Ulrich Schnauss - Goodbye



Ist Ulrich Schnauss ein bisschen Opfer des Leakwahns geworden? Lange vor dem Erscheinen von seinem Drittling Goodbye gab es schon allerlei negative Meinungen darüber im Internet zu finden, denn wie das so läuft kursierten bereits Kopien - nur waren das in diesem Falle unfertige Versionen, und Goodbye ist sicherlich kein Album das man sich unfertig anhören möchte. Ich war zumindest verwundert als ich dann auf ein zwar dichtes, aber enorm schönes Album traf das so anders war als befürchtet.

Schnauss kreiert darauf auch weiterhin Traumwelten in denen sich Shoegazer, Dreampop- und Elektronikfreunde treffen, doch wie schon erwähnt ist hier alles dichter geworden, oft nah am zweiten Album von M83. Shoegazige Klangwände und -wellen werden aufeinandergeschichtet, die Songs sind mit so vielen herrlichen und feinen Details versehen dass sie anfangs verdrehterweise stumpf wirken können. Dabei sind sie emotional geladen, melancholisch, packend, alles nur nicht stumpf. Man möchte lauter drehen um mehr und mehr Facetten wahrnehmen zu können, und dank Schnauss' exzellenter Produktion wird man dafür auch nicht bestraft.

Wobei ich hier nicht nur von Schnauss reden kann, seine Freundin Judith Beck ist fester Bestandteil der Musik und auch auf fast allen Songs zu hören, so verleiht sie Stars mit ihrer von etwas woanders als die Musik herzukommen scheinenden Stimme eine gewisse Andersweltigkeit. Und wie gern wartet man auf diesen bezaubernden Moment als sich nach über 4 Minuten halb geflüsterten, halb gehauchten Gesangs das immer wieder angedeutete Motiv aus Goodbye endgültig herausschält und sich zu voller Größe entfaltet? Medusa ist hingegen furchterregend, nach einem mit Melodien, rein elektronischen und verfremdeten analogen Effekten nur so durchzogenen langen Spoannungsaufbau löst es sich aber am Ende unerwartet in Wohlgefallen auf.

In den letzten Wochen bin ich immer wieder auf Goodbye zurückgekommen und merke gerade zur Zeit dass es für eine Fahrt oder Wanderung durch die eintretende Abenddämmerung dieses Jahr kaum einen schöneren Soundtrack gegeben hat. Mit den Kopfhörern fest an den Ohren verankert möchte ich nur zu gerne alles Akustische um sich herum ausblenden bis mich nur noch die tiefgründige Klangwelt des Mannes der Kiel "Goodbye" sagte und nach London zog umgibt. Ich halte den Kopf ganz still, verlangsame meinen Schritt um mich dem Tempo der Musik anzupassen, und manchmal ist mir selbst das Atmen durch die Nase zu laut und scheint wichtige Tonwellen zu blockieren. Also, wenn ihr demnächst einen Typen mit offenem aber lächelndem Mund durch die Nacht gehen seht: der hört möglicherweise Ulrich Schnauss.

[MP3] Ulrich Schnauss - Stars
[Stream] Ulrich Schnauss - Goodbye

Christoph (Gast) - 17. Apr, 00:14

Geniale Musik, geniale Kritik!

Hallo Uli!
Ich kann JEDES Wort Deiner Kritik unterschreiben. Treffender hätte man es nicht formulieren können! Gruß Christoph