Video: Wolf Parade - Yulia



Ach nun, wo es schon einen konkretesten Anlass gibt werde ich wohl kaum drum herum kommen zu erzählen, wo ich letztes Wochenende war. Nachdem nun schon zum zweiten Mal (RIP never forget Sleater-Kinney-Tour 2005) ein Köln-Konzert von Wolf Parade abgesagt wurde und so schnell nicht mehr mit einem erneuten Besuch zu rechnen war, bin ich dann halt nach Berlin gepilgert wo die Kanadier die Hauptattraktion einer Clubnacht darstellten. Weil man für diese Band sowas eben macht.

Nach einem amüsanten Trip (einen kulissenhafter wirkenden Stadtanbau als Bielefeld hat wohl kein Bahnhof), auf dem das Wetter schlechter und die Menschen unangenehmer wurden je näher es dem Ziel entgegen ging, fand ich mich dann in den verwirrenderweise miteinander verbundenen Clubs Magnet und Comet wieder. Erste prägende Eindrücke: Ein prominent hinter der Bar hängendes "Keine illegalen Drogen!"-Schild, etwas beunruhigend da der Club nach dem was ich vorher gelesen hatte ansonsten eher ein sehr junges Publikum anziehen sollte, und eine mir bis zum Bauch reichende Frau die schnurstracks vom verregneten Eingang zur Theke marschierte um dort 3 aufgereihte Shots zu exen. Ob mit oder ohne Aufputschmittel, das dortige Publikum zeigt sich so leicht begeisterungsfähig (und allgemein auch was kontaktintensiver - wenn dort wer an mir vorbei wollte, wurde ich irgendwie immer gleich halb umarmt), wie man es als Kölner kaum gewöhnt ist.

Das wirkte anfangs sehr sympathisch, wie da eine Band wie Earl Greyhound, die ich nur aus Werbemails kannte, enthusiastisch bei ihrem ersten Deutschlandauftritt bejubelt wurde. Auch wenn sie mir ne Spur zu routiniert und mit dem Ashton-Kutcher-Verschnitt an der Gitarre fast schon gecastet wirkend runterrockten dass der Groovefunken nicht so recht überspringen wollte... aber lange sollte dies der beste Auftritt des Abends bleiben. Es folgte nämlich ein schmieriges Quartett, dessen irgendwo zwischen drittklassigen Hives und vierklassigen Hellacopters rangierender Schweinerock der Rezeption nach dort wohl Kult oder sowas zu sein schien. Lieber gab ich mir da die nebenan spielenden Indiepopper, die gefolgt wurden von Menschen die nicht nur wie Interpols Stuntdoubles wirkten, sondern, na klar, prompt auch eine abgehalfterte Ian-Curtis-Impersonierung ablieferten.

Langsam musste ich aber rüber in den anderen Raum, wo erstmal der ganz große Horror die Bühne betrat: Eine Truppe total flippiger und partylustiger Isländer, die nicht nur auf mich wie ein Billigverschnitt von - ausgerechnet! - frühen Wolf Parade wirkten. Was irgendwie die Leute vor der Bühne nicht daran hinderte, schweißtriefend dazu abzugehen und mich endgültig an der Menschheit zweifeln ließ. Wer waren diese Menschen, die davon ebenso körperlich motivierbar waren wie zum in den Pausen gespielten Billiglectro und Nu-Metal(!) - beides ziemlich unpassende Musikauswahl an diesem Abend. Hatten sie noch nie zuvor Musik gehört? Oder tanzten sie prinzipiell zu absolut allem, was irgendwie betanzbar war? Wuchs vor meinen Augen die geschmacksbefreite Spaßgesellschaft 2.0 heran? Oder lag es an mir, war mir die Zugfahrt einfach nicht bekommen? Mein Rücken drückte allmählich vom vielen Rumstehen nach dem vielen Sitzen. Vielleicht schlug das auch auf meine Stimmung, vielleicht würde selbst das was folgen sollte mich nicht mitreißen können.

Aber nein. Dann kam die Erlösung, die all die Strapazen wert gewesen war, nach einem Song und damit einhergehender Bewegung war alle negative Energie über den Ural geblasen. Zwar hatte das Quartett nicht seinen besten Abend, schien nicht sonderlich von einer der skandinavischen Vorbands begeistert gewesen zu sein und verspielte sich zwei, dreimal, was aber auch damit zusammen hängen dürfte dass die Monitore nicht funktionierten. Trotzdem war der Raum bald proppevoll, so dass vor dem Eingang noch eine extra Menschenschleuse eingerichtet werden musste, und wogte die Masse spätestens nach dem Doppelhammer aus This Heart's On Fire und I'll Believe In Anything immer wieder nach vorne in einer Begeisterung, deren Ausmaß aufgrund alles Vorhergegangenen allerdings nur schwer einzuschätzen war.

Nach drei Alben und demnächst auch drei EPs können sich die Kanadier mittlerweile ein Set leisten, das quer durch ihre Diskographie geht und bei dem man trotzdem vermutlich irgend einen Song vermissen wird (in meinem Fall war dies Cave-O-Sapien!). Live intensivierten sich unter blitzender Lightshow die verschiedenen Elemente ihrer selten bei einem davon verbleibenden Stücke, die straighten Rockpassagen rockten heftiger, instrumentale Zwischenreisen mäanderten mehr, discoig anmutende Tanzpassagen pumpten farbenfroher. Vor allem dank des vermehrten Einsatz von Synths, neben ihren Saiteninstrumenten stand sowohl Dante DeCaro als auch Dan Boeckner mittlerweile mindestens einer davon zur Seite.

Letzterer spielte das Tasteninstrument natürlich nicht so voller unruhiger Energie wie seine Gitarre, deren Griffbrett er würgte während sich ein nervöses Schütteln durch seinen ganzen Körper zog. Da die Band zuvor schnell eigenhändig die Bühne umgebaut hatte, schwitzte Spencer Krug, trotz persönlichen Ventilators im Rücken, diesmal sogar schon bevor der erste Ton gespielt wurde. Trotzdem balancierte er ohne Ausrutscher seinen nur sporadisch zum Sitzen genutzten Hocker mit Knie und Fuß wippend in seiner bei Rückenärzten Besorgnis erweckenden, über Keyboards gebückten Haltung, akzentuierte gleichzeitig immer wieder wie ein Lagerfeuernarrateur seine Gesangspassagen mit Gesten vor seinem langen, gewundenen Haar. Allzu viel Gelegenheit bekam er dazu aber nicht, denn Wolf Parade spielten ihr ruhigstes Material an diesem Abend nicht. Sie waren gekommen, um mal wieder zu beweisen was sie sind: Die beste verdammte Liverockband der Gegenwart.

[Video] Wolf Parade - Yulia