Mai 2014: Ben Frost, Especia, Fatima, Full Ugly, Hundred Waters, Sharon Van Etten



Ben Frost - A U R O R A
 

Die leisesten Momente kann es durchaus auf einem der lautesten Alben des Jahres geben - wenn es denn so einen luxuriös großen Dynamikumfang besitzt wie dieses. Ich muss bei A U R O R A die Anlage schon ordentlich hochdrehen, bevor überhaupt die weniger auffälligen Sounds des Albums voll gerundet wahrnehmbar werden, doch Frost ist ein Meister des Sounddesigns und so werden bei entsprechender Lautstärke auch die massiven gewaltigen Lärmeruptionen nicht unerträglich. Da gibt's dann erst die volle Wirkung des Wummerbass-Herzschlags, klappernder Stockperkussionen, Sirren und Glockenläuten, Blast-Beats und einer Neonmelodie inmitten der verfiepten Kakophonie. Nicht dass das eine Überhand nimmt macht die titanische Dimension dieses Albums aus, sondern dass Laut und Leise einander in Wechselwirkung zu mehr Tiefe verhelfen.

 


Especia - Gusto
 

Den Zickzack der kulturellen Aneignung von Especias Vaporwave-Pop muss man zum Glück gar nicht erst zu durchblicken versuchen, um reichlich Gefallen an Gusto zu finden: Deutlich über Karaoke-Niveau, doch mehr auf Lebhaftigkeit denn Perfektion ausgelegt sind die Vocals der umso glatter-geschmeidigeren Disco/Funk/Jazz/Soul-Hybride, die ohne Scheu vor professionell furiosen Saxophon-Soli und kantigen Synth-Extremitäten übersommerlich dahingrooven. Hauptsache, dass dabei auch die Melodien abwechselnd cool und uncool sind. [MEHR]

 


Fatima - Yellow Memories
 

Wie so manches ist mir bei der Musikauffassung hierzulande das Verständnis von R&B fremd, das alles daran zu setzen scheint, nur die milchbrotigsten Auswüchse als hörenswert zu präsentieren. Tanzbar darf es nicht sein, zu stimmkräftig und poppig irgendwie auch nicht und wenn's dann mal besonders subtil und fein wird, ordnet man's lieber und Soul oder noch woanders ab. So tourten Fatima oder Bilal hierzulande vor allem durch Jazzclubs und -festivals, womit sie nicht so selbstverständlich als Teil des großen bunten R&B-Spektrums wahrgenommen werden wie in den USA. Dabei besitzt schon allein das Debüt Yellow Memories der Schwedin eine bemerkenswerte Klangspannweite, die vom satt orchestral instrumentierten Eröffnungsstück bis in Kollaborationen mit Londoner Untergrund-Beatschauflern geht und dabei immer im mannigfaltigen Groove bleibt. [MEHR]

 


Full Ugly - Spent The Afternoon
 

Full Ugly lassen sich mehr Zeit als die meisten anderen. Ihr Debüt nahm die Band um Nathan Burgess bereits 2011 auf, seitdem zog Gitarrist Michael Caterer nach Brooklyn, veröffentlichte dort als Mitglied von Scott & Charlene’s Wedding ein Album und debütierte auch mit seinem eigenen Bandprojekt Shorts, noch bevor Spent The Afternoon das Licht der Welt erblickte. Es passt aber auch zu einem Album, das sich in Songs wie Mt Barker, Hanging Around oder No Plans mit emotionalem Bleigewicht am Bein dahinschleppt. Clevererweise haben sich die Melbourner die flotteren – wobei “flott” wirklich ein relativer Begriff ist – Songs für die zweite Hälfte des Albums aufgehoben, so dass ihm selbst bei den gemütlichsten Hooks nie ganz die Puste ausgeht. Ein Hoch auf das Flanieren!

 


Hundred Waters - The Moon Rang Like A Bell
 

Wenig ist doofer als wenn sich Jahrzehnte nach Kraftwerk immer noch einer Rhetorik von wegen "zeitgemäß dank Elektronik" um Bands bemüht wird, die dann nichts Neues oder vor allem Eigenes machen. Hundred Waters sind eine nach dem Kriterium wohl irgendwie moderne Band, die aber auf ihrem zweiten Album auch etwas aus ihren Möglichkeiten macht: Völlig eigen wirkt mitunter schon die Soundkonstellation, die sie erzeugen, aber nicht um der Neuheit willen sondern um ihre spezielle Form von Leichtigkeit zu vermitteln. Über Distanzen, Echo, Texturen, Formen und Farben evozieren sie diese weichen und doch fundierten Stimmungen, voller perlender Melodien und rhythmischer Komplexitäten und zielbewusster Dynamiken können ihre Songs gänzlich sublim bleiben oder ganz unerwartet himmelhochjauchzende Prächtigkeit offenbaren. In der Regel aber ist ihr Traumpop einer (und darum auch schwerer zu greifender), der sich mehr über Zustände als über Songmomente oder Entwicklungen mitteilt.

 


Sharon Van Etten - Are We There
 

Schockschwerenot, ich habe mir ein Folk(iges)-Album gekauft? Nuja, auch wenn ich des öfteren über alte Bärte mit Gitarre witzele ist es nicht so, als hätte ich prinzipiell was gegen bestimmte Ausbildungen der songlichen Erzählung, nur gibt es halt extremst selten ein Album, das ich lieber hören würde als Musik anderer Machart. Are We There ist so in mindestens einer Hinsicht ein Ausnahmealbum. Unverblümt hängen die Worte an einer Stimme, die dafür die Tragkraft besitzt und auch dafür, um mit dem gleichermaßen emotionalen Gewicht der Melodien und Arrangements an einem Strang zu ziehen, bis beide in ihrer Wirkung untrennbar werden. Sicher können diese Songs auch in roher Akustikform weiter fein sein, aber Sharon Van Etten bringt alles so denkwürdig zusammen, dass ich dafür einfach keinen Bedarf habe.