Evangelicals



Von Evangelista zu Evangelicals (was für eine Überleitung):
Man kann ja von dem Indie-Meinungsbilder Pitchforkmedia halten was man will, aber man findet durch die Seite immer wieder tolle Bands die man bisher nicht kannte oder übersehen hatte. Wie Evangelicals. Die kommen aus Oklahoma und machen auf ihrem Debüt So Gone den besten Psychedelic-Country-Pop den ich je gehört habe.
OK, auch den einzigen. Aber echt wunderbar wie hier so verschiedene Sounds und Genres zu elektrisierender Musik verbunden werden. Vermutlich bald auf Tour mit My Morning Jacket und den Flaming Lips und entsprechender Videoshow. Und seeligem Publikum.

[MP3] Evangelicals - Another Day
[MP3] Evangelicals - Here Comes Trouble

Evangelicals Myspace

Konzert: Carla Bozulich

Es ist Dienstag Abend, und kurz vor Anpfiff des Spiels Brasilien - Kroatien mache ich mich nach Köln-Mülheim auf. Nein, nicht um dort in einer Kneipe das Spiel zu verfolgen, heute Abend ist tatsächlich ein Konzert im dortigen mir bisher unbekannten Kulturbunker. Um 10 soll's losgehen, also mitten im Spiel. Ob da überhaupt wer hin kommt?
Aber Überraschung, im Kulturbunker, der sowohl von der Aufmachung wie auch vom extrem netten und lockeren Personal mit dem man auch mal eben eine Runde Kicker spielen kann an ein überdimensionales Jugendzentrum erinnert, wird im Konzertsaal das Spiel gezeigt. Das Konzert fängt dann eben eine Stunde später an. Auch kein Problem, dank der WM fahren so viele Sonderzüge dass ich mir um eine spätere Rückfahrt keine Sorgen zu machen brauche.

Dann, nach einem rekordverdächtig schnellen Umbau, wird zum Konzert eingelassen. Da der Saal so groß und gut ausgestattet ist kann man sich sowohl vorne auf einen Stuhl oder auf den Boden setzen, an einen Biertisch an den Seiten setzen oder stellen oder einfach mitten im Raum stehen.

Als erstes tritt die Geigerin Anni Rossi mit ihrem Soloprogramm auf. Sie nutzt ihre elektrisch verstärkte Geige nach allen Regeln der Kunst und nach denen, die außerhalb der Kunst sind, um zusammen mit ihrer quietschigen Mädchenstimme folkige Popsongs zu produzieren, die absichtlich meistens ein wenig schräg klingen. Der typische Sound von vielen Künstlern des Kanadischen Constellation-Labels eben. Als rhythmische Begleitung nutzt sie dazu ihre enorm dicken Schuhe, mit denen sie sich schlängelnd hin und her bewegt um sich vom Mikrofon zu entfernen, was einen ungewöhnlichen lautstärkeändernden Effekt mit sich bringt.

[MP3] Anni Rossi - Machine
[MP3] Anni Rossi - Safety Of Objects

Als das Publikum zum letzten Applaus ansetzt verlassen 2 Damen aus der ersten Reihe mit ihr den Saal. Wie sich kurz darauf herausstellt sind diese drei die musikalische Unterstützung von Carla Bozulich. Mit der ziehen sie dann nämlich feierlich von hinten in einer Parade in den Saal ein und marschieren zur Bühne.
Bozulich ist zwar die kleinste auf der Bühne, aber nicht nur weil sie beim Einmarsch die Trommel malträtiert hat sie eine enorm starke Bühnenpräsenz. "Von einer gefährlichen Aura umgeben" würde man als Autor von Fantasy-Groschenromanen wohl schreiben.

Und so klingt dann ihre Musik. Gefährlich. Düster. Emotional. Aufregend. Vielschichtig. Wer schon Bands des Constellation-Labels wie A Silver Mount Zion oder Black Ox Orkestar kennt, kann sich den Sound ähnlich vorstellen, nur noch eine Ecke düsterer als deren düsterste Werke. Allein schon Bozulichs fantastische Stimme erweckt die distanziert-bitteren, wütenden Texte zu eindrucksvollem Leben.
Bozulich kann schon auf eine längere Karriere, solo und mit mehreren Bands, zurückblicken, und das merkt man gut an der Vielschichtigkeit der Musik und der wechselnden Dynamik der heutigen Band. Immer mal wieder setzen einzelne Musikerinnen komplette Stücke aus, singen nur, wechseln vom Keyboard zum puren Effektgerät, oder stampfen in wieder enorm dicken Schuhen mal laut, mal leise den Takt. Und nicht nur physisch wird zu erfindungsreichen Sounds gegriffen, in einem Stück spricht Bozulich in ein Gerät, das ihre Stimme direkt auf die Gitarrenabnehmer abbildet. Auch wegen so viel technischer Aktivität auf der Bühne ist die Stimmung, obwohl die Musik düster ist, nicht wirklich bedrückend. Dafür ist die Darbietung zu direkt, zu emotional geladen. Und die Musik zu faszinierend.

Und dadurch geschieht auch das, was der Einmarsch eingeleitet hatte. Künstler und Publikum kommen sich immer näher bis sie so nahe beieinander sind dass Bozulich gegen Ende wünscht "I wish you could be up here with me". Da hätte dann auch der empfindsamste Emo-Boy keine Angst mehr gehabt.

[MP3] Carla Bozulich - How To Survive Being Hit By Lightning
Carla Bozulich - Evangelista I

Carla Bozulich Myspace

Sonic Youth - Rather Ripped

Sonic Youth - Rather RippedOb es durch den Weggang von Jim O'Rourke geschah, oder weil sie in letzter Zeit so viel von ihrem Frühmaterial anlässlich dessen Wiederveröffentlichung gehört haben, oder weil sie einfach mal wieder etwas ganz anders machen wollten als auf dem letzten Album: Sonic Youth klingen auf Rather Ripped so jung und leicht wie sie schon seit Jahren nicht mehr geklungen haben. Dabei ist das Album kein Rückschritt zum Stil von Daydream Nation oder Sister. So sehr ich auch in den letzten Tagen diese alten Alben gehört habe, den neuen SY-Stil kann ich einfach nicht klar auf eins davon beziehen.
Jedenfalls sind die Noise-Eskapaden und avantgardistischen Einflüsse der letzten Alben komplett aus dem Vordergrund verschwunden, gleichzeitig sind die Songs kürzer und vor allem im Songwriting fokussierter geworden. Sonic Youth klingen auf einmal wie die beste Indierock-Band der Mittneunziger (die sie zu der Zeit stilistisch nie waren).

Die Gitarren klingen klarer, moderner, behalten aber immer noch eine gewisse Atonalität bei die den unverkennbaren SY-Sound erzeugt. Auch das Songwriting ist weniger ausladend, sondern klar und fokussiert, geradezu poppig für SY-Verhältnisse. Die schrägen Noise-Sounds beschränken sich, genau wie Gitarrensoli, meist auf wenige Sekunden und sind gleichzeitig Brücken zwischen einzelnen Songpassagen als auch denkwürdige Einzelmomente der Songs. Mit der Souveränität einer Band, die sich von genialen Dilettanten zu genialen Routiniers entwickelt hat, bestimmen SY den Verlauf von eingängigen, aber rockigen Songs wie Incinerate oder What A Waste mit beeindruckender Minutiösität. Überhaupt, Kim Gordons eindringliche vokale Vorstellungen auf What A Waste, Turqoise Boy, Reena und The Neutral machen dies zum ersten Sonic Youth-Album auf dem ich mir mehr Kim Gordon-Songs gewünscht hätte. Und natürlich der obligatorische Lee Ranaldo-Song, Rats, ist ein souveränes Stück Musik das wieder mal die Frage aufwirft warum der Mann nicht schon längst mal ein Soloalbum gemacht hat.

Die Anordnung der Songs jedoch ist das einzige was mir nicht so ganz zusagt. Bis einem das ganze Album so gefällt dürften einige Hördurchläufe vergehen, denn praktisch alle auffälligen Songs befinden sich auf der ersten Hälfte des Albums. Jeder der Songs auf der zweiten Hälfte wäre ein gutes Schlussstück, und so ist man als Hörer nach einer Weile verwirrt dass es immer noch weitergeht und will lieber wieder die frischen Songs am Anfang hören. Aber auch die weniger spektakulären Songs haben ihre Attraktionen, was man einfach rausfindet wenn man mal die Plattennadel zu Beginn weiter zur Mitte hin ansetzt.

Die größte, zunächst unspektakulär wirkende, Sternstunde des Albums ist aber an Position 3 der Stücke Do You Believe In Rapture, auf dem die Gitarrensaiten geradezu gestreichelt und massiert werden. Dabei erzeugen sie ein nebliges Dröhnen, über die ein zartes Geklimper gelegt wird und man sich fühlt als stünde man an einer New Yorker Straßenecke an einerm warmen Herbstabend. Dort steht dann niemand Geringeres als ein gewisses Amerikanisches Staatsoberhaupt und predigt Krieg und Vernichtung. Kann er sich leisten, denn er glaubt ja eh daran dass die Welt bald untergeht und er von dem von ihm Angebeteten gerettet wird. Do you believe in rapture?

[MP3] Sonic Youth - Incinerate
[Stream] Sonic Youth - Do You Believe In Rapture?
[Stream] Sonic Youth - What A Waste

Rather Ripped wird zur Zeit auf zahlreichen Seiten gestreamt, u.a. hier, hier und hier.

Sonic Youth Myspace