75 aus 2012 (Teil 7)

(Teil 1) (Teil 2) (Teil 3) (Teil 4) (Teil 5) (Teil 6)

Platz 10
Ke$ha - Warrior (Deluxe Edition)

Der goldene Dreier für eine gute Rockplatte: Performance, Hooks und Produktion. Das ganz große Cock-Rock-Album, das Ke$ha schon im ersten Interview auf das ich 2010 stieß androhte, ist Warrior nun nicht geworden - und vielleicht sogar interessanter deswegen. Sicher, Only Wanna Dance With You ist der beste Strokes-Song seit deren Debüt und Dirty Loves Glam lässt Iggy Pop überraschend gut dastehen, Gold Trans Am ist so frivol wie es Aerosmith irgendwann einmal angeblich waren. Doch zeigt sich umso deutlicher, dass Ke$ha diese Musik eigentlich schon immer in anderem Gewand gemacht hat, wenn Thinking Of You unter digitalem Sägezahngepolter in seinen Refrain rauscht und aggressive Gitarren von aggressiver Stimmverfremdung gefolgt werden, wenn ein Benny-Blanco-Studiobeat von einer Schlagzeugdarbietung vom Black-Keys-Typen gefolgt wird und Wayne Coyne im einen, Bonnie McKee im anderen Song Vocals beisteuert. Bereits mit den Credits dieses Albums kann man mehr Spaß haben als mit 99% aller Popmusik 2012.

[Spotify] Ke$ha - Warrior (Deluxe Version)

Platz 9
Merchandise - Children Of Desire

Melodien zu erkennen, ist für Computer Pipikacke - das kann heute schon jedes zweite Handy. Auch deren Harmonien hinsichtlich emotionaler Wirkung zu untersuchen, ist durchaus machbar, vielleicht werden sich irgendwann auch mal jene Soundstrukturen auf ihre Wirkung analysieren lassen, die beim Hören vor allem als Texturen wahrgenommen werden. Jedoch würde selbst die umfassendste algorithmische Signalverarbeitung daran scheitern, zu erklären, warum dieses Album so einen besonderen Reiz ausstrahlt. Auch ein Hinzuziehen meines Psychogramms, das aufzeigte, wie sehr ich für Alben zu haben bin die so enden wie sie anfangen, würde nicht ausreichen. Ich kann selbst nicht sagen, wieviel weniger mir dieses Album bedeuten würde ohne seinen Begleittext, der die emotionalen Andeutungen der Songtexte in eine fragmentarischen Dokumentation eines Depressionsanfalls expandiert. Und selbst damit vermag ich dieses Album nicht mal annähernd zu greifen. Es ist zu groß, so unscheinbar sein gothig-gaziger Punk-Pop auch wirkt, als dass ich mir ein permanentes Wirkungsbild von ihm machen könnte wie von so vielen anderen Alben.

[Spotify] Merchandise - Children Of Desire

Platz 8
Dirty Projectors - Swing Lo Magellan

Der (sicher nicht als solcher gemeinte) Shoutout an Guillemots in einem der Songtexte ist ziemlich passend, ist Swing Lo Magellan doch ein Album mit ähnlichen Qualitäten geworden. Zwar ist es garantiert kein Produkt lockerer Improvisation - dafür ist Dave Longstreth ein zu großer Kontrollfreak - aber nicht nur mit eingefangenem Studiodialog seiner Vokalistinnen strahlen die streng komponierten Gitarrenbewegungen zu wohlig wummernden Bassläufen eine lebenslustige Verspieltheit aus. Ja, super Songs, super Melodien und so, eigentlich aber will ich nur 100mal schreiben, wir irre verdammt gut dieses Album klingt, wie sein Sound so wundervoll eingefangen ist und sicher nicht nur auf Vinyl, aber eben ganz sicher da so sagenhaft gut klingend wiedergegeben wird, dass es ein einziges großes Herzensschwärmen entlockt.

[Spotify] Dirty Projectors - Swing Lo Magellan

Platz 7
School Of Seven Bells - Ghostory / Put Your Sad Down / Diverses

Im Einzelnen würden School Of Seven Bells' diesjährige Veröffentlichungen im oberen Mittelfeld dieser Liste rangieren. Zusammengenommen jedoch verlieren sie an Verstreutheit, zeichnen mit genug Material für ein dickes Doppelalbum das Porträt einer enorm facettenreich gewordenen Band. Da sind ihre Cover (Radioheads Subterranean Homesick Alien, Lil Waynes How To Love, Silver Apples' Lovefingers und Siouxsie & The Banshees' Kiss Them For Me), die sich zugleich als Einflüsse auf ihre eigene Musik ausmachen lassen und vielleicht deswegen ohne Kenntnis der Originale glatt für ihre eigenen Songs gehalten werden könnten. Und da sind die B-Seiten und die Put Your Sad Down-EP, welche die Dronerock-, Industrial-, Synthpop- und Dance-Dehnbarkeit des Ghostory-Sounds vertiefen - allein zwischen dem episch glitch-gazigen EP-Titelstück und dem irgendwo zwischen New Order und Gui Borattos Beautiful Life schwelgenden Faded Heart weiß ich schon nicht, ob die Anzahl der Unterschiede oder die der Gemeinsamkeiten zwischen beiden sagenhafter ist.

[Spotify] School Of Seven Bells - Ghostory
[Stream] School Of Seven Bells - Put Your Sad Down

Platz 6
Dawn Richard - Armor On / Whiteout

Armor On ist nur eine EP, nur ein Prolog auf eine im Januar startende Albumtrilogie, nur eine erste Einführung in die Klangwelt von Dawn Richard - was nichts daran ändert, dass sie durchdachter sequenziert, ambitionierter im Stil und doch schlüssiger in ihrer Exekution ist als so viele Alben. Ob im bollernden Southern-Hiphop, Breakbeats, House oder klassischer Reduktion, stets strahlt Richards R&B-Vision über göttlichen Drums eine stimmliche Erhabenheit aus, deren kunstvoll geschichtete Gesangs-Sphären nie die emotionale Kraft hintenan stehen lassen. Da wirkt es fast schon angeberisch, dem noch eine weitere EP kurz vor Jahresende folgen zu lassen, die zwar schon eher eine lose Songsammlung darstellt, aber in ihrer winterlichen Ätherik noch weiter fernab von R&B-Konventionen wandert.

[Spotify] Dawn Richard - Armor On / Whiteout

Platz 5
Criminal Code - Cold Thought / Hollowed / Sacred Hands

Als hätte sie's so geplant, brachte die Band aus Tacoma in der zweiten Jahreshälfte eine sieben, eine drei Songs starke EP und eine Single heraus, die sich in genau dieser Reihenfolge zu einem grandiosen Punkalbum aneinanderreihen lassen. Mehr als ein bisschen apokalyptisch gestimmt rauschen Criminal Code weniger selbst durch diese Songs als dass ihre Songs selbst rauschen, die leichte Probekellerqualität der Aufnahme kombiniert sich mit dem metallen gleißenden Verzerrerklang zu einem energetisch zerfetzten Sound, der an sich schon fabelhaft genug wäre - ein furioser Drummer verleiht den Hüsker-Dü-ig powergleitenden Riffs und melodiearm gebellten Vocals aber genug Antriebskraft, um dieses imaginäre Album zum mitreißendsten des Jahres zu machen.

[Spotify] Criminal Code - Cold Thought / Hollowed / Sacred Hands

Platz 4
Julia Holter - Ekstasis

Es ist einerseits etwas seltsam, wenn eine, deren Schaffen man seit mehreren Jahren folgt, für andere wie aus dem Nichts erscheint - doch konnte ich ja auch nur hoffen, dass Julia Holter einmal so etwas wie Tragedy und Ekstasis schaffen würde. Zwischendurch schien sie mal mehr am Tonexperiment und -einfangen als solche interessiert, mal an nur halb ausformuliertem Pop, doch mehr noch als zuvor schafft Holter auf Ekstasis die Bündelung und sinnvolle Synthese ihrer Interessen, schafft ätherischen Pop mit der wendungsvollen Unvorhersehbarkeit von Avant-Kram und schafft Soundscapes auf Ohrwurmkurs, so kunstvoll wie eingängig andersweltlich.

[Spotify] Julia Holter - Ekstasis

Platz 3
Animal Collective - Centipede Hz / Honeycomb/Gotham / Crimson

Merriweather Post Pavilion war in der Hinsicht ohnehin etwas überschätzt - die Erstaufführung seiner Songs führte, lange vor dem Hype, noch zu merklichem Schwund unvorbereiteter Besucher ihres Konzertes -, doch dass es auf längere Zeit die am leichtesten zugängliche Animal-Collective-Platte bleiben würde, war eigentlich auch abzusehen. Nur entgingen ODDSAC und Transverse Temporal Gyrus wohl denjenigen, die nur der Narrative eines regulären Albumoutputs folgen und somit auch die Rückkehr des Quartetts zu offensiver Schrägheit. Honeycomb und Gotham waren die Einstimmung auf und Crimson der Nachschlag von Centipede Hzs fritierter Psych-Welt voller Blubber, Pliep und Plopp, deren hyperaktives Perkussionsrollen und stimmlich ungeschönten Avey Tare verständlicherweise nicht alle attraktiv finden. Ich präferierte aber schon immer den nervigen Avey dem bekifften Panda gegenüber und brauchte irgendwie auch nicht lange, um mich in dieses klanggewordene Heidewitzka einzuhören. Mit weniger professioneller Produktion wäre es sicher ein unhörbarer Matsch geworden, doch in aller Klarheit wird so aus der Wechselwirkung von zufällig wirkender Überaktivität, basskinetischer Rhythmik und so gerade genug ausformulierten, meist delikat warmen Melodien eine abgetrippte Gesamtwirkung erzielt, die mich 50 Minuten im Sitzen auf und ab hüpfen lässt.

[Spotify] Animal Collective - Centipede Hz /
Honeycomb/Gotham / Crimson

Platz 2
Miguel - Art Dealer Chic Vol. 1-3 / Kaleidoscope Dream

Fast schon vergessen kann man über Kaleidoscope Dream Miguels exzellente EP-Serie zu Jahresbeginn. Das wäre gerechtfertigt, hätte er alle Highlights daraus für sein Album extrahiert und nur halbgare Versuche wie Broads zurückgelassen, doch es wäre eine Schande, würden Gravity, ...ALL und Ooh Aah in Vergessenheit geraten, die vor allem von Miguels Prince-verbundenem Weltraumblick zeugen. Das Album hätten sie wohl zu sehr in eine Richtung gezogen, soll es doch seinem Titel folgen, noch mehr aber zeugt Kaleidoscope Dream vom vokalen Charakter Miguels: In den Händen anderer könnte der Text von Do You... ungelenk rüberkommen, könnte Pussy Is Mines Gratwanderung zwischen Forderung und eigener Verzweiflung leicht ins Misogyne kippen und anderswo verbale Lustausdrücke und -brüche billig wirken. Dass Miguel im Arrangieren seiner multiplizierten Stimme brilliert, muss wohl nicht mehr erwähnt werden - oder hat etwa irgendwer den Song des Jahres, das sowohl EPs wie Album eröffnende Adorn, noch nicht gehört?

[Spotify] Miguel - Kaleidoscope Dream
[Stream] Miguel - Art Dealer Chic

Platz 1
DJ Rashad - TEKLIFE Vol. 1: Welcome To The Chi

Es scheint denkbar unpassend, dass dieses Album ausgerechnet bei einem Waldspaziergang richtig für mich zündete, dreht sich hier doch alles um das nicht gerade für seine Naturidylle berühmte Chicago. Während TNGHT eine EP machten in der Hoffnung, dass sich ein Kanye ihre Beats unter den Nagel reißen wollen würde, nahm sich Rashad einfach Vocals und Instrumentals von Chi-Towns exzentrischem Sohn als Salz und Pfeffer seiner Footworkereien - zum Beispiel für das glanzvolle Titelstück. Den Lauf dahin bereitet das Tripel aus Walk For Me, CCP und Chicago, das allein schon in seiner Ambition und Komplexität mit jedem Hören unglaublicher wird und doch kaum 15% des proppevollen Albums ausmacht. Trotz der ellenlangen Trackliste wird TEKLIFE Vol. 1: Welcome To The Chi nicht zu lang und ist auch, vielleicht sogar gerade für Footwork-Neulinge, nicht überwältigend im Anspruch - zuviel Seele steckt darin, vor allem aber auch genug lebens-, druck- und trickreiche Beatkonstrukte, um einem beim taktbewussten Wandern gehörig die Beine zu verknoten.

[Spotify] DJ Rashad - TEKLIFE Vol. 1: Welcome To The Chi