Von Uli am 15. Juni 2006, 21:20
Es ist Dienstag Abend, und kurz vor Anpfiff des Spiels Brasilien - Kroatien mache ich mich nach Köln-Mülheim auf. Nein, nicht um dort in einer Kneipe das Spiel zu verfolgen, heute Abend ist tatsächlich ein Konzert im dortigen mir bisher unbekannten
Kulturbunker. Um 10 soll's losgehen, also mitten im Spiel. Ob da überhaupt wer hin kommt?
Aber Überraschung, im Kulturbunker, der sowohl von der Aufmachung wie auch vom extrem netten und lockeren Personal mit dem man auch mal eben eine Runde Kicker spielen kann an ein überdimensionales Jugendzentrum erinnert, wird im Konzertsaal das Spiel gezeigt. Das Konzert fängt dann eben eine Stunde später an. Auch kein Problem, dank der WM fahren so viele Sonderzüge dass ich mir um eine spätere Rückfahrt keine Sorgen zu machen brauche.
Dann, nach einem rekordverdächtig schnellen Umbau, wird zum Konzert eingelassen. Da der Saal so groß und gut ausgestattet ist kann man sich sowohl vorne auf einen Stuhl oder auf den Boden setzen, an einen Biertisch an den Seiten setzen oder stellen oder einfach mitten im Raum stehen.
Als erstes tritt die Geigerin
Anni Rossi mit ihrem Soloprogramm auf. Sie nutzt ihre elektrisch verstärkte Geige nach allen Regeln der Kunst und nach denen, die außerhalb der Kunst sind, um zusammen mit ihrer quietschigen Mädchenstimme folkige Popsongs zu produzieren, die absichtlich meistens ein wenig schräg klingen. Der typische Sound von vielen Künstlern des Kanadischen Constellation-Labels eben. Als rhythmische Begleitung nutzt sie dazu ihre enorm dicken Schuhe, mit denen sie sich schlängelnd hin und her bewegt um sich vom Mikrofon zu entfernen, was einen ungewöhnlichen lautstärkeändernden Effekt mit sich bringt.
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Anni Rossi -
Machine
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Anni Rossi -
Safety Of Objects
Als das Publikum zum letzten Applaus ansetzt verlassen 2 Damen aus der ersten Reihe mit ihr den Saal. Wie sich kurz darauf herausstellt sind diese drei die musikalische Unterstützung von
Carla Bozulich. Mit der ziehen sie dann nämlich feierlich von hinten in einer Parade in den Saal ein und marschieren zur Bühne.
Bozulich ist zwar die kleinste auf der Bühne, aber nicht nur weil sie beim Einmarsch die Trommel malträtiert hat sie eine enorm starke Bühnenpräsenz. "Von einer gefährlichen Aura umgeben" würde man als Autor von Fantasy-Groschenromanen wohl schreiben.
Und so klingt dann ihre Musik. Gefährlich. Düster. Emotional. Aufregend. Vielschichtig. Wer schon Bands des Constellation-Labels wie
A Silver Mount Zion oder
Black Ox Orkestar kennt, kann sich den Sound ähnlich vorstellen, nur noch eine Ecke düsterer als deren düsterste Werke. Allein schon Bozulichs fantastische Stimme erweckt die distanziert-bitteren, wütenden Texte zu eindrucksvollem Leben.
Bozulich kann schon auf eine längere Karriere, solo und mit mehreren Bands, zurückblicken, und das merkt man gut an der Vielschichtigkeit der Musik und der wechselnden Dynamik der heutigen Band. Immer mal wieder setzen einzelne Musikerinnen komplette Stücke aus, singen nur, wechseln vom Keyboard zum puren Effektgerät, oder stampfen in wieder enorm dicken Schuhen mal laut, mal leise den Takt. Und nicht nur physisch wird zu erfindungsreichen Sounds gegriffen, in einem Stück spricht Bozulich in ein Gerät, das ihre Stimme direkt auf die Gitarrenabnehmer abbildet. Auch wegen so viel technischer Aktivität auf der Bühne ist die Stimmung, obwohl die Musik düster ist, nicht wirklich bedrückend. Dafür ist die Darbietung zu direkt, zu emotional geladen. Und die Musik zu faszinierend.
Und dadurch geschieht auch das, was der Einmarsch eingeleitet hatte. Künstler und Publikum kommen sich immer näher bis sie so nahe beieinander sind dass Bozulich gegen Ende wünscht "I wish you could be up here with me". Da hätte dann auch der empfindsamste Emo-Boy keine Angst mehr gehabt.
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Carla Bozulich -
How To Survive Being Hit By Lightning
Carla Bozulich -
Evangelista I
Carla Bozulich Myspace