März 2014: The Caution Children, Johnny Foreigner, Kevin Gates, La Dispute, Linda Perhacs, Magic Touch, Manchester Orchestra, Perfect Pussy, Psalm Zero, Sports, Tony Molina, White Hinterland, The War On Drugs



The Caution Children - Safe Crusades / No Judgements / And Baby
 

Na bei dieser 6-Wochen-Frequenz schaff ich den Dezember-2014-Eintrag ja locker vor Ende nächsten Jahres! Apropos Frequenz (das war eine gute Überleitung), den hochfrequenten Tremolo-Anschlag nutzen The Caution Children aus Florida für ihren wolkig texturierten Screamo, der sich fast schon zu formelhaft in druckvollen Wellen ergießt und in ambient-sanfte Passagen abebbt. Neben den fast schon Envy-hysterischen Shouts und gelungenen Melodien wurden diese aber überzeugend ungestelzt von Produzent Jack Shirley eingefangen, der sowohl für Sunbather verantwortlich zeichnete wie auch für viele Platten des dreampop-tendenziellen New Yorker Indierock-Labels Captured Tracks. Passend dazu: Das für dieses Genre ungewöhnlich bunt-stylische Artwork.

 


Johnny Foreigner - You Can Do Better
 

Egal was sie machen, ob sie nun zu dritt, zu viert oder vielleicht irgendwann mal zu zehnt sind, Johnny Foreigner haben einen unverkennbaren Stil und Klang, den sie wohl auch dann noch behalten würden, wenn sie ein Album Song für Song zwischen Dave Fridmann und Steve Albini wechselnd aufnähmen. Ihr Sound ist gewissermaßen mit amerikanischem Emo/Pop-Punk verwandt, aber auf eine sehr eigene Art dicht und überdreht. Ob sie diese Fähigkeit zum Sich-selbst-Überschlagen nun voll ausspielen oder sich selbst aufs Wesentlichste runterbrechen, läuft's wie die Vergangenheit zeigte dann vor allem darauf hinaus, ob sie eine gute Songidee haben. Wenn nicht, kann das ebenso in ziellosem Wüten wie übermäßiger Monotonie enden, aber auf ihrem vierten Album passiert eben das nicht. Inspiriert und mit dem gesammelten Können, diese Inspiration auszureizen, reihen sie sich neben Sky Larkin und Slow Club in die Gruppe exzellenter britischer Bands ein, die in der dortigen Wüstendimension zwischen "noch nie ein richtig großer Hype" und "nie gänzlich unbekannt" zu einem Zeitpunkt ignoriert werden, wo sie endlich ihre stärksten Werke schaffen.

 


Kevin Gates - By Any Means
 

Sagenhafter Flow, sagenhafte Stimme und ein Gefühl dafür, sie bei jeder Gelegenheit anders angepasst einzusetzen: Wenn Kevin Gates das ungemütliche Treiben auf der Straße beobachtet, wird er konzentriert und eindringlich, wenn er sein Ego auf ner Party auslebt sprung- und lebhaft und wenn er sich selbst verwundbar oder konfessionell zeigen will, so bricht und knackst die Heiserkeit in seinem Tonfall mit gekonnter Effektivität. Vor allem aber schafft er es, zwischen den unterschiedlichen Ansätzen auch über die einstündige Dauer seines dritten Albums nicht nur stimmig zu bleiben, sondern einen auch ungemein mitreißend bei der Stange zu halten. Wenn ich einen Rapper nennen müsste, dem ich auch weiterhin zwei starke Alben pro Jahr zutrauen würde, dann wär das Gates.

 


La Dispute - Rooms Of The House
 

Wer das letzte Album von La Dispute zu leicht zugänglich und zu lebenslustig fand, durfte sich im März freuen. Rooms Of The House ist tatsächlich noch spröder, noch grauer verhangen, noch weiter entfernt von Post-Hardcore mit Festfaktor. Wenn Songs wie For Mayor In Splitsville die Strukturen vertrauter Rock-Hymnik mit Moll-Verschiebung und Jordan Dreyers speiender Bauchstimme in La Disputes Welt ziehen, so ist es zunächst irritierend, bis man sich mit etwas oder auch einiger Geduld in Rooms Of The House eingelebt hat. Danach: Langfristig packend und verstörend.

 


Linda Perhacs - The Soul Of All Natural Things
 

Mehr als 40 Jahre nach dem zwischendurch wiederentdeckten und wiederveröffentlichten Parallelograms ist das Klangbild von Perhacs’ trügerisch leicht dahingleitenden Songs in sanft raunende Synths gebettet astraler geworden, mitunter sogar von Perkussion durchzogen, die jedoch nicht von Perhacs’ fein gestrickten Melodieläufen ablenkt, höchstens mal in Intensity titelgemäß einen verdichteten Taumel bewirken. Offenherzige Musik von oberflächlicher Schönheit, die mit zahllosen Nuancen aber auch langfristige Faszination erwirkt.

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Magic Touch - Palermo House Gang
 

Ein übermäßig breitgetretener Hype wird mal wieder dann fruchtbar, wenn die meisten schon längst weiter gezogen sind. 100% Silk begann als das Dance-Seitenlabel von Not Not Fun und da sich bekannte Gesichter aus dem Umkreis der Labelköpfe dort neben Neuentdeckungen und dem allgemeinen Exodus alter Noiseheads in die Housewelt ausbreiteten, stellte sich bald der gleiche hohe Ausstoß bei laxer Qualitätskontrolle wie schon bei Not Not Fun ein. Für eine rundum gelungene Veröffentlichung schon zu medialen Hochzeiten des Hipster-House-Hypes hatte aber Magic Touch alias Damon Palermo alias Mr. Achtarm bei Mi Ami (als Mi Ami noch Drums benutzten) gesorgt, was er mit seinem Debütalbum fortsetzt. Die perkussive Wirkung des Pianoanschlags flechtet Palermo ebenso effektiv in seine trügerisch komplexen, aber letztendlich körperanimierenden Beatmuster ein wie die Vocals seiner Gäste aus dem musikalischen Freundeskreis, die eben immer mittendrin im Geschehen sind.

 


Manchester Orchestra - Cope
 

Go big or go home. Oder: Wenn man etwas machen will, dann soll man's auch konsequent aufziehen. Manch eine Band mit Gitarre in der Hand schielt noch nach der Arena, nach dem Rockalbum als buchstäblich großes Ding, doch irgendwo kommt dann atmosphärisches Gesiffel dazwischen, coole Ableton-Experimente, dröger Goth-Pathos oder die zwei Songs, die auch dieses ganz aktuelle Thema Disco aufgreifen. Fuck that, Manchester Orchestra haben sich für Cope mit einem Lastwagen voll Effektgeräten und mehr Gitarren, als sie tatsächlich live spielen können eingedeckt und Songs auf Tonträger gebannt, die groß, größer und größerst klingen. Nicht weniger, dafür noch ein bisschen mehr. Wer das zu laut findet, kann ja in den Keller gehen.

 


Perfect Pussy - Say Yes To Love
 

Nach dem Ende von Shoppers hatte ich alle paar Monate nach Meredith Graves gegoogelt, immer in der Hoffnung, dass sie ihre kreativen Energien nicht nur in Vintage-Kleidung, sondern auch wieder in Musik stecken würde. Und tatsächlich, mit der etwas anderen Banddynamik, aber dem wenig anders klingenden und wirkenden Sound scheinen Perfect Pussy auf eine etwas längerfristig stabile Zukunft ausgerichtet. Das innerhalb einer Woche entstandene Debütalbum des Quintetts denkt noch nicht alle seine Ansätze zu Ende und steht insgesamt ein Stück hinter der EP zurück, hat aber genug inhaltliche Überzeugung, selbst wenn man um sie auszumachen die Lyrics gedruckt sehen muss. [MEHR]

 


Psalm Zero - The Drain
 

Charlie Looker war bislang vor allem für sein Werk mit Extra Life bekannt, doch seine markant gequetscht-belegte Stimme überträgt sich erstaunlich passend auf die noch weniger Ruhepole bietende Industrial-Wucht, die er mit Andrew Hock (Castevet) als Psalm Zero heraufbeschwört. Die mechanische Stoik der kräftig wetzenden Drum Machine, neben der die beiden mit Bass, Gitarre und gelegentlich Synthesizer agieren, intensiviert nur die Fabrikhallen-Ästhetik von „The Drain“. Sein Sound hallt so weit und ohne atmosphärische Texturen zugleich so kalt nach, dass aber auch klar ist, dass Psalm Zero in dieser Halle ganz alleine sind mit sich und ihrer Fleischlichkeit. Looker und mit kürzeren, heiseren Schreiausstößen auch Hock schneiden sich nicht nur in ihren Texten voller Splitter und Brandwunden ins eigene Fleisch, ihre Songs sind wie das Zerrbild einer glückseligen Welt. Psalm Zeros Mittel ist jedoch nicht viszerale Intensität und Aggression. [MEHR]

 


Sport - Bon Voyage
 

Die indierockige Post-Hardcore-Band aus Lyon führt manches ad absurdum. Vor allem die strenge Einhaltung eines Konzeptes: Der Name der Band ist Sport, ihre Songs tragen allesamt den Namen von SportlerInnen oder im Entfernten wettbewerblich orientierten Personen (Charles Lindbergh), doch inhaltlich ist von einem kompetitiven Ernst wenig zu spüren. Thematisch orientiert sich Bon Voyage dafür am Albumtitel, sehnt sich in Songs voller kleiner Twinkle-Gitarrenschnörkel nach der Ferne, schwärmt davon oder flüchtet nur so dahin, weil zu Hause weniger als nichts ist. Passenderweise untergraben Sport auch die Idee des Labels als exklusive, feste Heimat: Die 23 Labels aus fast genauso vielen Ländern, auf denen das Album erschienen ist, sind mehr wie freundliche Herbergen auf einer großen Rundreise um die Welt als eine feste Residenz fürs Leben.

 


Tony Molina - Dissed And Dismissed
 

Da dachte ich eigentlich letztes Jahr, ich hätte mir noch rechtzeitig ein Exemplar von Tony Molinas ultrakompaktem Debüt gesichtert, doch irgendwo zwischen der US-Westküste und hier ist das Paket wohl von tollwütigen Indierock-Geiern abgegriffen worden. Zum Glück aber erweckte er damit das Interesse und die Aufmerksamkeit von Slumberland Records, das die LP auch gleich international neu rausbrachte - zeitlos sind die zwölf goldigen Songs darauf ohnehin. [MEHR]

 


White Hinterland - Baby
 

Casey Dienel hat eine soulige Stimme. Eine formidable Songwriterin ist sie auch, multiinstrumental versiert obendrein, doch ausschlaggebend für Baby ist, dass sie all das in Eigenproduktion nicht bloß im dokumentarischen Sinne aufnimmt, sondern wechselwirkend synthetisiert. Hier bereitet sie dem Bassgroove einen satten Echoraum, dort kippt die Miniorgel zum Songklimax in Lo-Fi-Übersteuerung, bis sich ein Kabal aus verflochtenen Gesangsträngen glasklar jubilierend erhebt oder das Kristallpiano auf rückwärts abgespielte Samples mit überlappenden Oszillationsflächen antwortet. Der Aggregatzustand des Klanges ist hier mit der selben Wichtigkeit belegt wie die Note, die er trifft und das Instrument, von dem er ausgeht. Das ist sicher auch bei anderer, wenn nicht sogar aller Musik so, aber wenn Pop so kunstvoll arrangiert ist wie dieser, erscheint es geradezu offensichtlich.

 


The War On Drugs - Lost In The Dream
 

Hand aufs Herz, ich war nie der größte Fan der Band. Adam Granduciel mochte ich vor allem dann, wenn er einen fundierten, mit motorischer Stoik vorantuckernden Beat mit gezielten Traumriff-Harmonien ritt, die so gefühlt in alle Ewigkeit weiterfahren konnten. Nirgendwo gelang ihm das von Experimentalabfall entlastet so gut wie in Baby Missiles, bis ... nun ja, bis er aus eben diesem Rezept mal eben ein ganzes Album strickte. Das ist Springsteen, Young, Petty, das ist Softrock, das ist nicht revolutionär und im Kern mehrmals der gleiche Song und all dass ist schnurzpiepegal, weil Granduciel dieses eine Ding, das er so gut beherrscht, ein ums andere Mal einfach grandios durchzieht, bis er selbst auch in seiner eigenen Musik aufgeht.