my heart go boom" singt, gefolgt von Rosays mädchenhaftem "BOOM"-Aufschrei, dann ist klar dass diese Songs nicht den Weg von der Platte zur Bühne gemacht haben sondern andersherum.
The Pipettes live (nicht in Köln)
Und mein Gott, die Songauswahl war einfach absolut hundertprozentig perfekt. Sie bestand zu etwa 60% aus Albumtracks, wobei hier vom Album nahezu alle Balladen für die Auswahl gestrichen wurden so dass einem powerhaftem Popfeuerwerk nichts einen Halt bieten konnte. Der Rest waren B-Seiten/frühe Singles die denen absolut nicht nachstehen, erst recht nicht live wo sie mit ebensolcher Begeisterung auch vom Publikum betanzt wurden. Die Midtwenties-Fluchtphantasie
Guess Who Ran Off With The Milkman?,
Really That Bad und das bezaubernd choreographierte
I Like A Boy In Uniform (School Uniform) gehören zu meinen Pipettes-Lieblingssongs derzeitig, und ich war mehr als nur erfreut auch solch eher obskure Songs geboten zu bekommen. Auch einen neuen Song gab es mit
Baby Don't Leave Me zu hören, eine stampfig betrommelte Verzweiflungsrede einer Verlassenen.
Die Setliste ist wohl die gleiche auf jedem Konzert der Tour, neu waren aber die lockeren Ansagen die immer wieder zu Gelächter innerhalb der gut aufgelegten Pipettes und Cassettes selber führten, keine Spur von eiskalten Profis hier. Ebenfalls ihren Charme haben sich die selten perfekt, aber immer schön anzusehenden synchronisierten Tanzeinlagen der Pipettes bewahrt, vom Fingerschwenken bei
Your Kisses Are Wasted On Me bis zum verkehrspolizistähnlichen Armeschenken bei I Like A Boy In Uniform.
Das Publikum gehörte wohl zu den besseren die die Pipettes auf ihrer Europatour bisher hatten, es musste gar nicht erst zum Tanzen aufgefordert werden, und bei
Pull Shapes, dieser perfekten Popsingle, waren dann zu "Clap Your Hands If You Want Some More" auch soweit ich blicken konnte alle Hände in der Luft. Und ganz zu Anfang regnete es aus der ersten Reihe nicht nur Seifenblasen, sogar Rosensträuße wurden den Damen überreicht. Ja, ich habe das Gefühl sie würden gerne wieder nach Köln zurückkehren. Und Köln würde sie mit offenen Armen empfangen, nach dem Konzert hörte ich gar eine enthusiastische Mädchengruppe "Die Pipettes sind Gott!" proklamieren. Na das kommt mir doch
bekannt vor, aber dem kann ich nach so einer Galavorstellung wirklich nicht widersprechen. Womit wohl auch bewiesen wäre dass Gott eine Frau ist. Gestern sogar dreifach.
Setliste:
Sex, Why Did You Stay, Really That Bad, Your Kisses Are Wasted On Me, Simon Says, Because It's Not Love (But It's Still A Feeling), I Love You, It Hurts To See You Dance So Well, Tell Me What You Want, Baby Don't Leave Me, Guess Who Ran Off With The Milkman?, The Burning Ambition Of Early Diuretics, One Night Stand, Judy, Dirty Mind, Pull Shapes, We Are The Pipettes. Zugabe: ABC, I Like A Boy In Uniform (School Uniform).
[Update]: Viele tolle Fotos von dem Konzert finden sich
auf Flickr.
Das Konzert der Pipettes in Amsterdam kann jetzt auf
Fabchannel angesehen werden.
[MP3]
The Pipettes -
The Burning Ambition Of Early Diuretics
[Video]
The Pipettes -
Pull Shapes (Quicktime)
[Video]
The Pipettes -
Judy (Quicktime via Yousendit)